
Wichtig: Die beiden Personen auf dem Bild haben Spaß. Ich bin keine davon. Bild: Getty / lisegagne
Das erste Mal
In unserer watson-Serie "Das erste Mal" berichten Kolleg:innen von Dingen, die sie bisher noch nie getan hatten und nun ausprobiert haben – und ziehen ein subjektives und ehrliches Fazit.
22.03.2025, 07:3722.03.2025, 07:59
Schon seit ich denken kann, stand der Fallschirmsprung auf meiner imaginären Bucket List. So wie andere den Kilimandscharo besteigen oder mit Haien tauchen wollen, hatte ich es auf den freien Fall aus tausenden von Metern abgesehen.
Als ich mit 16 Jahren dann meine Bucket List feierlich zu Papier brachte, landete der Fallschirmsprung jedoch nur auf Platz 3 – direkt hinter "Piercing stechen lassen" und "Tattoo machen". Prioritäten müssen sein.
Das erste Tattoo kam automatisch mit der Volljährigkeit, das Piercing folgte zwei Jahre später, aber der Fallschirmsprung? Der bereitete mir mit jedem Jahr immer mehr Sorgen. Während ich als Teenager noch begeistert auf Achterbahnen saß, bekam ich mit Anfang 20 immer mehr Respekt vor der Höhe. Plötzlich war ich diejenige, deren Hände verzweifelt nach dem Geländer suchten, anstatt wie früher die Aussicht an der äußeren Kante der Klippe zu genießen. Großartig.
Planung vom Fallschirmsprung: Jetzt gibt's kein Zurück mehr!
Während der Corona-Lockdowns staute sich in mir jedoch eine immense Energie an, die ihren Höhepunkt passend zur Lockerung der Maßnahmen im Frühjahr 2022 fand. Mit diesem Überschuss an aufgestauter Energie beschloss ich, die aufkeimende Angst in mir zu ersticken. Ich wusste, wenn ich nicht bald springen würde, dann würde ich es niemals machen. Aber eins war mir von Anfang an klar: Alleine würde ich mich das erst recht nicht trauen.

Gerade angekommen. Spoiler: Dieses Lächeln wird in 30 Minuten ganz anders aussehen.Bild: privat
Also fragte ich herum und fand schnell eine Freundin, die mutig genug war, sich mit mir in die Tiefe zu stürzen. Doch wie das mit Anfang-Zwanzigjährigen eben so ist – niemand hat das nötige Kleingeld für solche Spontanaktionen. Passenderweise stand ihr Geburtstag kurz bevor. Ich trommelte also den gesamten Freundeskreis zusammen, der zum Glück groß genug war, um gemeinsam 200 Euro zu sammeln.
Währenddessen versicherte ich mich immer wieder, dass meine Freundin ihre Zusage auch wirklich ernst gemeint hat. Nicht, dass sie zugesagt hatte, weil sie wusste, dass ihr ohnehin das Geld für den Sprung fehlen würde.

Wenn du realisierst, dass dein "Sicherheitsnetz" nur aus ein paar Schnüren und Stoff besteht…Bild: privat
Zu meiner Bestellung gab's für uns beide jeweils einen Kühlschrankmagneten und einen pdf-Ausdruck. Als wir ihr schließlich das Geschenk an einem warmen Sommerabend in einem Berliner Park überreichten, fiel ihre Reaktion ähnlich zu dem aus, was ich mir bereits den ganzen Abend über dachte: "Verdammt, jetzt muss ich das ja wirklich machen!"
"Wir bekamen unsere Schutzanzüge, eine Sicherheitsunterweisung und den wertvollen Hinweis, dass ein kleiner Fehler bei der Landetechnik schnell mal zu einem Beinbruch führen könnte."
Fallschirmsprung – meine Erfahrung zwischen Adrenalin und Panik
Zwei Monate später standen wir im Norden von Brandenburg unter fast klarem Himmel. Ich war seltsam ruhig, fast so, als hätte ich jede Aufregung schon im Vorhinein verarbeitet. Mit unseren Tickets gingen wir zum Empfang und wurden herzlich begrüßt. Für weitere 70 Euro konnten wir nun auch Fotos und Videos dazu buchen. Als würde ich in diesem Jahr nicht ohnehin schon auf einen Urlaub verzichten müssen, nur um hier zu sein.
Wir bekamen unsere Schutzanzüge, eine Sicherheitsunterweisung und den wertvollen Hinweis, dass ein kleiner Fehler bei der Landetechnik schnell mal zu einem Beinbruch führen könnte. Und tschüss, innere Ruhe.
Kurz vor dem Sprung wurde uns jeweils eine kleine Kamera ins Gesicht gehalten und ein Fragenhagel prasselte auf uns los: "Wie fühlst du dich?", "Bist du aufgeregt?" – als ob das nicht offensichtlich wäre. Scheinbar wurde gefilmt, egal ob wir uns für oder gegen das Video entschieden hatten. Als würde mich dieses cringe Interview, auf das ich mich nicht mal konzentrieren konnte, weil mein Herz so sehr pochte, dass es drohte meinen Brustraum zu durchstoßen, doch zu einer Kaufentscheidung umstimmen.
Ein paar Momente später saßen wir in einem klapprigen Flieger, der sich mit fragwürdiger Geräuschkulisse auf 4000 Meter Höhe quälte. Durch das klare Wetter konnten wir selbst aus dieser Höhe noch die Felder Brandenburgs bestaunen, die unter uns immer kleiner wurden. Dann rüttelte es zweimal, die ersten Hobbyspringer nahmen Anlauf, stürzten sich aus dem Flieger und verschwanden aus meinem Blickwinkel.

