Vermutlich fährt er gerade U-Bahn, die Beine überschlagen, in der einen Hand ein Buch von Sally Rooney, in der anderen ein Matcha Latte. Er trägt eine weite Jeans, ein enges T-Shirt mit feministischem Print, Cardigan und Perlenkette. Auf seinen Kabelkopfhörern läuft Lana del Rey, an seinem Jutebeutel hängt ein Labubu. Er redet gern über seine Vinyl-Platten und nichts ärgert ihn mehr, als dass Periodenprodukte ein Vermögen kosten.
Die Frage, die sich das Internet dieser Tage nun stellt: Ist das vielleicht gar kein progressiver Soziologie-Student im vierten Semester, der beim ersten Date auch mal zuhört? Sondern ein verlogener Tunichtgut, ein Schein-Feminist, unter dessen sorgsam kuratiertem Äußeren ein verkappter Schürzenjäger schlummert? Anders gefragt: Gehört er zur Gattung des "Performative Male"? Und was verrät dieser Typus über Männlichkeit im Jahr 2025?
Der Performative Male ist der jüngste Archetyp aus dem Rollenhandbuch des Kosmos Social Media: Ein Typ, der sich oberflächlich mit eher weiblich (oder schwul) konnotierten Inhalten oder Konzepten beschäftigt, um die Zustimmung von Frauen zu erlangen. Im Grunde die männliche Version des "Pick-me-Girls".
Einst nannte man ihn Dandy, später Hipster und irgendwann Softboi. Jetzt zeigt er sich als Mann, der seine Sanftheit, seine Belesenheit und seine feministischen Anklänge so betont nach außen trägt, dass sie im besten Fall bei progressiven Frauen verfangen.
Ein Balztanz im Zeichen des female gaze, eine bewusst antitoxische Gegenfigur zum Andrew-Tate-Macho. Nur was ist eigentlich die Alternative?
Soll der progressive Mann, wie viele seiner Artgenossen, ideologisch das Ufer wechseln und lieber wieder Proteinshake statt Matcha-Latte trinken? Ist es wirklich ein Skandal, wenn er bell hooks liest, um dem Gegenüber zu gefallen? Muss man nicht sagen: Immerhin, die Männer performen für den weiblichen Blick, anstatt sich Bier über ihr Tanktop zu schütten?
Der Performative Male ist im Patriarchat schließlich weniger ein Täter als ein Symptom. Er zeigt, wie verengt die Skripte geworden sind, die Männern derzeit zur Verfügung stehen. Wer sich an regressiven Frauenhassern orientiert, gilt als hoffnungslos verloren; wer Matcha trinkt und Feminismus zitiert, sofort als Blender. Ein echter, glaubwürdiger Mittelweg ist kaum vorgesehen.
Derweil finden lauter Lookalike-Contests statt, und zwar, wenn man "taz" glaubt, um die Performative Males als solche "zu enttarnen". Im "Freitag" war zu lesen, dass es glücklicherweise "gerade echte progressive Männer" seien, die sich über Performative Men lustig machen: Weil es solche gebe, könne man sich über die Blender amüsieren, ohne dass das jene abschrecken würde, die gemeinsam aufs Taylor-Swift-Konzert gehen.
Aber wenn nun offenbar alle Performative Males peinlich finden – was ist dann überhaupt noch performativ? Und wer entscheidet, wo die Performanz aufhört?
Der Performative Male ist eines dieser hübschen Etiketten, die Social Media in regelmäßigen Abständen hervorbringt. Das Besondere liegt darin, dass die Figuren, um die es geht, das Label selbst sofort wieder einverleiben: Die Beschriebenen machen die besten Witze über sich selbst. Jede Kritik ist sofort einkalkuliert, jede Entlarvung schon Teil des Spiels.
Je genauer man hinschaut, desto weniger Neues gibt es zu sehen, es bleibt stets derselbe Typ, nur in anderer Auflösung. Und irgendwann stellt sich die Erkenntnis ein: Man kommt aus dieser Performance nicht mehr heraus, sie schreibt sich immer schon selbst fort.
