Dass der Johnson & Johnson-Impfstoff nicht so wirksam ist, wie ursprünglich gedacht, wurde schon im vergangenen Jahr bekannt. Doch seit 15. Januar gelten Menschen, die einmalig mit dem Impfstoff des US-Pharmaunternehmens geimpft wurden, nicht mehr als vollständig immunisiert oder – sofern sie eine zusätzliche Auffrischungsimpfung erhalten haben – nicht mehr als geboostert, sondern "nur" noch als vollständig geimpft. Die recht kurzfristige Entscheidung, dass für den Status "vollständig geimpft" für mit dem Vakzin Janssen Geimpfte nun zwei Impfdosen vonnöten sind, wurde zunächst nur über die Webseite des bundeseigenen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) veröffentlicht. Und hatte für knapp 3,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger doch weitreichende Konsequenzen.
Natürlich könnte eine zusätzliche Impfung dieses Problem schnell beheben. Doch es gibt einen Haken: Die Stiko empfiehlt die Auffrischungsimpfung in einem Mindestabstand von drei Monaten zu der letzten Impfung. Die J&J-Geimpften, die erst kürzlich eine zweite Impfung bekommen haben, müssen nun also im schlimmsten Fall drei Monate auf den Satus "geboostert" warten, den sie bis Mitte Januar bereits hatten.
In einigen Bundesländern gelten für diesen Fall Sonderregeln. In Hessen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Baden-Württemberg etwa gelten Menschen drei Monate nach ihrer zweiten Impfung als "frisch geimpft" und sind damit von der Testpflicht der 2G-Plus-Regelungen ausgenommen. In Hamburg, Niedersachsen, Berlin und Brandenburg gilt diese Regel nicht, hier müssen sich die Menschen für 2G-Plus testen, bis sie die dritte Impfung erhalten haben. Auch in Bayern gilt die Testbefreiung erst nach der dritten Impfung.
Offiziell gelten Johnson & Johnson Geimpfte jedoch noch als "vollständig geimpft": Die Corona-Warn-App von Menschen mit nur einer Auffrischung nach der Janssen-Impfung zeigt aktuell also noch "Impfungen 3 von 3" und kann somit als Berechtigung für die 2G Regel verwendet werden. Die Zertifikate zur Gültigkeit der Impfung mit Johnson & Johnson sollen jedoch laut dem Bundesgesundheitsministeriums zum 1. Februar 2022 angepasst werden.
Wie wirkt sich diese politische Über-Nacht-Entscheidung auf das Leben von Menschen aus, die mit Johnson & Johnson geimpft sind? watson hat sich umgehört.
In den sozialen Medien sorgte die Ankündigung zu Johnson & Johnson bei Betroffenen für ziemlichen Frust. Einige kündigten an, dass die Bundesregierung sie damit "verloren" habe und sie sich nun gar nicht mehr impfen lassen wollen. Eine Nutzerin schreibt sogar, nun würde sie das erste Mal auf einen "Spaziergang" gehen, wie die Corona-Skeptiker ihre teils gewaltvollen Proteste nennen.
Corinna hat eine Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson und, wie offiziell empfohlen, als Auffrischung eine mRna-Impfung von Biontech bekommen. Sie sagt gegenüber watson: "Letztlich finde ich es nicht gut, dass so hinterher zu erfahren. Und dass überhaupt nicht klar kommuniziert wird, dass Johnson-Geimpfte sich frühzeitig um einen Booster bemühen sollten. Hätte ich nicht intensiv gegoogelt, wüsste ich das nicht."
Die neuen Bestimmungen und die Unsicherheit findet Corinna frustrierend: "Ich bin weiß Gott kein Esoteriker, ich bin gegen alles geimpft, die Kinder auch. Andererseits finde ich die Kommunikation der Regierung echt belastend und diese spontanen Sprünge teilweise nicht mehr nachvollziehbar."
Die 39-Jährige ist enttäuscht von der Bundesregierung: "Man hätte diesen Impfstoff von Anfang an nicht zulassen dürfen. Es war doch früh klar, dass er nix taugt und spätestens da hätte man aktiv werden müssen."
Corinna hat aber Glück, dass sie im Home Office arbeitet kann und keinen Impfnachweis für ihre Arbeit braucht. Ob sie sich noch mal impfen lassen wird, weiß sie noch nicht: "Eventuell werde ich mich noch impfen lassen, aber mit welchem Impfstoff und wann nun genau, weiß ich nicht. Offenbar sieht das auch jedes Bundesland anders, mit der Johnson plus mRna-Impfung." Sie überlegt derzeit noch, ob es sich nicht lohnt, auf einen an Omikron angepassten Impfstoff zu warten. "Aus Israel hört man ja, dass selbst vier Impfungen gegen Omikron wirkungslos scheinen."
