Feminismus polarisiert. Auf der einen Seite stehen Konservative bis Rechte, für die jedes Gendersternchen einer Verrohung der Gesellschaft gleichkommt. Auf der anderen Feminist:innen, die in sensibler, aber manchmal auch wütender Sprache die unzähligen noch bestehenden Missstände anprangern. Die einen klammern sich mit all ihrer Kraft an das Patriarchat, die anderen bringen die Kraft auf, dieses bis aufs Letzte zu zerschmettern.
Die vergangenen Jahrzehnte zeigen dennoch, dass Frauen sich emanzipiert haben. Eigene Kreditkarte, eigener Lohn, Recht über den eigenen Körper. Frauen sitzen längst in Chefetagen und fungieren als Staatsoberhaupt.
Für viele beweist das: Der Feminismus hat gesiegt, Frauen und Männern sind längst gleichberechtigt. Wirft man jedoch einen Blick hinter die bröckelnde Fassade, wird klar, dass wir davon noch ein ganzes Stück entfernt sind – und uns vielleicht gerade noch weiter entfernen. Laut einer Studie vom King's College London sind etwa 16 Prozent der 16- bis 29-jährigen britischen Männer überzeugt, dass Feminismus mehr geschadet als genutzt habe.
In den USA wurde vergangenes Jahr in zahlreichen Bundesstaaten das Recht auf Abtreibung beschnitten. Aus einem UN-Bericht geht hervor, dass 2022 zwar Tötungsdelikte global zurückgegangen sind, aber weltweit so viele Frauen ermordet wurden wie seit 20 Jahren nicht.
Und auch Stammtischparolen wie etwa von CSU-Chef Markus Söder am politischen Aschermittwoch, der feministischer Außenpolitik eine Absage erteilt, verdeutlichen, wie es um den Feminismus steht. Es wirkt, als würden wir uns emanzipatorisch zurückbewegen. Als stünden wir an einem Kipppunkt.
"Es gibt eine teilweise abstruse Rückwärtsgewandtheit in den Diskursen, und natürlich auch in konkreten politischen oder gesetzlichen Praktiken", erklärt Soziologin Nadia Shehadeh im Gespräch mit watson. Auch sie nimmt wahr, dass sich Abwehrreaktionen gegen den Feminismus häufen.
Gerade im rechten Spektrum ist Anti-Feminismus in Mode. Der AfD-Politiker Maximilian Krah schrieb im November 2023 beispielsweise auf X, ehemals Twitter: "Feminismus ist Krebs." Der heutige Feminismus vernichte die Weiblichkeit, zerstöre junge Menschen und verhindere Kinder.
Anti-Feminismus, so macht es den Anschein, ist längst salonfähig.
Das erkennt man auch an dem massenhaften Support, den sogenannte "Alpha"-Männer auf Social Media erhalten. 8,8 Millionen Menschen folgen Andrew Tate auf X, der Frauen ohne Kinderwunsch beispielsweise als "erbärmliche dumme Schlampen" bezeichnet.
Die aktuellen Entwicklungen könne man sehr gut mitverfolgen, sagt Shehadeh. Gerade Frauen, die mehrfach diskriminiert würden, hätten es dabei schwer. Etwa weil sie arm sind, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit erfahren:
Genau deshalb müsse Feminismus jetzt erst recht gelebt werden, erklärt die Soziologin. Dabei wirkt es, als sei der Diskurs längst vergiftet. Die Lage kocht immer weiter hoch.
Dazu kommen selbstgeschaffene Feindbilder: Der alte weiße Cis-Mann und die unrasierte Männerhasserin stehen sich förmlich gegenüber und schreien einander an.
Eine Auswertung der "Financial Times" kam im Januar zu dem Ergebnis, dass junge Frauen in Deutschland immer liberaler werden, junge Männer dagegen immer konservativer. Ein weltweiter Trend. Die Schere der politischen und gesellschaftlichen Ansichten wird also tatsächlich immer größer.
Nicht nur mit Blick auf den Feminismus.