Judith Butler hat das bereits 1988 in dem Essay "Performative Acts and Gender Constitution" beschrieben. Geschlecht, schrieb Butler, sei kein Naturfakt, sondern eine Serie wiederholter Handlungen, die sich durch Wiederholung stabilisieren. Männlichkeit, Weiblichkeit – alles nichts anderes als ein fortlaufendes Schauspiel, das erst durch endlose Wiederaufführung plausibel wirkt.
Übertragen auf den Performative Male bedeutet das: Er liest nicht bell hooks, um bell hooks zu lesen, sondern um den Eindruck zu erwecken, ein Mann zu sein, der bell hooks liest. Ob er deren Worte versteht, ist zweitrangig – entscheidend ist, dass das Cover für alle sichtbar auf dem Tisch liegt.
Und selbstverständlich gilt das nicht nur für ihn: Wir alle performen, Tag für Tag: in der U-Bahn, im Büro, auf Instagram. Der Unterschied ist nur, dass die Pose des Performative Male dank Meme-Kultur sofort vervielfältigt und ins Absurde getrieben wird.
Zugleich lässt sich der Performative Male als Reaktion auf eine reale Schieflage lesen. Eine Umfrage des Pew Research Centers zeigt, dass 28 Prozent der Männer in den USA bis zum 40. Lebensjahr unverheiratet bleiben – in den 1970ern waren es noch einstellige Werte.
Der Ökonom Richard Reeves hat in seinem Buch "Of Boys and Men" beschrieben, dass Männer mit den 2020er Jahren in puncto Bildung, Einkommen und sozialen Bindungen zurückfallen.
Die Datingkultur unterstreicht diesen Befund. Die "Washington Post" zitierte jüngst eine Frau, die von "tausenden Likes" auf einer Datingplattform sprach, durch die sie sich kaum hindurchsortieren könne. Männer unterdessen gehen in denselben Apps oft leer aus.
So entsteht eine paradoxe Lage: Frauen sind überfordert von zu viel, Männer frustriert von zu wenig. Gleichzeitig tendieren junge Männer deutlich nach rechts, während junge Frauen nach links tendieren. Aus alldem folgt der Topos der "male loneliness" – der mittlerweile ebenfalls zum Meme geworden ist.
Wer in dieser Konstellation, in diesem Spannungsfeld also versucht, sich mit feministischen Codes andockfähig zu machen, sitzt in der Falle: zu toxisch für die einen, zu kalkuliert für die anderen. Mit Grönemeyer gefragt: Wann ist ein Mann ein Mann?
Die einen sehen im Performative Male nichts als Blendwerk, die anderen eine unbeholfene Suche nach einer Identität. Juliet Williams, Professorin für Gender Studies an der UCLA warnte im "Independent", das Meme berge die Gefahr, gerade jene Männer zu entfremden, die ernsthaft versuchten, mit Frauen in Kontakt zu treten oder dem feministischen Aufruf zu folgen.
Und ist es nicht auch seltsam abwertend, wenn feministische Literatur allein als Aphrodisiakum verdächtigt wird – als würde jemand nur zu Emma Cline greifen, weil er sich davon bessere Chancen im Bett verspricht?
So zeigt sich im Performative Male die eigentliche Aushandlung: Männer zwischen zwei Lagern, regressiver Machismo hier, latte-bewaffnete Sensibilität dort: verunsichert, tastend, oft ratlos.
Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen, doch die Figur verweist auf eine tiefere Verunsicherung: Männlichkeit im Jahr 2025 wird zu einem Feld widersprüchlicher Erwartungen, in dem man eigentlich nur verlieren kann.
Und so bleibt am Ende die Frage, ob der Performative Male nicht weniger ein Schwindler ist als ein Versuchsaufbau. Ein Mann, der feministische Literatur liest, über seine Gefühle spricht und eine mainstreamverträgliche Kaffeebestellung aufweist – ist das nicht einfach ein im besten Sinne angenehmer Zeitgenosse?