Es hatte sich seit Tagen angekündigt, nun ist es beschlossene Sache: Deutschland geht wieder in den Lockdown. Zum Eindämmen der Corona-Pandemie wird das öffentliche und private Leben in Deutschland zum zweiten Mal in diesem Jahr drastisch heruntergefahren.
Schon von diesem Mittwoch an und bis zum 10. Januar muss der Großteil der Geschäfte schließen.
Doch: Reicht das angesichts der hohen Infektionszahlen, die Deutschland zuletzt trotz bereits bestehendem Teil-Lockdown erlebte? Und wie sind die neuen Regelungen für Weihnachten aus wissenschaftlicher Sicht zu bewerten?
Markus Scholz, Epidemiologe an der Uni Leipzig, ordnet die neuen Corona-Regeln ein.
watson: Wie bewerten Sie die Beschlüsse, die Bund und Länder jetzt gefasst haben?
Markus Scholz: Diese sind längst überfällig. Seit Wochen ist klar, dass die Anfang November getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Pandemie einzudämmen. Das Problem ist, je später man reagiert, desto länger müssen die Maßnahmen aufrechterhalten werden. Das wissen wir bereits aus anderen Ländern und den Erfahrungen der ersten Welle.
Aber reichen diese Maßnahmen nun, um das Infektionsgeschehen noch nachhaltig nach unten zu drücken?
Die Maßnahmen entsprechen ungefähr dem, was wir im Frühjahr hatten, eher etwas leichter. Was im Frühjahr gereicht hat, muss aber im Winter nicht genügen. Da sehr spät reagiert wurde, ist zudem die Wirksamkeit der Maßnahmen reduziert. Das ist wie bei einer Erkrankung, bei der man zu spät mit der Therapie beginnt. Wir wissen aktuell auch nicht, wie stark sich Weihnachten und Silvester auf die Pandemieentwicklung auswirkt. Ich rechne bestenfalls mit einer langsamen Zurückdrängung der Pandemie.
Für Weihnachten gilt ja auch eine Ausnahmeregelung. Zwischen 24. und 26. Dezember können über den eigenen Hausstand hinaus noch vier weitere Personen aus dem engsten Familienkreis eingeladen werden. Wie schätzen Sie das Risiko durch diese Regelung ein?
Das Risiko, dass es durch Weihnachten und Silvester zu einer weiteren Pandemieverstärkung kommt, ist durchaus nicht zu unterschätzen. Man kann nur an die Bevölkerung appellieren, hier besonders vorsichtig zu sein, indem man vor und nach den Feiertagen andere Kontakte so weit wie möglich reduziert.
Dieses Mal werden auch die Schulen quasi dichtgemacht. Sie sollen vor Ort nur noch eine Notfallbetreuung anbieten, der Unterricht soll auf Distanzlernen umgestellt werden. Inwiefern ist das notwendig?
Das ist leider auch notwendig. Aktuell ist ein massiver Eintrag in die Gruppe der Kinder und Jugendlichen zu beobachten – viel stärker als in der ersten Welle. Es sind bereits Hunderte von Ausbrüchen an Schulen berichtet worden. Bei Auftreten von Fällen in Klassen wird aktuell leider nicht mehr automatisch die gesamte Klasse getestet, das heißt, die Dunkelziffer ist deutlich größer. Da Kinder häufiger asymptomatisch sind, kann die Infektion unbemerkt in Familien eingetragen werden. Das zeigen auch die Entwicklungen in anderen Ländern.
Auf welche Länder spielen Sie an?
Zum Beispiel sind in Großbritannien im Lockdown die Schulen noch offen. Die Zahlen sinken dort nur sehr langsam und die Gruppe der Kinder und Jugendlichen ist aktuell am stärksten betroffen, sogar mit steigender Tendenz. Auch unter dem Blickwinkel, dass wir kaum etwas über mögliche Spätfolgen bei Kindern wissen, ist diese Entwicklung bedenklich. Schulen im vollen Präsenzbetrieb sind und bleiben Großveranstaltungen mit mehreren Hundert Teilnehmern. Man sollte deshalb perspektivisch zumindest über kleinere Gruppengrößen, das heißt Wechselunterricht nachdenken. Ein konsequentes und zeitnahes Testen bei Auftreten von Fällen wäre meiner Einschätzung nach eine unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung von Präsenzunterricht.
Was jetzt schließen muss, sind Geschäfte. Die Liste der Ausnahmen, von Sanitätshäusern bis hin zu Optikern, wirkt aber doch relativ lang. Reicht das?
Ja, die Liste ist relativ lang. Dennoch tragen diese Einrichtungen nach meiner Einschätzung wenig zum Infektionsgeschehen bei, wenn Hygienekonzepte eingehalten werden. Die Einhaltung ist hier auch gut kontrollierbar. Dichtes Gedränge im öffentlichen Personennahverkehr macht mir da mehr Sorgen. Über Ansteckungen dort ist zwar nicht viel bekannt, aber die Kontaktverfolgung ist in diesem Bereich ja auch praktisch nicht möglich.
Markus Söder und Angela Merkel haben schon jetzt angedeutet, dass die Maßnahmen im Januar je nach Lage noch nicht enden werden. Wie schätzen Sie die Chancen auf eine Normalisierung ab 10. Januar ein?
Gleich null. Da sehr spät mit den Maßnahmen begonnen wurde, dauert es nun entsprechend lange, bis diese eine ausreichende Wirkung zeigen. Nach zwei Wochen kann man zunächst erste Auswirkungen bei den Infektionszahlen sehen. Weitere ein bis zwei Wochen später könnte eine positive Entwicklung dann im Gesundheitssystem angekommen sein, indem weniger Patienten auf die Intensivstationen kommen. Bis dort aber die notwendige Entlastung spürbar wird, wird es aufgrund der langen Liegedauern der schweren Covid-19 Fälle sehr lange dauern. Eine eventuelle Verschärfung durch Weihnachten und Silvester ist hierbei gar nicht berücksichtigt. Ich rechne damit, dass die Maßnahmen selbst bei gutem Verlauf mindestens bis Ende Januar aufrechterhalten werden müssen, um eine Wirkung zu haben.