Wenn eine Künstlerin in Deutschland gerade polarisiert, dann ist es wohl Ikkimel. Erst am Mittwoch löste die Rapperin einen Polizeieinsatz aus, als sie ihre Fans und Follower:innen dazu aufrief, für einen Musikvideo-Dreh nach Berlin zu kommen. Am Ende versammelten sich rund 450 Menschen an der Warschauer Straße; die Polizei erklärte die nicht angemeldete Versammlung aber schnell wieder für beendet.
Doch nicht nur solche Aktionen bringen die 23-Jährige in die Schlagzeilen. Die Berliner Rapperin ist für ihren provokanten Stil bekannt – sie nennt ihn "Fotzenstyle" – und ihre derben Lyrics werden immer wieder als radikal feministisch verstanden. Ihren Durchbruch feierte sie bereits 2023 mit dem Song "Keta und Krawall".
Aktuell geht die bereits im Juni erschienene Single "Who's That" auf Tiktok durch die Decke. "Tanga sitzt, ich bin spitz und nehm' das nächste Toy. Setz' mich aufs Gesicht, Mann, na klar bin ich ein Männerfreund", rappt die Berlinerin darin in gewohnt provokanter Manier. Allerdings sind es andere Songzeilen, in denen sich viele, vor allem weibliche Gen-Z-ler aktuell wiederfinden:
Wo manche nur das Prahlen über einen krassen Party-Lifestyle und exzessiven Alkohol-Konsum herauslesen, sehen andere in den Lyrics ein sehr ernstes Thema abgebildet: sexualisierte Gewalt.
Auf Tiktok haben in den vergangenen Wochen immer mehr junge Frauen (und teilweise auch Männer) Videos geteilt, in denen sie ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen oder Grooming öffentlich machen. Grooming beschreibt das geplante Vorgehen erwachsener Menschen, Minderjährige sexuell zu missbrauchen.
Viele interpretieren Ikkimels Songzeilen aus "Who's that" so, dass Erwachsene, meist Männer, bewusst Situationen ausnutzen, in denen sich Minderjährige nicht wehren können oder gar nicht verstehen, dass sie manipuliert und ausgenutzt werden.
"Ich war 16, du warst 26. Ich dachte, ich wär einfach reif für mein Alter. Ich wusste es nicht besser. Aber du schon!", schreibt etwa die Userin Malina in einem Tiktok-Video, das mehr als 68.000 Likes gesammelt hat.
In den Kommentaren solidarisieren sich viele mit der Frau und berichten von ähnlichen Erfahrungen: "Ich 15 und er 26. Ich ekle mich noch heute so sehr. Mädels, hört bitte auf eure Eltern, wenn sie sagen, dass das absolut nicht klar geht!".
Doch auch Männer beteiligen sich an dem Trend:
Durch Ikkimels Song scheinen sich viele junge Menschen ermutigt zu fühlen, über Erfahrungen zu sprechen, in denen ihre Grenzen überschritten wurden.
Eine Userin geht sogar noch weiter. Sie sagt: "Sagt mal, ist euch eigentlich bewusst, dass Ikkimel das geschafft hat, was die Me-Too-Bewegung versucht hat?". Durch die viralen Songzeilen habe sie es geschafft zu zeigen, dass es mehr Betroffene gebe, "als wir alle denken".
Der steilen These wollen in der Kommentarspalte aber nicht alle zustimmen. "Hast du mal überlegt, dass Ikkimel weiter vorn hätte anfangen müssen, wenn Me-Too nicht vorher gewesen wäre", wirft eine Userin ein. Eine andere schreibt: "Was heißt denn 'versucht'? Die Me-Too-Bewegung hat was bewirkt und war super wichtig".
Tatsächlich war die Me-Too-Bewegung ein weltweites Phänomen, das ein Schlaglicht auf Themen wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Machtmissbrauch warf.
Ausgelöst wurde sie 2017 durch öffentliche Anschuldigungen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein, zum Beispiel von den Schauspielerinnen Ashley Judd und Rose McGowan.
Millionen Frauen (und auch Männer) teilten daraufhin unter dem Hashtag #MeToo ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, um auf das Ausmaß des Problems aufmerksam zu machen.
Die Bewegung hat gesellschaftlich viel bewirkt: Sie führte zu mehr öffentlichem Bewusstsein für strukturellen Sexismus und sorgte nach Ansicht einiger auch dafür, dass prominente Täter, die potenziell viel Macht und Einfluss ausüben, häufiger zur Rechenschaft gezogen werden.
Dass ein Tiktok-Trend unter Gen-Z-lern, der wohl vor allem auf den deutschsprachigen Raum beschränkt ist, den gleichen oder gar einen größeren Impact hat als die Me-Too-Bewegung ist wohl fraglich. Aber einige Tiktok-User:innen sind Ikkimel zumindest dankbar, dass sie das Thema und die gesellschaftliche Bewegung für eine jüngere Generation greifbar gemacht hat.
Eine Userin spricht dennoch einen wichtigen Punkt an: "Ehrlich gesagt bin ich an der Stelle nicht stolz auf Ikkimel, sondern auf all die Frauen, welche den Song/die Zeilen nutzten, um mutig zu sein und aufzustehen." Die Betroffenen selbst haben den Song-Ausschnitt nämlich erst zum Trend gemacht.