Deutschland scheint gespalten: Auf der einen Seite stehen die, die vor der dritten Corona-Welle und der deutlich ansteckenderen Mutante B.1.1.7. warnen. Auf der anderen werden die Rufe nach Lockerungen des Lockdown immer lauter. Trotz steigender Inzidenzzahlen öffneten am Montag bundesweit die Friseure und in Teilen des Landes Baumärkte und Gartencenter.
Einer, der den Spagat zwischen Vorsicht und Rückkehr zur neuen Normalität wagen will, ist Karl Lauterbach. Der Gesundheitsexperte der SPD erklärte im "Spiegel" seine Strategie, mit der er einerseits Öffnungen möglich machen, andererseits die Bevölkerung vor dem Coronavirus schützen würde.
Watson hat mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule über Lauterbachs wichtigste Aussagen gesprochen und sie bewerten lassen.
Lauterbach fordert, die zweite Dosis erst am Ende des jeweils zugelassenen Spielraums zu verabreichen. So könnten mehr Menschen schneller die Erstimpfung erhalten. Laut einer Modellrechnung, die der Gesundheitspolitiker gemeinsam mit der Humboldt-Universität und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung durchgeführt hat, könnte man so "zwischen 8000 und 14.000 Menschenleben retten", erklärt Lauterbach.
Ulrichs findet Lauterbachs Vorschlag, mehr Erstimpfungen zu verabreichen und mit der Zweitimpfung zu warten, sinnvoll:
Besonders beim Impfstoff Astrazeneca würde es sich lohnen, mit einer zweiten Impfung zu warten, "weil sich da die Vergrößerung des Abstandes zur zweiten Impfung sogar positiv auf den Schutz auswirkt", sagt Ulrichs.
Mit einer ausführlichen Teststrategie will Lauterbach einerseits die weitere Verbreitung des Virus verhindern, andererseits Lockerungen, wie die Öffnung des Einzelhandels, ermöglichen.
So schlägt der Gesundheitsexperte vor, dass an Schulen und Betrieben einmal wöchentlich ein Corona-Schnelltest von geschultem Personal durchgeführt werden soll. Wer negativ ist, darf daraufhin einen Tag lang im Einzelhandel einkaufen.
Epidemiologe Ulrichs stimmt zu, dass dies eine Möglichkeit wäre, den Einzelhandel sicher wieder öffnen zu können:
Auch geschultes Personal, zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer, könnten die Probenentnahme vornehmen, schlägt Ulrichs vor.
Corona-Schnelltests direkt vor den jeweiligen Restaurants oder Geschäften durchzuführen, lehnt Lauterbach ab. "Wer soll diese Tests durchführen und überprüfen? Wer soll die Durchführung überwachen, soll das der Koch oder die Verkäuferin machen?", sagt er gegenüber dem "Spiegel". Wichtig ist es also, dass die Tests weiterhin nicht von Laien ausgeführt werden.
Auch Selbsttests sieht der SPD-Politiker skeptisch, denn wer ein positives Ergebnis erhält, könnte es dem Gesundheitsamt verschweigen und die Quarantäne so umgehen.
Epidemiologe Ulrichs teilt Lauterbachs Einschätzungen, was das Durchführen von Tests vor Restaurants und Läden angeht, "voll und ganz". Außerdem sagt er:
Zu groß sei das Risiko falschnegativer Ergebnisse, so Ulrichs.
Wie es mit kostenlosen Corona-Schnelltests für alle, wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sie kürzlich versprochen hatte, sowie der Öffnung des Einzelhandels weitergeht, wird am Mittwoch bei der Bund-Länder-Konferenz verhandelt.
(ak/jd)