Ohne Maske in den Supermarkt? Manch einer kann sich das nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie gar nicht mehr vorstellen. Genau das fordert jetzt aber der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen – zumindest für vollständig Geimpfte.
"Jeder kann dann immer noch individuell entscheiden, ob er oder sie weiter Maske tragen will – Pflicht sollte es dann aber nicht mehr sein", sagte er der "Bild"-Zeitung. Solch konkrete Anreize seien wichtig, um die Impfmoral der Bevölkerung hochzuhalten, die in den vergangenen Wochen leicht ins Stocken kam. Aber wie würde so eine Maskenpflicht nur für Ungeimpfte in der Praxis aussehen?
Beim Betreten eines Flugzeugs oder beim Buchen eines Kinotickets mag die Kontrolle des Impfstatus mithilfe eines digitalen Impfpasses vielleicht noch gehen, doch wie sieht das in einem Supermarkt mit schnellem Publikumsverkehr oder beim Einkaufsbummel durch viele kleine Läden aus? Für watson fragten wir bei Vertretern des Handels nach, was sie von der Idee halten.
Klare Worte findet Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverband Bayern: "Dazu gibt es nur zu sagen: Gut gemeint bedeutet nicht immer gut gemacht. Die Idee, die Maskenpflicht für Geimpfte als Impfanreiz fallenzulassen, ist nachvollziehbar, nur: Wie will man das kontrollieren? Das ist unrealistisch", so Bernd Ohlmann im Gespräch mit watson. "Wir sind Einzelhändler, wir sind nicht das Gesundheitsamt oder die Polizei. Wir können nicht jeden Kunden nach seinem Impfstatus fragen und gefälschte Impfausweise darunter erkennen."
Prinzipiell sei es auch im Sinne des Handels, Anreize für Impfungen zu schaffen, um über eine Herdenimmunität zurück zur Normalität zu finden – nur könnten Ladenbesitzer eine individuelle Maskenpflicht nicht prüfen. Schon personell wäre das ein Problem, da die Inhaber zusätzliches, geschultes Personal zum Impfcheck an der Tür abstellen müssten. Doch selbst dann: Was, wenn der Kunde an der Tür Maske trägt, sie aber zwischen den Supermarkt-Regalen absetzt? Derartige Situationen wäre kaum zu überwachen.
Die Sonder-Regelung für Geimpfte könnte so auch eine Menge Streit mit Kunden verursachen, von denen die Ladenbesitzern in der Vergangenheit eigentlich genug hatten. "Zu Beginn der Maskenpflicht gab es noch zahlreiche Diskussionen mit Kunden, die sich von der Pflicht befreit fühlten oder Kassierern fragwürdige Atteste vorlegten. Diese Reibereien sind, Gott sei Dank, vorbei und es wäre schade, sie wieder aufflammen zu lassen", so Ohlmann.
"Was man nicht unterschätzen darf, ist auch: Viele Kunden fühlen sich sogar sicherer beim Einkauf mit der Maskenpflicht, die sollen sich nicht unwohl fühlen müssen", berichtet er. "Gerade wenn sich die Menschen an den Regalen näher kommen, ist die Maske immer noch der simpelste Schutz vor Infektionen und weitestgehend akzeptiert."
Diesen Schutz jetzt fallenzulassen, sei verfrüht. "Wir sollten lieber zu vorsichtig sein, als einen weiteren Lockdown zu riskieren", so Ohlmann. "Deshalb sagen wir als Einzelhändler: In der derzeitigen Lage mit einem nahenden Herbst und steigenden Delta-Infektionen – lasst uns alle weiter Masken in den Geschäften tragen."
Das sähe man nicht nur in Bayern, sondern auch bundesweit so, wie Stefan Hertel vom Handelsverband Deutschland bestätigt: "Für den Einzelhandel ist das Wichtigste, dass alles unternommen wird, um die Pandemie dauerhaft zu beenden und weitere Lockdowns zu vermeiden. An die Maskenpflicht haben sich Kunden und Händler sehr gut gewöhnt, deshalb sollte sie, solange sie laut den Experten aus der Medizin einen Beitrag zur Eindämmung von Corona leisten kann, auch aufrecht erhalten werden."
Er glaubt auch nicht, dass sich die Befreiung von der Maskenpflicht als Anreiz eignet, da viele Kunden gar kein Problem mehr damit hätten. Noch wichtiger: Den Einzelhändel zu einer Impf-Kontrolle zu verpflichten, sei für jeden Geschäftsinhaber "erheblicher Mehraufwand und sollte nur in absoluten Notzeiten als staatliche Vorgabe in Erwägung gezogen werden."
Carina Peretzke vom Handelsverband in Nordrhein-Westfalen sieht noch ein zusätzliches Problem. "Die Kontrolle des Impfpasses wäre ein weiteres Hemmnis für Kunden auf dem Weg zum Einkauf", sagt sie. "Schon bei den Terminvereinbarungen war es so, dass die Geschäfte weniger Umsatz verzeichneten, da einigen der Prozess zu aufwendig war. Wenn die Menschen nun noch ein weiteres Dokument von zu Hause mitführen und vorzeigen müssen, ist das eine weitere Hürde, die abschreckt."
Dabei sei es gerade jetzt umso wichtiger, dass das Geschäft wieder anziehe, denn viele Einzelhändler sind immer noch im Rückstand. "Die Händler arbeiten sich gerade erst langsam aus den Verlusten der Lockdowns heraus", so Peretzke. "Wir dürfen diesen Fortschritt nicht riskieren."
Ihr Kollege aus Bayern gibt zu bedenken, dass – sollte es tatsächlich zu einem Wegfall der Maskenpflicht für Geimpfte kommen – viele Ladenbesitzer der Einfachheit halber und zum Schutz ihrer Mitarbeiter und Kunden selbstständig an der allgemeinen Maskenpflicht festhalten würden.
"Ladenbesitzer können auch weiter eine Maskenpflicht für jedermann in ihren Räumen verlangen, denn schließlich obliegt ihnen das Hausrecht", so Ohlmann. "Ich könnte mir vorstellen, dass viele das auch einfordern würden." Auch Geimpfte sollten ihre medizinische Maske daher nicht vorschnell entsorgen, denn diese wird uns auch in Zukunft vermutlich noch ein wenig erhalten bleiben.