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Tiktok Trend Soft-Girls: Junge Schwedinnen wollen nicht mehr arbeiten

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Jeden Tag ausschlafen, nie arbeiten: Davon träumen wohl viele.Bild: iStockphoto / Iona Studio
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Schwedinnen bleiben lieber zu Hause: Was hinter dem Soft-Girls-Trend steckt

07.12.2024, 08:07
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Anstatt zu arbeiten lieber ein entspanntes, bequemes Leben führen, dabei trotzdem auf nichts verzichten müssen. Zeit für viele verschiedene Hobbys haben, gleichzeitig keinen Erfolgsdruck durch die Arbeit ertragen müssen oder wegen zu wenig Freizeit gestresst sein.

Das ist aktuell das Leben einer Schwedin, die beschlossen hat, nicht zu arbeiten. Das kann sie, weil ihr Freund sie finanziert und ihr so viel Geld gibt, wie sie möchte.

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Das ganze erinnert an die Tradwife-Bewegung, die in den USA gerade immer beliebter wird. Die traditional wives, also traditionellen Ehefrauen, möchten wieder "nur" Hausfrau und Mutter sein und eben nicht arbeiten gehen und keine Karriere machen. Dabei gehen die Tradwives meist noch einen Schritt weiter – oder zurück – und lehnen viele Aspekte des modernen Lebens ab.

Außer Handys und Tiktok versteht sich, denn die Tradwives müssen ihr traditionelles Leben natürlich irgendwie festhalten und mit dem Internet teilen. Worüber sie – zumindest in einigen Fällen, in denen die Accounts mehrere Millionen Follower:innen haben – ja auch wieder Geld machen. Also doch nicht nur Hausfrau und Mutter, sondern auch Influencerin und dadurch berufstätig.

Tradwives in den USA – Soft Girls in Schweden?

Man kann von den Tradwives halten, was man möchte, Fakt ist: Kinder großziehen und einen Haushalt führen ist sehr viel Arbeit. Dass manche Frauen daneben keine Lohnarbeit verrichten möchten, ist verständlich.

Im Fall der Schwedin Vilma Larsson jedoch gibt es keine Kinder und auch keine Ehe. Sie ist ein Stay-at-Home-Girlfriend und bezeichnet sich selbst als sogenanntes "Soft Girl". Das bedeutet so viel wie eine ruhige, sanfte, entspannte junge Frau, die keinen Stress hat. Es beschreibt eine "feminine" Lebensart, weit weg von Karriere und Berufsstress.

Sie ist in Schweden bei weitem nicht die einzige, die das Label Soft Girl für sich entdeckt hat. Ungdomsbarometern – Schwedens größte jährliche Umfrage unter jungen Menschen – hat vor einem Jahr erstmals die Aufmerksamkeit auf den Soft-Girl-Trend in Schweden gelenkt. Denn der Trend war unter den 15- bis 24-Jährigen eine beliebte Wahl, als sie gebeten wurden, die Trends für 2024 vorherzusagen, berichtet "BBC".

Eine weitere Studie, die von Ungdomsbaromatern im August dieses Jahres veröffentlicht wurde, ergab, dass sich dieser Trend sogar bei jüngeren Schülerinnen durchsetzt: 14 Prozent der Sieben- bis 14-Jährigen bezeichnen sich als Soft Girls.

Dass sich dieser Trend in Schweden ausbreitet, ist überraschend: Das Land hat einen guten Ruf in Sachen Work-Life-Balance – die meisten Arbeitnehmenden haben sechs Wochen Urlaub im Jahr, und weniger als 1 Prozent arbeitet mehr als 50 Stunden pro Woche. Dennoch deuten die Untersuchungen von Ungdomsbaromatern auf ein steigendes Stressniveau unter jungen Menschen hin.

Johanna Göransson, Wissenschaftlerin beim Umfrageinstitut Ungdomsbaromatern, ist der Ansicht, dass der Trend der Soft Girls eine Erweiterung der jüngsten globalen Arbeitstrends sein könnte, sich nicht stressen zu lassen. Dazu gehört beispielsweise auch "Quiet Quitting", das Arbeitnehmer:innen ermutigt, sich nicht zu überanstrengen.

