Ein Schild an einem Dönerladen in Frankfurt. Nicht nur Essen, das als halal gilt, erfreut sich immer größerer Beliebtheit in Deutschland. Bild: picture alliance / Frank May
Deutschland
Nach islamischen Vorschriften hergestellte Lebensmittel werden auch von vielen Nicht-Muslimen geschätzt. Der Halal-Trend reicht inzwischen aber weiter. Es geht um Tourismus, Banking, Medikamente – und um einen Milliardenmarkt mit handfesten Handelsinteressen.
Er ist ein Bruder des christlichen Adventskalenders,
aber man darf ihn nicht schon am frühen Morgen öffnen. Mit dem
"Iftarlender" – benannt nach dem islamischen Abendessen Iftar während
des an diesem Donnerstag beginnenden Fastenmonats Ramadan – können
Kinder (und sicher auch so manche hungrige Erwachsene) dem Fest des
Fastenbrechens Ende Mai jeden Tag ein bisschen näher kommen. Die
Firma Honeyletter hat den "Ramadan-Countdown-Kalender" im Programm.
Hinter den 30 Türchen verbergen sich Dattelpralinen, umhüllt von
belgischer Schokolade. Nach Sonnenuntergang kann täglich ein wenig
genascht werden.
Die Hersteller verstehen den "Iftarlender" als "Zeichen kultureller
Symbiose". Er ist aber nur einer von einer immer größeren Zahl an
Produkten, die nach islamischen Vorschriften erlaubt ("halal") sind.
In den vergangenen Jahren hat sich die Branche stark
weiterentwickelt.
Es ist ein ausgewachsener Markt, der nicht mehr auf Lebensmittelläden oder ausschließlich muslimische Kundschaft begrenzt
ist. Und es ist ein globales Geschäft, in dem es einen Wettstreit um
nationale Zertifizierungen, Standards und Milliardenumsätze geht.
Im März war in Hannover die erste Halal-Messe Deutschlands geplant.
Wegen der Corona-Krise verschob man die Schau. Schon das Programm der
rund 60 Aussteller zeigt aber die Bandbreite. Christoph Schöllhammer
war bei der Deutschen Messe AG ein Ideengeber. Der Leiter der "Halal
Hannover" lebte in der Türkei, wurde Liebhaber der dortigen Küche.
"Hier gab es damals im Supermarkt noch keine Halal-Ecke", erzählt er.
"Geht generell um bewusste Ernährung"
Auch manche Menschen, die sich nicht explizit auf religiöse Gründe
berufen, essen und leben mittlerweile halal. "Es ist nicht nur auf
eine Klientel beschränkt, die sich islamkonform ernährt", sagt
Messe-Vorstand Andreas Gruchow. Natürlich bildeten Muslime die
wichtigste Kundengruppe und sie setzten viele der neuen Trends. "Aber
es geht generell um sich bewusst ernährende Menschen."
Tilman Brunner, Leiter Internationales bei der IHK Hannover, sieht
das ähnlich: "Es ist ein Qualitätssiegel." Seit 2011 gibt es eine
Arbeitsgruppe "Halal & Koscher", bei der heute 120 Firmen aktiv dabei seien.
"Viele stellen auch Koscherprodukte her, da die Anforderungen oft
ähnlich sind." Eine Schätzung der Umsätze sei schwierig, weil der
Markt nicht so einfach abgrenzbar ist. Aber das Halal-Interesse zeige
generell "eine steile Lernkurve", so Gruchow. In Deutschland liegt
das Marktpotenzial laut Messe AG bei fünf Milliarden Euro pro Jahr.
Lebensmittel und Getränke
Der "Iftarlender" steht für eine ganze
Reihe von Süßwaren. Bekannt für Halal-Standards ist außerdem Fleisch,
wobei – neben dem Verbot von Schwein – bestimmte Schlachtvorschriften
einzuhalten sind. Diese sind unter Tierschützern freilich auch
umstritten, weil bei der Schächtung selbst oft nicht betäubt wird.
