Gerade im Urlaub wird es vielen Paaren noch einmal schmerzhaft bewusst: unterschiedliche Auffassungen in Sachen Stil können wie ein störender Tinnitus im Liebeslied der Beziehung wirken.
Da schielt man ängstlich hinüber, was der Partner morgens grässliches an Textilien aus dem Koffer zieht; drückt sich vor den Trance-Festivals, auf die es den Lieblingsmensch im Sommer zieht; oder man schüttelt in Gedanken den Kopf darüber, nach welchen Kriterien ein schönes Restaurant für den Abend ausgesucht wird.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es. Aber viele tun es doch. Ist es okay, sich für die stilistischen Entgleisungen des oder der Partner:in zu schämen? Sogar zu versuchen, den Mode-, Musik- oder Essensgeschmack zu beeinflussen?
Wir fragten bei Nina Grimm nach. Sie ist Familienpsychologin und Bestsellerautorin, lebt und arbeitet von Freiburg aus und sagt zu diesem Thema: "Jein."
Zuerst einmal ist Geschmack schlicht individuell. Moderne Kunst kann für einen Menschen ästhetisch, für den anderen affig sein. Haute Cuisine ein Genuss oder aufgeblasene Geldmacherei. Bewertungen, besonders Beleidigungen, führen hier nicht weiter.
Aber, wie Nina Grimm zum Thema erklärt: "Solange wir uns auf der Verhaltensebene befinden – Essen oder Kleidung – dürfen wir unsere:n Partner:in durchaus einladen, in eine neue Welt mit uns einzutauchen."
Das wäre dann keine Kritik, sondern eine Erweiterung des Horizonts, die sogar Spaß machen und Nähe schaffen kann. Die Therapeutin führt aus:
Damit lässt man die Lieblingsperson am eigenen Innenleben teilhaben. Vielleicht erinnert einen eine gute Crème brûlée ja auch an den verstorbenen Opa, der so viel Wert auf gehobene Küche legte? Oder wir haben eine Liebe für skandinavische Mode entwickelt, als wir im Auslandsjahr in Dänemark waren?
"So hat dein Gegenüber die Möglichkeit, vielleicht noch ganz unerkannte Facetten gemeinsam mit dir kennen und lieben zu lernen", erklärt Nina Grimm. Im besten Fall geht man also in den Austausch über die verschiedenen Geschmäcker und bereichert einander.
"Aber", warnt die Psychologin vor allzu großen Erwartungen, "Offenheit ist einer der fünf großen Persönlichkeitsfaktoren, die sich nur sehr bedingt verändern. Means: Entweder es ist eine quasi angeborene Bereitschaft Neues zu entdecken da, oder eben nicht."
Während einige Menschen gerne ein Leben lang neue Dinge ausprobieren und sich gerne unterschiedlichen Impulsen hingeben, finden andere ihr Glück in der Routine.
Im Klartext: Wenn dein Lieblingsmensch auch sonst ein sturer Hund ist, der alles am liebsten genauso macht, wie es schon immer war, stehen die Chancen auf Veränderungen des Styles schlecht. "Daher checke das unbedingt ab", sagt die Familienpsychologin.
Sollte dem so sein, gilt es, die eigenen Ansprüche auf Veränderung loszulassen und ganz ehrlich in sich zu gehen, rät Nina Grimm:
Wie wichtig ist es für dich, diese Dinge in einer Liebesbeziehung zu teilen? Kann vielleicht auch der beste Freund zum Restaurant-Buddy werden, die Schwester zur Konzert-Begleitung? Wären Kompromisse möglich? Einen Tag hören wir zu Hause Klassik, den nächsten Indie?
Welchen Stellenwert gute Ernährung, Hochkultur oder Mode in unseren Leben hat, ist absolut individuell und abhängig davon, was wir emotional damit verknüpfen. Aber auch vom familiären Hintergrund, etwa einer, der das Tor zur Hochkultur und all ihren Codes geöffnet hat. Nicht immer ist das eine Lappalie.
"Wenn dadurch wichtige Werte deinerseits nicht gelebt werden können", sagt die Therapeutin daher, "setz ein Fragezeichen an die Beziehung." Denn nur eines ist stilloser als Schlagerpartys und Co.: nicht ehrlich zu sich selbst zu sein.