Vilma Larsson: Stay at Home Girlfriend

Vilma Larsson hat ihren Beruf vergangenes Jahr an den Nagel gehängt. Sie teilt ihren Lebensstil auf Instagram, YouTube und TikTok, wo sie 11.000 Follower angehäuft hat. Einige ihrer Beiträge haben fast 400.000 Likes erhalten, aber sie sagt, dass sie mit ihren Inhalten kein Geld verdient. Sie verwendet die Hashtags "hemmaflickvän" und "hemmafru" (schwedisch für "Stay-at-home-Girlfriend" und "Hausfrau").

Dem schwedischen Medium "SVT Nyheter Skåne" sagt Larsson, dass sie irgendwann wieder selbst Geld verdienen möchte. Aber sie kann in ihrem Tempo bestimmen, wann. Ihr Partner findet, beide müssen was zur Beziehung beitragen, das müssen aber nicht die gleichen Dinge sein.

Er freut sich, dass Vilma ihm ein schönes Zuhause gibt und in seinem Leben für Sicherheit und Ruhe sorgt. Es gibt aus seiner Sicht so viel mehr als Geld, was man seinem Partner geben kann. Dazu erklärt Larsson nochmal: Er bietet ihr finanzielle Sicherheit und gibt ihr Ruhe als ihr "Führer" und sie gibt ihm Geborgenheit und "weibliche Weisheit".

Soft Girls: Feministin in Sorge vor Rückschritt

Die Kommentare unter dem Video zeigen, dass viele Frauen von dieser Einstellung ganz und gar nicht begeistert sind. Eine Nutzerin schreibt zum Beispiel:

Generationen von Frauen haben für das Recht der Frau auf wirtschaftliche Freiheit gekämpft, und zwar aus dem Grund, dass eine Frau, die wirtschaftlich nicht frei ist, niemals völlig frei sein kann. Frei, eine schlechte Beziehung zu verlassen, wann immer sie will, frei, Forderungen zu stellen, frei, Leuten zu sagen, sie sollen sich verpissen, frei, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben.

Eine weitere merkt an: "Das ist nicht ganz das, wofür unsere Mütter, Großmütter und Mitschwestern auf der ganzen Welt so unglaublich hart gekämpft haben und kämpfen..."

In den beiden Kommentaren liegen zwei wichtige Punkte: Denn was macht die junge Schwedin, wenn ihre Beziehung in die Brüche geht? Oder der Partner plötzlich ohne Job dasteht?

Und: Nicht arbeiten gehen zu müssen, ist ein Privileg. Dem sei sich Larsson auch bewusst, sagte sie gegenüber dem schwedischen Medium "SVT Nyheter Skåne". Aber, arbeiten gehen zu dürfen ist für Frauen heutzutage ebenso ein großes Privileg, für das viele Generationen von Feminist:innen lange gekämpft haben.

Gudrun Schyman – die Mitbegründerin und ehemalige Vorsitzende der schwedischen feministischen Partei Feministiskt initiativ – sagt gegenüber "BBC", sie habe an den jüngsten Debatten zu diesem Thema teilgenommen. Sie ist der Meinung, dass es "sehr gefährlich" sei, wenn Frauen vom Reichtum ihres Partners leben. Das würde einen "Rückschritt" für die Gleichstellung der Geschlechter darstellen.

Sich finanziell wieder von einem Partner abhängig zu machen, ist ein großer Schritt weg von Emanzipation und Selbstständigkeit, die gerade für FLINTA* Personen wichtig ist: Es ist gut, finanziell unabhängig zu sein. Und es ist wichtig, sich um die eigene Altersvorsorge zu kümmern und das eigene Geld anzusparen.

Spanien droht Ausländern mit immenser Steuerlast

Im August vergangenen Jahres gingen Zehntausende in Madrid auf die Straße, um gegen Wohnungsnot zu demonstrieren. Über Jahre hinweg hat diese sich zur sozialen Krise entwickelt. Bezahlbarer Wohnraum nimmt ab, Tourismus sorgt für ein sinkendes Angebot, etwa über Plattformen wie Airbnb.

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