Aber auch die Herangehensweise von Feminist:innen wird häufig kritisiert, weil sie zu fordernd, zu wütend, zu destruktiv sei. Laut Nadia Shehadeh ist das kein neuer Vorwurf. Die Idee, dass Feminist:innen selbst schuld sind, wenn ihre Ideen nicht angenommen würden, sei so alt wie die ersten feministischen Bewegungen selbst. Und auch das Narrativ der aggressiven und männerhassenden Feministin gehöre schon immer zum Repertoire der Abwehrargumente dazu. Shehadeh sagt:
Wie aber Feminismus umsetzen, wenn die Hälfte der Gesellschaft männlich ist? Mit Blick darauf betont die Expertin, dass Frauen nicht automatisch Feministinnen seien, nur weil sie weiblich sind. Genauso wenig seien Männer per se anti-feministisch wegen ihres Geschlechts. Vielmehr sei relevant, wie sehr man "von kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Strukturen profitiert – und ob man verstehen will und kann, wie Macht- und Gewaltstrukturen Gesellschaften strukturieren".
Meint: Wer von dem aktuellen System profitiert, wird sich seltener dagegen erheben. Zumindest dann nicht, wenn man sich nicht selbst mit seinen dadurch verbundenen Privilegien auseinandersetzt.
Ähnlich wie bei Rassismus würden auch bei Anti-Feminismus keine Argumente oder netten Interventionen helfen, merkt Shehadeh an. Wenn es um Überzeugungen geht, helfe keine Logik. Egal, wie harmlos die Forderungen seien, im Kampf für Gleichberechtigung sei man immer wieder Hass und Häme ausgesetzt.
Zeigen würde sich das etwa an dem immensen emotionalen Hass gegen das Gendern, aber auch an den etlichen Angriffen auf feministische Protagonist:innen auf Social Media.
Hass im Internet nimmt allgemein zu. Das geht auch aus einer Studie des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz aus dem Februar hervor. Demnach sind mit 30 Prozent jedoch besonders junge Frauen von Beleidigungen und ähnlichem auf Social Media betroffen. Ebenfalls hohe Werte von 28 bis 36 Prozent erreichten queere Menschen und Personen mit Migrationshintergrund.
Nur wie kann man gegen diesen Trend und all den Gegenwind ankommen? Nadia Shehadeh geht davon aus, dass es in Krisen-Zeiten wie diesen schwieriger ist, Massen zu erreichen. Grund dafür seien die sozialen Missstände, die aktuell immer stärker zutage treten. Während der Pandemie ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander gegangen. Extremer Reichtum hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen.
Hinzu kommen die Inflation und der russische Angriffskrieg, die noch mehr Menschen in Existenzängste versetzten und die Situation weiter zuspitzten.
Laut der Expertin beschleunigen zudem Rassismus und die Sparpolitik der Ampel anti-feministische Entwicklungen. Im Feminismus gebe es allerdings ebenfalls unsolidarisches oder rassistisches Denken, etwa in Form des "weißen Feminismus" oder Terfs.
Terf steht für Trans Exclusionary Radical Feminist. Es handelt sich also um Feminist:innen, die laut eigener Aussage nur Feminismus für "echte" Frauen wollen. Jene, die trans* sind und nicht mit einem weiblichen Körper geboren wurden, werden ausgeschlossen und häufig angefeindet. Als prominentestes Beispiel dafür gilt hier wohl "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling.
An weißem Feminismus wird dagegen kritisiert, dass er lediglich darauf abzielt, die Machtverhältnisse der Geschlechter aufzubrechen. Dabei wird in den Forderungen nicht berücksichtigt, dass arme, behinderte, queere oder dunkelhäutige Frauen unter Mehrfachdiskriminierung leiden.
Vieles stehe echter Gleichberechtigung also aktuell im Weg. Deshalb sei aus Sicht von Shehadeh vor allem eins wichtig: "Dranbleiben – egal, wie zäh es sich auch manchmal anfühlt".