Für viele Leute ist Australien das Traumland schlechthin: Entspannte Leute, moderne Großstädte, süße Kängurus, atemberaubende Strände. Was will man mehr? Auch ich habe mich nach meinem Backpacking-Trip so sehr in das Land verliebt, dass ich nun seit exakt einem Jahr dauerhaft in Down Under lebe.
Und obwohl ich alles in allem unfassbar glücklich hier bin, fallen mir ohne rosarote Urlaubsbrille doch einige Dinge auf, die mich am australischen Alltag nerven.
Viele Menschen, die in deutschen Großstädten wohnen, kommen hervorragend ohne ein eigenes Auto klar. In Anbetracht der begrenzten Parkplätze und des stressigen Stadtverkehrs, sind öffentliche Verkehrsmittel meist die günstigere und schnellere Option, um von A nach B zu kommen.
Das ist hier in Down Under leider ein bisschen anders. Australien ist sehr dünn besiedelt und selbst die Großstädte sind nicht auf ein Ballungszentrum konzentriert, sondern erstrecken sich flächenmäßig über mehrere tausend Kilometer. Zum Vergleich: Melbourne ist mit seiner Größe von 9.992 km² über zehnmal so groß wie Berlin.
Wer im CBD, also im Stadtkern, lebt, ist mit Bussen, Zügen und Trams verkehrstechnisch einigermaßen gut angebunden. Doch wer etwas weiter außerhalb wohnt (und das sind nun mal die meisten), ist auf das Auto angewiesen. Denn hier fahren die öffentlichen Verkehrsmittel nur sehr selten und vor allem langsam. Da braucht man für eine Strecke, die man mit dem Auto in einer halben Stunde fahren würde, gut zwei Stunden. Kein Witz.
Dementsprechend ist die Stadtplanung in Australien weitestgehend auf Autos ausgelegt: Statt Fußgängerzonen und Fahrradwegen stehen hier Einkaufszentren, Parkplätze und mehrspurige Schnellstraßen im Vordergrund.
Zu Beginn habe ich bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Australien flächenmäßig sehr groß ist. Das sollte zwar keine neue Erkenntnis sein, dennoch unterschätzen viele Reisende, die Distanzen, die zwischen den australischen Hotspots liegen – mich eingeschlossen. Wie groß der rote Kontinent tatsächlich ist, versteht man erst so richtig, nachdem man Tausende Kilometer durch australisches Niemandsland gefahren ist.
Vor ein paar Wochen hat mich meine beste Freundin aus Berlin besucht und wir sind gemeinsam mit dem Auto nach Brisbane und wieder zurück nach Melbourne gefahren. Für den Hinweg haben wir uns zehn Tage Zeit genommen, mit vielen Zwischenstops, Wanderungen und teilweise mehreren Nächten an einem Ort. Ganz entspannt.
Für den Rückweg hatten wir dann einen etwas strafferen Zeitplan. 2000 Kilometer in drei Tagen und mit nur einer Fahrerin (mir). Konkret hieß das: Aufstehen, ins Auto steigen und dann acht Stunden lang den Asphalt anstarren. Gestoppt wurde nur für Benzin, Pinkelpausen und Red Bull.
Seitdem ich in Australien lebe, hat sich mein Verständnis von Distanzen radikal verändert. In Deutschland wäre ich niemals auch nur auf die Idee gekommen solch eine Strecke zurückzulegen, doch hier in Down Under ist eine Odyssee wie diese total normal. Für viele Australier:innen sind zwei Stunden Autofahrt das Äquivalent zu "nur mal kurz die Straße runter" und erst bei Strecken über sechs Stunden lohnt es sich für sie überhaupt, das AUX-Kabel zu verbinden.
Aber was ich besonders absurd finde, ist der Vergleich zwischen Autofahrten in Europa und Autofahrten in Australien: Wenn ich von Deutschland aus vier Stunden lang in eine Richtung fahre, dann lande ich in einem anderen Land, mit einer anderen Sprache, anderem Essen und anderer Kultur. Wenn ich vier Stunden lang von Melbourne aus in eine Richtung fahre, dann bin ich immer noch im selben Bundesstaat und bis auf die Beschriftung der Straßenschilder hat sich sonst nicht allzu viel verändert
Das knüpft auch schon direkt an meinen nächsten Kritikpunkt an: die mangelnde Kultur. In Europa ist es total normal, auf dem Weg zur Arbeit an tausend Jahre alten Bauwerken und Orten von historischer Bedeutung vorbeizulaufen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, tritt man mit seinen durchgelatschten Sneakern auf dieselben Pflastersteine, auf denen auch schon Kaiser, Kriegsführer und Künstler:innen herumstolziert sind.
