Lauf abends nicht alleine durch die Straßen!
Nimm den Schlüssel zur Verteidigung in die Faust!
Melde dich, wenn du zu Hause angekommen bist!
Junge Mädchen wachsen mit allerlei Warnungen auf. Wir verinnerlichen sie und tragen sie unser Leben lang mit uns – zum Schutz vor männlicher Gewalt.
Seit Jahren fordern Feminist:innen aber: "Don’t protect your girls, educate your sons". Nicht Frauen sollten vorsichtig sein, sondern Männer müssen richtig erzogen werden. Damit Gewalt gegen Frauen endlich ein Ende hat.
Doch wie funktioniert das? Wie erzieht man seine Söhne so, dass Frauen keine Angst vor ihnen haben müssen?
Diese Frage hat sich auch die Journalistin und Autorin Shila Behjat gestellt – und darüber ein Buch geschrieben. In "Söhne großziehen als Feministin" erzählt sie von den Herausforderungen und Ängsten bei der Erziehung ihrer zwei Kinder.
In ihrem Leben habe sie viele schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht. "Das Leben ist für mich als Frau nur gefährlich, weil es Männer gibt", sagt sie im Gespräch mit watson. Sie habe sich also die unausweichliche Frage gestellt: "Was, wenn meine Söhne auch so werden?"
Keine leichte Zeit für Behjat, die sich selbst als Feministin bezeichnet. Sie sagt:
Die Angst vor männlicher Gewalt ist berechtigt: Laut dem Bundesfamilienministerium wird jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt.
Diese Gewalt könne man nur beenden, indem man Männer als Allies, also Verbündete, gewinnt, meint Behjat. Ihre Söhne sollten daher schon früh lernen, empathisch zu sein – gegenüber ihren Mitmenschen, aber auch sich selbst. Indem sie Gefühle zulassen und diese zeigen, ohne sich zu schämen.
"Wir müssen Jungs zeigen, dass sie biologisch nicht dazu veranlagt sind, gewaltbereit zu sein", sagt Behjat. Denn genau diese Assoziation taucht immer wieder auf: In Filmen mit "starken" Männern, die muskulös und tough sind und zuschlagen, wenn die Situation es vermeintlich erfordert.
Behjat versuche daher, für ihre beiden Söhne positive Held:innen zu finden. Im Buch schreibt sie dazu: "You cannot be what you cannot see." Repräsentation ist wichtig. Gut also, dass Vorbilder in Film, Fernsehen und Öffentlichkeit diverser, moderner, sensibler werden. Und auch weiblicher.
"Ich finde es schön, dass meine Kinder groß werden in einer Zeit, in der es viele Held:innen-Geschichten gibt – Malala Yousafzai, Luisa Neubauer, Greta Thunberg", sagt Behjat. Auch die neuen Spiderman-Charaktere zeigt sie ihren Kindern gern.
Expert:innen und auch die Organisation UN Women Deutschland geben Behjat recht: Traditionelle Rollenbilder, Geschlechterstereotype und patriarchale gesellschaftliche Strukturen seien schuld für die Entstehung von Gewalt gegen Frauen.
Demnach muss Gewalt im Ursprung bekämpft werden, indem eine frauenfeindliche Haltung gar nicht erst entsteht.
Auch die Content Creatorin Josi spricht sich für eine feministische Erziehung aus. Auf ihren Tiktok- und Instagram-Accounts "Josi schreibt" reagiert sie mit aufklärenden Videos auf sexistische und gewaltverherrlichende Aussagen – meist von Männern.
Sie selbst ist Mutter und staatlich anerkannte Erzieherin, hat jahrelang in einem Frauenhaus und einer Kita gearbeitet. "Feministische Erziehung ist für mich menschenwürdige Erziehung, fernab von stereotypischen Geschlechterrollen und festgefahrenem Schubladendenken", sagt sie gegenüber watson.
Ihr ist wichtig, dass Kindern von klein auf Werte wie Toleranz, Respekt und die Bedeutung von Chancengleichheit vermittelt werden. Zudem sollten sie lernen, dass es für niemanden Einschränkungen aufgrund des eigenen Geschlechts geben sollte. Das fängt schon beim Spielzeug an: Auch Jungen können mit Puppen spielen und Mädchen mit Autos.
Ebenso wie Behjat findet sie es wichtig, Jungs Raum für Gefühle zu geben und diese zu normalisieren. "Grundsätzlich gilt für mich immer: Vorleben. Es bringt nichts, wenn du A predigst, aber B lebst", sagt sie.
Jeder Mensch werde ohne Vorurteile geboren. Zu denken, dass Jungen und Mädchen nicht gleich sind, sei anerzogen, sagt Josi. Diverse Kinderbücher mit Astronautinnen und Tagesvätern würden helfen, das zu vermitteln.
Spätestens in der Pubertät müsse man Kindern aber auch erklären, dass es bestimmte Formen der Diskriminierung in der Gesellschaft gebe, die möglicherweise verhindern, dass sie alles schaffen können.
Kinder modern und feministisch zu erziehen, ist wohl machbar. Aber wie werden Männer, die ihre Kindheit und Erziehungsphase bereits hinter sich haben, zu Feministen? Shila Behjat und Josi sind sich einig: Der Wille, sich zu ändern, muss aus dem Mann heraus kommen.
Auch die Verantwortung für das eigene Handeln liege klar bei den Männern, sagt Behjat. Sie sieht es nicht als die Aufgabe von Frauen an, erwachsene Männer feministisch zu erziehen. "Ich will die Arbeit nicht für Männer machen, an sich selbst zu arbeiten, sich mit ihrer eigenen Rolle auseinanderzusetzen", sagt sie und fügt an: "Alle Männer müssen sich dem selbst hingeben."
Und das ist gar nicht so leicht, sagt Josi: "Je älter man wird, desto schwieriger ist es, Glaubenssätze abzulegen." Müttern, die zu ihrem erwachsenen Sohn einen guten Zugang haben, empfiehlt sie trotzdem, das Gespräch zu suchen – selbst, wenn ihr Sohn frauenfeindliche Persönlichkeiten wie Andrew Tate mag.
Auch wenn die Gedanken in eine andere Richtung gehen, als man sich es wünsche, könne man das Gespräch suchen und einwirken, sagt sie. "Menschen ändern sich: Nur, weil ein 20-jähriger Mann antifeministisch ist, heißt das nicht, dass er es für immer bleibt."