Tiktok hieß nicht ohne Grund bis 2018 Musical.ly. Immerhin war das Konzept schlicht und einfach, Clips zu ausgewählter Musik zu erstellen und anschließend hochzuladen.
Umso mehr verwundert und ärgert es derzeit Tiktok-User:innen, wenn plötzlich ein Schreiben in ihrem Postfach liegt, das ihren Account abmahnt und teils enorm hohe Bußgelder fordert. Muss man das jetzt wirklich zahlen?
Der Hashtag #skandal, der aktuell kursiert, umschreibt das Problem ganz gut: Er bezieht sich einerseits auf den Song "Skandal im Sperrbezirk" von der Spider Murphy Gang, dessen Verwendung zuletzt zu vielen solcher Abmahnungen geführt hat.
Gleichzeitig drückt der Hashtag natürlich aus, dass dieser Umstand für die betroffenen User:innen einen Skandal darstellt. Kein Wunder, denn teils werden hier Bußgelder von bis zu 20.000 Euro gefordert.
Abgesehen von dem Vorwurf der Urheberrechtsverletzung und der konkreten Summe, die um viele tausend Euro variieren kann, enthalten die Schreiben noch eine Frist, bis wann das Geld gezahlt werden muss, sowie eine Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben.
Wer ein solches Schreiben bekommen hat, reagiert vermutlich besorgt und fragt sich: Muss ich dieses Geld jetzt wirklich zahlen? Die schlechte Nachricht zuerst: Die Abmahnungen sind leider sehr ernst zu nehmen.
Watson hat bei der Kanzlei WBS Legal nachgefragt, was es damit auf sich hat, und Antwort von Medienrechtsanwalt Christian Solmecke bekommen:
Alle User:innen, die also Tiktok für kommerzielle Zwecke nutzen – also etwa für Werbung, wie es Influencer:innen tun – dürfen somit nur die "Tiktok Commercial Music Library" nutzen. Der Anwalt räumt ein: "Dort sind jedoch nahezu keine bekannten Songs enthalten."
Das ändert nichts daran, dass Abmahnungen, Schadensersatzforderungen und auch Plattform-Sperrungen drohen können, sobald User:innen Musik für kommerzielle Zwecke verwenden, die nicht für diese Zwecke genutzt werden darf. Die Größe des Accounts spielt dabei übrigens keine Rolle.
Solmecke bestätigt gegenüber watson, dass einige Kanzleien tatsächlich Strafen von bis zu 20.000 Euro fordern, so wie es Tiktok-User:innen bereits beklagt haben.
Er erklärt weiter: Während zunächst eher kleinere Inhaber von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, folgen dem jetzt auch Major-Labels wie Universal – was auch die Abmahnungen des Songs "Skandal im Sperrbezirk" erklärt, dessen Rechte diesem Musik-Verlag unterliegen.
Eine Anfrage hat watson hierzu an Universal Music geschickt, die jedoch nicht beantwortet wurde. Solmecke jedenfalls erscheint dies nur naheliegend: "Angesichts der Tragweite verwundert es nicht, dass auch große Labels auf diesen Zug aufspringen".
Nun liegt hier also der Brief mit der immensen Summe und einer Unterlassungserklärung, die unterschrieben werden soll. Besser also direkt unterschreiben? Solmecke stellt klar: auf keinen Fall.
"Weder die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung sollte ungeprüft abgegeben, noch sollten die hohen Forderungen ungeprüft gezahlt werden. Hier gilt: Unbedingt einen Rechtsanwalt hinzuziehen", mahnt der Jurist. Auch damit sollte man jedoch schnell sein, denn die genannte Frist aus dem Schreiben gilt in jedem Fall.
Warum nicht unterschreiben? Weil die Unterlassungserklärungen teils lebenslange Verpflichtungen enthalten. Ein:e Anwält:in für Urheberrecht kennt die Fallstricke solcher Abmahnungen und weiß auch, wie die hohen Summen möglichst reduziert, oder – falls unberechtigt – sogar abgewehrt werden können.
Für den Fall, dass ihr mit Tiktok Geld verdient, dafür aber bisher eher ungern die meist unbekanntere Musik verwendet: Vielleicht ist das doch der bessere Weg, als derart hohe Strafen zu riskieren.