Absolute Ehrlichkeit, das wünschen sich die meisten in der Partnerschaft. In der Theorie zumindest. Denn gleichzeitig kann Transparenz auch verletzend ("Echt? Diese Jacke findest du schön?!") oder respektlos erschienen (kennt jemand diese Paare, die auf dem Sofa nebeneinander ungeniert pupsen?).
Was die Frage aufwirft, wie viele und welche Geheimnisse in einer Beziehung in Ordnung, vielleicht sogar gesund sind? Muss jeder kleine Flirt in der Tankstellen-Warteschlange in der Partnerschaft gestanden werden? Ist es wichtig, dass man in der Beziehung auch über Nagelpilz spricht?
Über wichtige Geständnisse und primitives Oversharing sprachen wir mit Andrea Bräu. Sie ist Paar- und Sexualtherapeutin in München und arbeitet als Beraterin des Portals "Ashley Madison".
Geheimnisse in einer Beziehung "sind nicht nur okay, sondern ein Muss", sagt die Expertin. "Zumindest auf die Körperpflege bezogen." Gerade Paare, die zusammenleben, erleben sonst schneller als gedacht, das Sterben jeglicher erotischer Anziehung. Die Therapeutin veranschaulicht:
Natürlich schafft räumliche Nähe auch eine gewisse Indiskretion und sich miteinander so wohlzufühlen, dass man sich auch mit unappetitlichen Schattenseiten zeigt, ist ein hohes Gut. Aber "zu viel davon schafft kein Vertrauen, sondern killt die Leidenschaft", warnt Andrea Bräu deutlich, "so erlebe ich es in meiner Praxis."
In Sachen Hygiene ist ein bisschen Heimlichtuerei also durchaus liebesfördernd. "Bei beziehungsrelevanten Themen ist es anders", erklärt die Paartherapeutin aber, "denn wenn beispielsweise Fremdgehen an die Oberfläche kommt, ist es mit dem Vertrauen meist dahin." Oft sei es nicht die Tatsache des körperlichen Betrugs an sich, dass die Partnerschaft schädigt, weiß sie: "Das Geheimhalten und Lügen ist dabei das Schlimmste."
Auch hier gelte es aber zu differenzieren. Eine Affäre, ein echter Seitensprung oder auch tiefe Gefühle sind etwas, was der oder die Partner:in wissen sollte. Doch, so Bräu:
Wer sich hier als "bin ja nur ehrlich"-offen präsentiert, nur um das eigene Gewissen reinzuwaschen, verhält sich nicht liebevoll, sondern unbedacht, im schlimmsten Fall egoistisch.
Wie es zu Geheimnissen in Beziehungen kommt, sei aber durchaus komplex, erklärt die Therapeutin anhand von einer Ashley Madison-Umfrage. Demnach hätte fast die Hälfte der Fremdgänger:innen vor einem Seitensprung "ohne viel Erfolg versucht, mit dem:r Partner:in über die eigenen sexuellen Wünsche oder Bedürfnisse zu sprechen", sagt Andrea Bräu.
Wer auf taube Ohren stößt, würde irgendwann aufhören, zu reden. Dasselbe gilt, wenn der oder die Partnerin übermäßig extrem auf einen Fremdflirt oder ein Bier zu viel im Club reagiert. Das Verschweigen eines sicheren Streitthemas ist dann ein stückweit simpler Selbstschutz.
Die Paartherapeutin rät also dazu, die wichtigen Themen unbedingt anzusprechen, wegen Kleinigkeiten aber nicht immer gleich ein Fass aufzumachen. Und andersrum: Wer von der oder dem Partner:in die reine Wahrheit verlangt, sollte sie auch verkraften können.
In der Theorie sei Ehrlichkeit zwar immer das Wichtigste, in der Praxis stimme das aber nicht gänzlich, schließt Andrea Bräu: "Wenn man nicht offen mit dem oder der Partner:in über alles sprechen kann, kann es sich positiv auswirken, wenn man einiges für sich behält..."