Australien ist im Vergleich dazu ein sehr junges Land. Neue Gebäude, neue Straßen, neue Leute. Es gibt kaum Überbleibsel historischer Artefakte, die auf eine Zeit vor der Kolonialisierung hinweisen. Stattdessen setzt sich die australische Kultur weitestgehend aus britischen Einflüssen zusammen, gemischt mit Inspirationen aus den USA und dem, was Immigrant:innen über die Jahrzehnte mitgebracht haben.
Dadurch, dass es ein Einwanderungsland ist und es keine weit verbreitete, eigene Kultur gibt, befinden sich viele gebürtige Australier:innen in einer Identitätskrise. Auf der verzweifelten Suche nach Zugehörigkeit klammern sich deshalb viele von ihnen an ihre europäischen Vorfahren. Kulturelle Zugehörigkeit hat zwar nichts mit irgendeinem DNA-Test zu tun, aber wenn mir noch ein Australier stolz erzählt, dass er Italiener sei, nur weil seine Ur-ur-ur-Großeltern ein Ferienhaus in der Toskana hatten, dann schreie ich.
Ob zum Frühstück mit Marmelade, als Sandwich für unterwegs oder als Beilage zum Abendessen: Ich liebe Brot. Und damit meine ich richtiges Brot. Die Art von Brot, bei der die Kruste knuspert und der Teig noch so ein ganz klein wenig klebrig ist, wenn es frisch aus dem Ofen kommt. Nicht das abgepackte Brot, was es hier in australischen Supermärkten an jeder Ecke zu kaufen gibt und was ich mit einer Hand zu einem Fladenbrot flachdrücken kann.
Die Brot-Situation ist hier in Australien zwar nicht so schlimm wie in den USA, doch schlimm genug, um mich zu nerven. Denn wenn ich nicht in eine Hipster-Sauerteigbäckerei pilgern oder am Wochenende über einen Bauernmarkt trödeln möchte, muss ich mich mit dem weichen Weißmehlgebäck abfinden, was den Titel "Brot" absolut nicht verdient hat.
Als Morgenmuffel scheine ich hier in Australien in der Minderheit zu sein. Bevor ich mich um neun aus meinem Schlafanzug geschält habe, haben die meisten Australier:innen bereits eine Joggingrunde am Strand gedreht, sich zum Frühstücken mit der Freundin verabredet und den Arbeitstag im Büro begonnen. Australier:innen stehen früh auf und gehen früh ins Bett.
Durch diesen Rhythmus fühle ich mich wie ein unproduktiver Faulpelz. Doch nicht nur das: Die morgendliche Motivation meiner Mitmenschen sorgt außerdem dafür, dass Cafés schon um sieben Uhr aufmachen, dafür bereits um 14 oder allerspätestens 15 Uhr schließen. Die passen ihre Öffnungszeiten nämlich an den Rhythmus der Mehrheit an. Ganz zum Ärgernis von mir und ein paar weiteren Nachteulen, die sich auf der verzweifelten Suche nach einem Nachmittagskaffee vor verschlossenen Türen wiederfinden.
Mein Tipp an alle, die gerade ihren Australienurlaub planen, ist deshalb: Wer die deutsche Tradition von "Kaffee und Kuchen" aufrechterhalten möchte, sollte darauf gefasst sein, sich mit McDonalds-Kaffee zufriedenstellen zu müssen.
Außerdem: Besorgt euch ein Mietauto, unterschätzt nicht die Distanzen zwischen den Städten (auch wenn es auf der Karte "gar nicht so weit aussieht") und schlagt euch vor dem Abflug die Bäuche mit ordentlichem Brot voll – denn wer weiß, wo ihr hier in Australien die nächste gute Bäckerei findet.