Jeder dritte Corona-Infizierte in Deutschland aktuell hat sich im Ausland angesteckt: Die meisten Fälle sind auf Reisen in den Kosovo, die Türkei oder südosteuropäische Länder wie Kroatien zurückzuführen.
Seitdem die Urlaubssaison begonnen hat, bemerken wir also tendenziell einen Anstieg der Sars-CoV-2-Fälle – am Dienstag verzeichnete das Robert-Koch-Institut 1390 Neuinfizierte. Gleichzeitig wurden allerdings viele anti-pandemische Maßnahmen fallengelassen, soziale Zusammentreffen sind wieder möglich, viele Menschen nutzen den Sommer für ausgiebige Feiern.
Warum die Fälle in Deutschland nun wieder steigen und ob wir stärkere Reisebeschränkungen bräuchten – darüber hat watson mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin gesprochen.
Stellen wir gerade mehr Fälle fest, weil wir verstärkt Urlaubs-Rückkehrer an Flughäfen und Bahnhöfen testen?
In der Tat wird mehr getestet. Die Indikationsstellung für die Durchführung der Tests ist aber unverändert geblieben. Das heißt, die Positivrate aller durchgeführten Tests in Prozent ist entscheidend, um zu beurteilen, ob die Zunahme an Neuinfizierten auch durch vermehrte Virusausbreitung zustande kommt. Und genau das ist der Fall.
Was muss passieren, damit die Grenzen wieder geschlossen werden? Welche Infektionszahlen beziehungsweise welchen R-Wert müssten wir erreichen?
Das kann nicht an einzelnen Grenzwerten festgemacht werden. Die gesamte Dynamik muss beurteilt werden und zurzeit sehen wir zwar eine Zunahme der Fallzahlen, aber keine exponentielle. Das ist sehr ärgerlich, weil wir immer noch gute Umgebungsbedingungen haben, die die Virusausbreitung effektiv hemmen (Sommer, Menschen sind draußen, Abstände können gut eingehalten werden). Aber wir sehen noch keine zweite Welle.
Glauben Sie, dass es möglich ist, dass bald wieder eine Reisebeschränkung oder gar ein Verbot geltend gemacht wird?
Das könnte durchaus sein. Frankreich und Spanien machen es vor.
Würde Sie laut aktuellem Stand empfehlen, die Grenzen zu schließen?
Grenzschließungen sind völlig unsinnig. Das wurde ja bereits während der ersten Ausbreitungswelle deutlich. Es müssten anderen Maßnahmen ergriffen werden, um wieder mehr Disziplin in der Beachtung der Hygieneregeln zu erzielen.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie nun generell angesichts der steigenden Zahlen?
Da die meisten Infektionsketten innerhalb von Deutschland entstehen und nicht durch Import aus dem Ausland, wäre schon sehr geholfen, wenn jeder diszipliniert mitmachen würde bei der Einhaltung der Hygieneregeln (AHA – Abstand, Hygiene, Alltagsmasken). Es geht ja um einen überschaubaren Zeitraum bis zum Jahreswechsel, und das sollte doch eigentlich machbar sein. Danach, also nach erfolgreicher Implementierung eines schützenden Impfstoffes und damit Beendigung der Pandemie, kann dann auch wieder gefeiert werden. Dann gäbe es ja auch einen richtigen Anlass…
Sollten mehr Länder als Risikogebiete aufgenommen werden? Es wurden zum Beispiel recht viele Rückkehrer aus Polen oder Kroatien positiv getestet.
Eigentlich sind fast alle Länder außerhalb (und einige innerhalb) der EU Risikogebiete. Das muss sehr genau beobachtet werden.
Sollte grundsätzlich jeder, der aus dem Ausland zurückkommt, einen Coronatest machen, egal ob Risikogebiet oder nicht?
Das wäre sicher gut. Noch besser wäre eine generelle Quarantäne, weil Testungen immer nur Momentaufnahmen sind.
(ak)