Für die heute erfolgreiche Unternehmerin Anna Yona war die Selbstständigkeit ein Zufall, wie sie selbst sagt. Gemeinsam mit ihrem Mann Ran hat die 44-Jährige im Jahr 2015 das nachhaltige Schuhlabel Wildling gegründet. Als das Ehepaar mit seinen drei Kindern in Israel lebte, lief die Familie meist barfuß. So entstand bei Anna und Ran die Vision, Minimalschuhe für Kinder und Erwachsenen zu produzieren.
Mittlerweile hat das Unternehmen mit Sitz in Engelskirchen bei Köln über 300 Mitarbeiter. 2021 wurde das Ehepaar Yona mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet.
Einen anderen Weg in die Selbstständigkeit hat Vreni Frost eingeschlagen. Die Moderatorin und Podcasterin hat viele Jahre einen erfolgreichen Blog zu den Themen Lifestyle, Reise, Mode oder Beauty betrieben. Mittlerweile moderiert die 40-Jährige den Podcast "follow4follow", in dem es um die Welt der Influencer geht. Sie hat bereits zwei Bücher geschrieben. Das neueste, mit Titel "Coin Stress", dreht sich um Finanzen, vor allem für eine weibliche Perspektive.
Watson hat mit Anna Yona und Vreni Frost darüber gesprochen, mit welchen Vorurteilen Frauen und besonders Unternehmerinnen in der Arbeitswelt immer noch zu kämpfen haben.
Watson: Anna, was bedeutet Female Entrepreneurship für dich und welche Werte gehen damit einher?
Anna Yona: Für mich bedeutet es Ganzheitlichkeit. Es geht nicht darum, wie Männer oder wie Frauen etwas machen. Das, was wir gerade in der Wirtschaft sehen, ist allerdings sehr männlich und patriarchal geprägt. Für mich ist das Gegenstück dazu eine Wirtschaft, in der viele verschiedene Perspektiven Platz finden. Viel hat auch damit zu tun, bestehende Machtstrukturen zu erkennen und nicht zu reproduzieren, sondern dort auseinander zu nehmen, wo sie entstehen.
Welche Machtstrukturen meinst du?
Anna Yona: Manche Perspektiven werden als gegeben angesehen, und das sind eben oft weiße, männliche Perspektiven. Diese müssen durch viele weitere Perspektiven ergänzt werden. Machtstrukturen lassen sich beispielsweise oft am Gehalt erkennen. Wer muss welches Gehalt verhandeln und wer bekommt es einfach von vornherein zugeschrieben? Wer sind die Personen, die in einem Unternehmen die Entscheidungen treffen? Wer macht Karriere und wer nicht? Daran erkennen wir patriarchale Strukturen.
Vreni, in deiner Instagram-Bio bezeichnest du dich als Autorin, Moderatorin und Sprecherin. Würdest du dich auch als Unternehmerin bezeichnen?
Vreni Frost: Bei Unternehmertum denken wir immer an große Firmen und alte weiße Männer in Anzügen. Ich glaube, moderne Unternehmer:innen sehen heute anders aus. Für mich bedeutet Unternehmertum, eine Vision zu haben und diese umzusetzen. In meinem Fall hatte ich immer den Mut, geschäftlich das zu machen, was ich in dem jeweiligen Moment tun wollte. Ich glaube, der größte Mut, den ich hatte, war, mich nicht in Schubladen stecken zu lassen.
Welche Schubladen genau?
Vreni Frost: Ich habe mich bis letztes Jahr nicht getraut, meine Kunst öffentlich zu machen, weil ich Angst hatte, dass die Leute sagen: "Jetzt malt sie auch noch." Und nun habe ich in zwei Wochen meine erste Einzelausstellung! Ich sehe es jetzt auch als Stärke, dass ich mich in so vielen Bereichen austoben darf und ein tolles Netzwerk an Personen habe, die ich für meine Projekte heranziehen kann. Das ist für mich modernes Unternehmer:innentum.
Apropos Netzwerke: Du bist mit anderen Frauen des öffentlichen Lebens, wie Ruth Moschner und Louisa Dellert, verbunden. Wie wichtig sind solche Kontakte?