In diesem Moment hinterfrage ich alle Lebensentscheidungen.Bild: privat
Und dann war ich dran. Ich wurde meinem Tandempilot an den Bauch geschnürt, wie der Rucksack, den Tourist:innen aus Angst vor Taschendieben vorne tragen. Ein schwungvoller Ruck – und plötzlich hing ich außerhalb des Flugzeugs, mit Blick auf nichts als den Abgrund.
"Ich hatte nicht einmal Zeit, um zu schreien. Ich fiel einfach."
Ohren zu, Augen auf: Warum ich den Sprung bereue
Meine Beine baumelten in der freien Luft, während mir der Wind ins Gesicht donnerte. Mit aller Kraft sammelte ich meine Körperspannung, um nicht wie eine Feder aus dem Flugzeug gezogen zu werden. Mein Puls war vermutlich irgendwo im vierstelligen Bereich, und mein einziger Gedanke war: "Äh. Nein."
Mein Tandempilot fing an von drei herunterzählen und sprang noch bevor er bei eins angekommen war. Ich hatte nicht einmal Zeit, um zu schreien. Ich fiel einfach. Und sofort fingen meine Ohren an, höllisch weh zu tun. Im Nachhinein ist es total logisch, ich hatte schon bei normalen Flügen immer Schwierigkeiten mit dem Druckausgleich gehabt. Warum sollte es jetzt anders sein?
Während den 50 bis 60 Sekunden freier Fall versuchte ich in meinem Gedächtnis zu kramen, was mir außer Kaugummi sonst immer geholfen hatte. Und in diesen Gedanken verloren, zog mein Sprung an mir vorbei.
Ich mahlte mit dem Kiefer – der Fallschirm ging auf. Ich blies meine Backen auf – wir schwenkten über die Landschaft. Ich steckte mir die Finger in die Ohren – wir näherten uns dem Boden. Ich gähnte absichtlich – und landete. Immerhin ohne Beinbruch. Aber dafür mit einer Klangqualität, als hätte mir jemand zwei Kilo Watte ins Ohr gestopft.
Kaum waren wir gelandet, wurden wieder unangenehme Fragen für die Kamera gestellt. Ich winkte schnell ab, wollte mich aus der Situation befreien und auf meine Freundin warten, um mich mit ihr auszutauschen. Und vor allem wollte ich einen Moment in Ruhe sitzen.
Wie war der Sprung? Wie hatte sich das angefühlt? Seltsam, ein bisschen wie Achterbahnfahren. Zumindest wurden meine inneren Organe ähnlich wild durcheinander gewirbelt. Und dann sprudelt der Körper voller Adrenalin. Aber in erster Linie erinnere ich mich nur an das Wattegefühl in meinen Ohren. Ich hörte danach noch drei Tage lang nur gedämpft.
Meiner Freundin ging’s anders. Während mein misslungener Druckausgleich für ein frühzeitiges Ende des Adrenalinkicks gesorgt hatte, kam sie total überdreht auf mich zugelaufen und wäre am liebsten nochmal gesprungen. Eine Option, die ich für mich definitiv ausschließe.
Und so klebt er bis heute zwischen Weihnachtskarten und Stickern: der Kühlschrankmagnet, der mich über 200 Euro und zumindest temporär mein Gehör gekostet hat. Aber immerhin kann ich meinen Enkelkindern eines Tages sagen: Ich war Fallschirmspringen.