Gerade Obdachlose wurden häufig mit dem Einmalimpfstoff von Johnson & Johnson geimpft. "Die jetzige Situation mit Omikron ist daher auch für sie problematisch", sagt Sabrina Niemietz von der Berliner Kältehilfe zu watson. "Sowohl was den wahrscheinlich geringeren Schutz anbelangt, als auch der Statuswechsel zu 'nicht vollständig geimpft'." Jedoch werde in vielen Einrichtungen für Obdachlose auf eine Impfpflicht verzichtet, da die Not der Menschen wichtiger sei als der Impfstatus. Allerdings seien laut Niemietz oft auch die Angestellten von Obdachlosenunterkünften mit Johnson & Johnson geimpft und daher nun nicht mehr voll geschützt.
Niemitz sieht allerdings noch ein ganz anderes Problem: den Impfnachweis. Denn viele obdachlose oder suchtkranke Menschen seien nicht in der Lage, diese Dokumente zuverlässig aufzubewahren. Selbst wenn sie bereits einmal, oder sogar zweimal geimpft seien, könnten sie das oft nicht beweisen:
Die Mitarbeiterin der Berliner Kältehilfe erklärt watson: "Dieses Dilemma beschäftigt die Wohnungsnotfallhilfe schon seit Monaten, eine offizielle Lösung gibt es dafür nicht."
Auch Sabine aus Sachsen wurde nur einmal geimpft – mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson. Sie bezeichnet sich gegenüber watson als "über Nacht Ungeimpfte." Da sie Allergikerin ist, unter anderem auch gegen Medikamente, sei sie froh gewesen, überhaupt eine Impfung ohne allergische Symptome vertragen zu haben. "Ich habe jedoch die Online-Notiz über die Änderung so verstanden, dass man die Johnson-Impfung ausschließlich mit mRna-Impfstoffen auffrischen kann."
Denn das wäre für Sabine ein Problem. Also versuchte sie in einen Telefonmarathon, bei Gesundheitsamt und Ärzte-Hotlines Klarheit über ihre Situation zu bekommen. Doch "dort war nichts Genaues über die Regelung bekannt", erzählt Sabine. "Bei der Ärzte-Hotline wurde auch auf mehrfaches gezieltes Fragen nicht einmal bejaht oder verneint, ob es denn verpflichtend sei, tatsächlich mit einem mRna-Impfstoff aufzufrischen."
Da niemand ihre Fragen beantworten konnte, tätigte Sabine weitere Anrufe bei Ärzten und Krankenhäusern in der Region, aber auch in anderen Städten. Sie wollte sich erkundigen, ob noch überhaupt irgendwo ein Arzt mit einem anderen Impfstoff als mit dem von Biontech impft: "Du kannst dir vielleicht das Ergebnis denken: Einfach niemand."
Wegen ihrer starken Allergie traut sich Sabine aber nicht, sich mit einem anderen Impfstoff immunisieren zu lassen: "Ich würde es aber vorziehen, wenn ich selbst die Wahl hätte darüber, mit welchem Vakzin ich mich denn impfen lassen würde", sagt sie watson. Schlussendlich wird ihr aber keine andere Wahl bleiben, um ihren Alltag zu bestreiten.
Sabine ist über die neue Regelung erbost: "Übersetzt heißt das für mich, dass man somit wohl indirekt erpresst werden soll, sich – ohne Rücksichtnahme auf Leben und Gesundheit – mit Biontech impfen zu lassen." Gerade versucht ihr Mann, rasch für sie einen günstigen Zweitwagen zu kaufen – für den Fall, dass es wie angekündigt ab Anfang Februar hart auf hart kommt und sie die Öffis nicht mehr ohne Testung nutzen kann.
Alexander Wiedmann ist ebenfalls mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson geimpft. Anfang Juni konnte er sich über seinen Arbeitgeber mit diesem Impfstoff immunisieren lassen und hat das Angebot genutzt. "Mitte November habe ich mich mit BionTech/Pfizer im Impfzentrum Tegel impfen lassen. Damals zählte die Zweitimpfung noch als Booster-Impfung und wurde mit der Drittimpfung gleichgesetzt", erzählt er watson.
Nun plötzlich muss er sich ein drittes Mal impfen lassen, um als vollständig geimpft zu gelten. Eigentlich wäre das kein Problem für den 29-Jährigen, "allerdings muss der Abstand zur letzten Impfung drei Monate betragen, was bei mir noch nicht der Fall ist. Das bedeutet, bis Mitte Februar hänge ich in der Schwebe und kann nichts machen."
Für ihn sind bis dahin also keine Besuche in Restaurants, kulturellen Einrichtungen oder Einzelhandel mehr möglich ohne Schnelltest, "was nervig ist und oft lange dauert." Sebastians Frust ist dementsprechend groß: "Ich bin maximal verwirrt und enttäuscht von der miserablen Kommunikation der politische Entscheidungsträger."