Weiße Strände, türkisblaues Wasser und kitschige Holzschaukeln am Meeresufer: Das sind die Tiktoks, die mir Freund:innen vor einigen Wochen zuschickten, versehen mit einem neidischen "Da fährst du hin?".
Ja, mein eher spontan ausgewähltes Reiseziel auf der Balkanhalbinsel ist seit diesem Jahr kein Geheimtipp mehr und das dürfte vor allem auch an Social Media liegen. Suchanfragen für Unterkünfte in Albanien, oder wie es bei Tiktok heißt, auf den "Malediven Europas", sollen im Vergleich zum letzten Jahr laut mehreren Reiseanbietern um 200 Prozent gestiegen sein.
Und das merke ich nicht nur auf Instagram und Tiktok, seit auch mein Algorithmus weiß, dass ich nach Albanien fahre. Das merke ich auch vor Ort, wo zahlreiche Baustellen für Hotelketten und Cocktail-Bars die, wohl noch bis vor Kurzem einsame, albanische Küstenlinie zieren.
Lohnt es sich also wirklich, eine Reise in dieses Land, das weniger Einwohner:innen hat als die gesamte Stadt Berlin und doch den besseren Börek verkaufen soll? Ich packe Bikini und den Sprachführer für eine Sprache ein, die es nicht einmal bei Duolingo gibt, und wage den Selbstversuch.
Meine Route führt über die Hauptstadt Tirana, die mich ein bisschen an eine Miniversion von Istanbul erinnert, direkt in den Süden Albaniens – dorthin, wo der Tiktok-Hype zu Hause ist.
Ich habe ein Airbnb in Saranda gebucht, einem kleinen Küstenort, der mittlerweile eigentlich nur vom Tourismus lebt. Noch ist Nebensaison und man zahlt für eine gesamte Zweizimmerwohnung samt riesigem Balkon und Meerblick etwa 30 Euro pro Nacht. In den Sommermonaten kostet dieselbe Unterkunft mehr als 100 Euro pro Nacht.
Denn gerade an der Küste hat man sich auf das neue Leben mit den Social-Media-Tourist:innen eingestellt. In Saranda springt einem ein "Happy Hour"-Schild nach dem nächsten entgegen, Speisekarten in Restaurants gibt es meist nur auf Englisch. Wer hier albanische Kultur hautnah erleben möchte, ist definitiv am falschen Ort.
Doch die meisten Tourist:innen kommen hier sowieso eher für die Strände her. Der perfekte Ort dafür befindet sich direkt hinter Saranda: das Dörfchen Ksamil. Die Top 3 Strände laut Tiktok: der Bora Bora Beach, Pema e Thatë und Kep Merli – hier verbrachte schon Dua Lipa, die selbst Wurzeln in Albanien hat, ihren Urlaub.
Klickt man sich durch die mittlerweile zahlreichen Reiseblogs und Ratgeber-Reels zur albanischen Riviera, findet man schnell heraus, dass es aber auch noch Dutzende weitere schöne Strände in Ksamil zu entdecken gibt. Das einzige Problem: Nur wenige davon sind wirklich groß.
Anfang Mai ist es zwar in Albanien noch so ruhig, dass sogar die Sonnenliegen, die sonst bis zu 10 Euro am Tag kosten, oft kostenlos verfügbar sind. Doch vergleicht man die Anzahl der Tiktok-Videos mit der Anzahl der Liegen an den Stränden in Ksamil, wird einem schnell eines klar: You'll never walk alone.
Wer sich beim Sonnenbaden etwas mehr Ruhe wünscht, sollte daher lieber ein Stück in Richtung Norden fahren. Zwischen den Orten Himara und Dhermi finden sich nämlich Strände, die deutlich weitläufiger sind – und das Wasser ist mindestens genauso blau wie in Ksamil.
In der Gegend rund um Himara kommen außerdem auch alle auf ihre Kosten, die neben dem ganzen Cocktailschlürfen ab und an ein bisschen Action brauchen. Hier lohnt sich nicht nur eine Kajak-Tour von Strand zu Strand, sondern auch eine Wanderung ins angrenzende Çika-Gebirge. Aus 2000 Höhenmetern kann man einen unglaublichen Blick über die Küste bis nach Korfu erhaschen.
Für richtige Wander-Enthusiasten bietet aber wahrscheinlich der Norden mit den albanischen Alpen die absolute Erfüllung. Bei einem Abstecher in das Bergdorf Shkodra kann man auch die echte albanische Küche – zu echt albanischen Preisen – kennenlernen.
Denn hier kommt ein großer Nachteil an dem Hype um Albanien: Er ist kein Geheimnis mehr, auch nicht für die Menschen, die dort ein Geschäft oder ein Restaurant besitzen. Und so steigen die Preise und das Essen wirkt sehr viel weniger traditionell als in den kleineren Orten im Inland.
Selbst den traditionellen Börek, der hier genau wie in der Türkei mit Spinat, Fetakäse oder Hackfleisch gefüllt wird, muss man in Orten wie Ksamil eher suchen. Findet man aber eine kleine Bäckerei, wird man hier mit Sicherheit mehrfach einkehren: Denn in meinen Augen übertrifft die albanische Börek-Variante alles, was ich bisher in Berlin gegessen habe – und selbst der Vergleich mit Istanbul fällt mir schwer.
Vor allem Fisch ist in den Küstenorten Albaniens logischerweise eine Spezialität. Zum ersten Mal esse ich Oktopus und tatsächlich frische Sardinen aus dem Meer. Doch auch hier zeigt sich eine unangenehme Entwicklung. Spätestens am Getränkepreis erkenne ich, dass die Küste Albaniens zu einem künstlichen Ort für Urlauber:innen aus EU-Staaten geworden ist. Denn ein kleines Bier für umgerechnet fünf Euro können sich wohl die wenigsten Albaner:innen leisten.
Und das bekommt man teilweise als Tourist:in auch zu spüren. Nicht überall schlug mir direkt die albanische Freundlichkeit entgegen. Mitunter wurde ich ignoriert oder mit einem genervten Kopfschütteln wieder weggeschickt.
Vielleicht liegt es an der langen und harten sozialistischen Vergangenheit, die bei den Menschen eine gesunde Skepsis gesät hat. Vielleicht ist es auch einfach das Unverständnis gegenüber diesem Hype um das eigene Land.
Kommt man aber mit den Menschen ins Gespräch, sind sie meist sehr viel offener als beispielsweise norddeutsche "Fischköppe". Um Albanien zu entdecken, muss man also gerade als Nordlicht wie ich auch ein bisschen Mut zeigen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass sich das in jedem Fall lohnt. Denn neben Stränden, Fisch und Börek hat dieses Land so unglaublich viele Überraschungen zu bieten.
Und dann gibt es da noch einen Zauberspruch, den man sich vor der Reise einfach gut einprägen muss: FALEMENDERIT, ausgesprochen mit langem E am Ende, Falemendeerit. Dieses nicht ganz einfache Wort für Dankeschön auf Albanisch kann einem so manche Tür öffnen – und die komplexe Schönheit Albaniens offenbaren.