Vreni Frost: Sich ein Netzwerk aufzubauen, ist in jedem Bereich wichtig, denn man lernt viel voneinander. Zudem kommt man somit auch an Chancen für bestimmte Jobs. Du kannst so gut sein, wie du willst: Wenn du nicht vernetzt bist und diese Skills nicht mitbringst, kannst du trotzdem auf der Strecke bleiben, auch wenn du eine Einserschülerin warst.
Wir müssen außerdem begreifen, dass wir auch anderen Chancen einräumen müssen. Es geht in Netzwerken nicht nur darum, dass ich Vorteile daraus ziehe. Ich glaube, dass eine ehrliche Nächstenliebe auch im Business dazu führt, dass schöne und wichtige Projekte dabei herauskommen.
Sind Netzwerke in deiner Branche auch wichtig, Anna?
Anna Yona: Auf jeden Fall. Es heißt immer, als Unternehmen dürfe man sich nicht öffnen, sein Wissen nicht teilen und seine Vorteile nur für sich behalten. Es sei alles ein Wettkampf, ein "die gegen uns". Das größte Ziel sei es, Marktführerschaft zu erlangen. Doch so sehen wir es bei Wildling nicht. Wir streben ein Miteinander an und wollen unser Wissen teilen. So kommen wir doch als Gesellschaft auch viel schneller voran.
Hast du das Gefühl, du wurdest als Frau in der Gründerszene anders wahrgenommen und behandelt?
Anna Yona: In unserer Gründungsphase gab es viele Menschen, die uns unterstützt haben. Gleichzeitig gab es jedoch auch viele Menschen, für die wir durch das Raster gefallen sind. Bei Businessplan-Wettbewerben war es immer "ganz nett" oder "witzig", uns dabeizuhaben. Diejenigen, die die Preise gewonnen haben, waren dann aber die klassischen Gründerteams. So war auch das erste Bankgespräch mit einem älteren Herrn. Der dachte, ich will jetzt von zu Hause aus ein Paar Schuhe häkeln. An der Stelle war das Gespräch für mich dann auch vorbei.
Wie ist das bei dir, Vreni?
Vreni Frost: Ich habe ständig das Gefühl, anders behandelt zu werden. Ich äußere mich gern mal zu schwierigen Themen. Wenn du es als Frau wagst, dich im Internet zu Gleichberechtigung oder Sexismus zu äußern, bekommst du die übelsten Beschimpfungen und Beleidigungen. Das ist schwer zu verkraften. Deswegen bewundere ich Politikerinnen wie Ricarda Lang und Annalena Baerbock, die sich täglich diesem Hass aussetzen. Ich habe da bis heute kein dickes Fell. Aber solche Frauen ermutigen mich, nicht meinen Mund zu halten. Manchmal würde ich so gern meinen Mund halten. Es kommt vor, dass ich nach Hause gehe und weine.
Anna Yona: Dazu fällt mir auch eine Anekdote ein: Wir hatten gerade den Deutschen Gründerpreis 2021 gewonnen und gaben eine Pressekonferenz. Ein Journalist merkte an, dass es ja ziemlich eindeutig wäre, dass wir als gemischtes Team gewonnen hätten, da die anderen Teams nur aus Männern bestanden. Das fände er gegenüber den anderen nicht fair. In dieser Situation habe ich gemerkt: Es gibt noch sehr viel zu tun.
Thema New Work: Eure Mitarbeiter bei Wildling dürfen auch im Home-Office arbeiten. Was sagst du zu Chef:innen, die fordern, dass alle Angestellten wieder ins Büro kommen sollen?
Anna Yona: Die müssen sich wahrscheinlich mit der Zeit umstellen. Solche Forderungen sind nicht mehr zeitgemäß. Zum Glück machen das viele Leute auch nicht mehr mit. Oft steckt bei den Arbeitgeber:innen Angst dahinter. Eigentlich müsste man mit den ihnen dann auch ein ernsthaftes Gespräch führen, um diesen Sorgen auf den Grund zu gehen. Ich glaube, in diesem Fall wird es die Nachfrage nach Arbeitsplätzen regeln.
Wird die Arbeitswelt in Zukunft also anders aussehen?
Anna Yona: Die Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommt, räumt der Arbeit nicht mehr den hohen Stellenwert in ihrem Leben ein, wie es bislang bei vielen der Fall war. Sie fordern dafür mehr Freiheiten und Flexibilität im eigenen Alltag ein. Darauf werden sich Arbeitgeber:innen zukünftig einstellen müssen.