Eine Tochtermarke von Bifi wollte auf der Messe in Hannover
zertifizierte Rinderwürstchen zeigen. Viele kennen die Knoblauchwurst
Sucuk. Es gehe teilweise um die gesamte Wertschöpfungskette, erklärt
Brunner: "Wenn ich eine Halal-Tiefkühlpizza produzieren will, muss
ich den passenden Käse, die passenden Gewürze und noch mehr haben."
Auch bei Nahrungsergänzungsstoffen und Getränken wächst das Angebot.
So kommt ein Halal-Energydrink in durchsichtigen Dosen daher – das
soll maximale Transparenz über die Inhaltsstoffe symbolisieren.
Kosmetika und Medikamente
Es darf in der Regel kein Alkohol zum
Einsatz kommen, weder als Inhaltsstoff noch in der Produktion.
Wasserlösliche Nagellacke seien außerdem mit der Gebetswaschung der
Frau vereinbar, weil so ein vollständiger Kontakt mit dem Wasser
möglich ist, wie die Theologin Asmaa El Maaroufi von der Uni Münster
erklärt. "Auch bei Reinigungsmitteln wird das ein Thema", so Brunner.
"Alles, womit ich in Berührung komme, kann halal-relevant sein."
Tierversuche sind bei der Entwicklung von Produkten tabu. In der
Pharmabranche stehen Halal-Verfahren derweil noch eher am Anfang.
Dort sehen viele Verbraucher die Regeln El Maaroufi zufolge aber
entspannt: "Gestattet ist oft, was medizinisch notwendig ist."
Tourismus
Halal-konformer Urlaub spricht ebenfalls schon etliche
Nichtmuslime an. Es geht darum, die Ferien als Zeit innerer Einkehr,
Achtsamkeit und Einheit mit der Familie zu sehen. Spezielle Angebote
für Eltern und Kinder haben Veranstalter ebenso im Programm wie die
klassische Pilgerreise. Muslime selbst buchen laut El Maaroufi meist,
um auch im Urlaub ihren Alltag unbeschwert fortführen zu können.
Banken und Geldanlage
An islamischen Regeln orientierte
Finanzdienstleister fassen in Deutschland vermehrt Fuß. Bei
Bankgeschäften müssen sie das Zinsverbot berücksichtigen, genauso das
Spekulationsverbot und den Ausschluss etwa von Glücksspiel- oder
Waffenkonzernen aus Geldanlage-Fonds. Einzelne Lehrmeinungen
unterscheiden aber beispielsweise zwischen Soll- und Habenzinsen.
Definitionen sind nicht immer gleich
Trotz einiger fast universell anerkannter
Vorschriften gibt es in unterschiedlichen Ländern und Rechtsgutachten
verschiedene Vorstellungen dessen, was genau halal ist. Ursprünglich
ging es um Handlungen, nicht um Produkte, erklärt El Maaroufi.
"Inzwischen hat sich der Begriff sehr weit geöffnet", sagt sie. "Das
sieht man etwa bei verschiedenen Zertifizierungen von Halal-Fleisch."
Marktmacht und internationaler Handel
Viele Anbieter verkaufen auch
ins Ausland. Deutsche Fleischriesen wie Tönnies und Wiesenhof oder
der Aromen-Hersteller Symrise haben Halal-Sortimente. "Drei Viertel
unserer Mitglieder exportieren", sagt Brunner. "Und der Austausch ist
wichtig." Indonesien könne etwa andere Regeln haben als die
Vereinigten Arabischen Emirate. "Da geht es auch um Marktmacht."
Manche Staaten könnten Standards als Barriere nutzen, um die
Weltmarkt-Konkurrenz draußen zu lassen. Doch die Chancen seien groß,
so Gruchow: "Auch Indien und Malaysia sind Milliardenmärkte."
(om/dpa)
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