Als Donatella Versace vor wenigen Tagen ihre Kollektion dem Mailänder Modepublikum präsentierte, war schnell eindeutig, worum es sich handelt. Perfekt geschnittenes Leder, goldene Verzierungen und dramatische Silhouetten: Es wirkte wie ein Abschied, noch bevor dieser bekannt wurde. Eine Ode an die unterschiedlichen Höhepunkte ihrer 27-jährigen Karriere als Designerin eines der bekanntesten Modemarken der Welt.
Jetzt ist klar: Die Zeit für Donatella ist abgelaufen. Von nun an soll das Design erstmalig von jemanden übernommen werden, der nicht den Namen Versace trägt.
Wie kam es dazu und was hat der Wechsel zu bedeuten?
27 Jahre lang prägte Donatella Versace die Modewelt, wie kaum eine andere Designerin. Sie galt als Schafferin ganzer Generationen neuer Supermodels. Promis, die sich von ihr einkleiden ließen, hatten es geschafft. Über Jahrzehnte hinweg gelang ihr, Versace immer wieder neu zu erfinden, ohne den Geist ihres ermordeten Bruders Gianni zu verlieren.
1978 wurde das Modeunternehmen von Gianni gegründet, als Duo eroberten sie die Modewelt im Sturm. Nur vier Jahre später schafften sie einen der ikonischsten Mode-Momente der 80er Jahre: "Oroton"-Kleider wirkten wie flüssiges Gold und bestanden komplett aus Metall. Donatella war von früh an mehr als nur "die Schwester" – sie beeinflusste den kreativen Kurs von Versace von Beginn an.
Die Kollektionen der Versace-Geschwister eckten an. Nicht selten wurden sie als "vulgär" bezeichnet, es war ein Verrat an die sonst so stillen italienischen Designs der konkurrierenden Modehäuser dieser Zeit. Giorgio Armani sagte damals: "Armani ist für Ehefrauen, Versace für Affären."
Spätestens mit ihrer Kollektion in 1991 schafften sie es dann in den Mode-Olymp. Sie schickten Naomi Campbell, Linda Evangelista, Cindy Crawford und Christy Turlington über den Laufsteg und schufen dadurch das Phänomen der Supermodels. Mit Claudia Schiffer schaffte es auch ein deutsches Supermodel in den Orbit Versaces.
Auch Gigi Hadid dankt Donatella für den Start ihrer Karriere, Lady Gaga widmete ihr das Lied "Donatella" auf dem Artpop-Album. Jennifer Lopez und Dua Lipa schritten bereits über den Laufsteg von Versace. Und sogar Nelson Mandela war Fan der Designs des Hauses.
Am 15. Juli 1997 wurde Gianni Versace vor seiner Villa in Miami erschossen. Der Grund, warum er ebenso zum Opfer eines Serienmörders wurde, ist bis heute nicht final geklärt. Bei seiner Beerdigung trösteten sich seine Freund:innen Madonna, Prinzessin Diana und Elton John gegenseitig.
Es war ein Verlust, den Donatella wohl nie vollends verkraftete. Mit ihm verlor sie nicht nur einen Kollaborateur und Bruder, sondern einen Seelenverwandten. 18 Jahre lang kämpfte sie gegen ihre Drogensucht, bis sie sie im Jahr 2005 schließlich besiegte.
"Als ich ein Kind war, war ich immer mit Gianni zusammen. Was auch immer Gianni getan hat, ich habe es mit ihm getan – und deshalb wurden seine Träume irgendwie auch zu meinen", erzählte sie gegenüber der "Vogue".
So war es wohl auch aus Verpflichtung ihrem Bruder gegenüber, dass sie nach seinem Tod Chefdesignerin wurde – und seine Vision weiterführte.
"Es war die größte Ehre meines Lebens, das Erbe meines Bruders Gianni fortzuführen. Ich danke unserem Designteam und allen Mitarbeitenden für ihre Leidenschaft und Hingabe", schreibt sie in ihrem Abschiedspost als Designerin auf Instagram.
Auch dem Konzern ist wohl klar, dass Versace ohne Donatella nicht funktioniert. Ab sofort soll sie als Chef-Markenbotschafterin weiterhin das Gesicht dafür hinhalten, was ohne sie produziert wird. Ihren Platz als Designerin nimmt dafür Dario Vitale ein. Er gilt in Modekreisen als überwiegend unterschätzt. Bis jetzt.
Seine Einstellung ist überraschend, aber wenig schockierend. Denn seine bisherigen Stationen Bottega Veneta, Dsquared2 und Miu Miu sprechen für sich. Bottega Veneta und Miu Miu gehören zu den heißesten Modemarken der vergangenen Jahre.
Bei letzterem arbeitete er in den letzten 14 Jahren an der Seite von unter anderem Miuccia Prada, einer weiteren italienischen Modeikone. Dort sorgte er dafür, dass Miu Miu sich vom abgeschriebenen Stiefgeschwisterchen von Prada zu einem der relevantesten Modeunternehmen dieser Zeit entwickelte. Seit Wochen zirkulieren Gerüchte, nach denen der Prada-Konzern das Modehaus Versace aufkaufen möchte.
Versace versucht nun also die gleiche Rechnung auf den eigenen Konzern zu übersetzen. Was zu erwarten ist: knallige Farben, gleichzeitig aber weniger auffällige Muster. Weniger Provokation, dafür mehr italienische Handwerkskunst. Vitale könnte versuchen, den Konzern zu verjüngen. Dabei wird das Erfolgsrezept wohl lauten: Versace mit weniger Opulenz, aber nicht weniger Luxus.
In den letzten Monaten spielte die Modeindustrie Bäumlein-wechsle-dich: Dutzende Designer:innen verließen ihre Posten an Prestige-Unternehmen und wurden bei anderen eingestellt.
Die Luxus-Modeindustrie – obwohl sie größer ist, denn je – kämpft um ihren Status in der Gesellschaft. In der Gen Z sind offensichtliche, schreiende Statussymbole verpönt und der Trend "Quiet Luxury" setzt sich seit vielen Jahren immer mehr durch. Weniger ist mehr, galt nie so sehr wie jetzt.
Dolce & Gabbana ist ein weiterer italienischer Modegigant, der als laut und schrill gilt. Seit Jahren setzt das Unternehmen auf prominente Unterstützer:innen: Influencer:innen mit Millionenpublikum ersetzten dort etablierte Models auf den Laufstegen. Mit Selfie-Ikone Kim Kardashian gab es bereits mehrere Kollaborationen. So kann sich das Unternehmen erlauben, sich nicht dem Trend anzupassen und dennoch profitabel zu bleiben.
Ein Blick auf Chanel zeigt, wie sehr die Suche nach einer neuen Identität auch schiefgehen kann. Seit dem Tod von Karl Lagerfeld sucht das französische Modehaus vergeblich nach seiner Identität, die Kollektionen sind langweilig und wenig innovativ.
Am Ende wird das Bestehen von Versace wohl auch daran liegen, wie sehr der Konzern darauf hinsteuert, eine neue Identität zu kreieren – oder die Kreativität von Gianni und Donatella weiterleben zu lassen.
"I hope I've made you proud so far", schrieb Donatella auf Instagram. Ob sie damit Gianni oder die Fans meint, bleibt unklar. So oder so: große Fußstapfen für Dario Vitale.