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Corona-Inzidenz unter 50: Freuen wir uns zu früh? Das sagt ein Epidemiologe

23.05.2021, Berlin: Viele G
Am Pfingstwochenende öffnete auch Berlin seine Bars und Restaurants im Außenbereich. Bild: dpa / Annette Riedl
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Corona-Inzidenz in Deutschland erstmals seit Oktober unter 50: Freuen wir uns zu früh? Das sagt ein Epidemiologe

26.05.2021, 18:2927.05.2021, 09:25
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Es ist ein Meilenstein in der jüngsten Welle der Pandemie: Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Infektionen ist erstmals seit vergangenen Oktober auf unter 50 Fälle pro 100.000 Einwohner gesunken. Wie das Robert-Koch-Institut am Mittwoch meldete, lag sie nun bei 46,8. Bundesweit wurden innerhalb eines Tages 2626 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet, zusätzlich wurden 270 weitere Todesfälle verzeichnet.

Die Sieben-Tage-Inzidenz geht seit einigen Wochen stetig zurück. Der Wert, der die Zahl der Neuinfektionen unter 100.000 Menschen angibt, ist ein wesentlicher Maßstab für die Verschärfung oder Lockerung von Corona-Auflagen. Zuletzt unter 50 gelegen hatte der Wert am 20. Oktober.

Ist die Inzidenz von unter 50 nun ein Grund zur Freude – oder freuen wir uns angesichts der neuen indischen Variante zu früh? Wir haben darüber mit Timo Ulrichs gesprochen, Epidemiologe an der Akkon-Hochschule Berlin.

Wie wichtig ist die Inzidenz überhaupt noch?

"Ja, das ist ein guter Grund, sich zu freuen, denn damit sinken auch die Zahlen der Krankenhauseinweisungen und der Intensivbettenbelegungen sowie der Todeszahlen durch Covid-19", sagt Ulrichs.

Auch wenn immer wieder Kritik daran aufkommt, dass Deutschland die Inzidenz als maßgeblichen Faktor heranzieht, um über Öffnungen oder neue Maßnahmen zu entscheiden, hält Ulrichs sie nach wie vor für den ausschlaggebenden Punkt. "Die Neuinfiziertenzahlen sind nach wie vor ein guter Parameter, um frühzeitig Veränderungen sichtbar zu machen, und der gegenwärtige Abwärtstrend ist durch sie gut belegt", sagt der Experte zu watson.

Doch auch wenn man andere Faktoren heranzieht, bestätigt sich der Trend, dass die aktuelle Welle massiv abflaut. Egal ob Krankenhauseinweisungen von Covid-19-Patienten, Belegungen auf den Intensivstationen oder die Todeszahlen: Alle weiteren Parameter zeigten etwas zeitversetzt ebenfalls nach unten, so der Experte.

Gefährdet die indische Variante den Corona-Abwärtstrend?

Den Abwärtstrend zum Stoppen bringen könnte allerdings die sogenannte indische Mutante. Sie ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits in 53 Ländern und Gebieten registriert worden und wird von ihr als "besorgniserregend" eingestuft. Die zuerst in Indien entdeckte Variante des Coronavirus könnte bis zu 80 Prozent leichter übertragbar sein als die bislang vorherrschende britische Variante. Das sagte der Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial College London in einer Online-Pressekonferenz am Mittwoch. Er halte es für wahrscheinlich, dass sich die Mutante als dominant durchsetzen werde.

In Teilen Großbritanniens ist die indische Mutante Expertenschätzungen zufolge bereits vorherrschend. Die Ausbreitung der auch als B.1.617.2 genannten Variante in Großbritannien erfordere eine sofortige Einleitung von Maßnahmen, um die Fallzahlen zu senken, teilte die als "Independent Sage" bekannte Gruppe unabhängiger Experten mit.

Doch wie ist die Lage in Deutschland?

"Es ist nach wie vor ein Wettlauf", sagt Timo Ulrichs zu watson. "Gelingt uns eine gute Durchimpfung bis hin zum Erreichen der Herdenimmunität, kann sich die indische Variante nicht mehr stark ausbreiten und wird durch eine Teilabdeckung der vorhandenen Impfstoffe klein gehalten." Die indische Variante könne den Erfolg bei der Virusbekämpfung hierzulande nur trüben, wenn wir nicht schnell genug impfen, so der Experten.

Mit Blick auf die geplanten Öffnungsschritte vieler Bundesländer für die kommenden Tage mahnt Ulrichs zur Vorsicht.

Man solle lieber zunächst die Außenbereiche öffnen als alles auf einmal. "Abstandhalten und Maskentragen sowie gute Hygienekonzepte und Negativtestungen sollten die Öffnungsschritte begleiten."

Im Übrigen sei es "überhaupt nicht einzusehen, warum die Schulen und Kitas nicht zuerst wieder geöffnet werden" – so wie wiederholt im Lockdown angekündigt, kritisiert Ulrichs. Er ist sicher: "Die Schulöffnungen sind durch die sinkenden Neuinfiziertenzahlen gut abgesichert."

Inzidenz von 20 als neue Maßgabe?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) musste derweil erneut Kritik für seinen Vorschlag zu Lockerungen bei einem Wert von unter 20 einstecken. Er relativierte seine Äußerungen inzwischen. Spahn hatte gesagt, er strebe für weitreichende Öffnungen im Sommer einen Corona-Inzidenzwert von unter 20 an. Er habe damit aber "keine neue Zielmarke gesetzt", sagte der Minister nun am Mittwoch im RTL/ntv "Frühstart". Ein Ziel aber sei klar: "Möglichst viel impfen, möglichst wenige Infektionen bis Ende Juni, dann wird es ein richtig guter Sommer." Die Frage, "wie viel Ruhe wir vor diesem Virus haben im Sommer, hängt sehr stark davon ab, wie tief wir jetzt die Infektionszahlen runterbringen".

FDP-Fraktionsvize Michael Theurer warf Spahn vor, die Menschen zu verunsichern. Im Februar habe er noch eine Inzidenz von zehn ins Spiel gebracht, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. "Jetzt verdoppelt er wie ein Zocker auf 20 und rudert schnell wieder ohne glaubwürdige Erklärung hastig zurück." Spahn solle sich besser um einen durchdachten, verbindlichen Stufenplan für Öffnungen, die Beschaffung von Impfstoffen und den digitalen Impfpass kümmern.

Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ): "Der Wert einer zu erreichenden Inzidenz von 20 ist eine gegriffene Zahl, die für neue Verunsicherung sorgen könnte." Der Inzidenzwert alleine beachte weder den Impffortschritt noch die sich leerenden Intensivstationen.

(mit Material von afp)

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