Manchmal trifft man beim Dating auf einen Menschen, mit dem sich einfach alles richtig anfühlt: Stundenlang schwadroniert man über dieselben Serien, lacht über dieselben Memes und die Zeit verfliegt von Bar zu Bar – es fühlt sich an, als würde man sich schon kennen. Doch irgendetwas fehlt. Da ist kein Bedürfnis, näher zu rücken, den Nacken zu riechen oder sich anzufassen, ein Kuss scheint noch weiter weg.
Was ist da los, wenn alles stimmt, aber die körperliche Anziehung fehlt? Sollte man eine solche Begegnung zu einer Freundschaft "minus" deklarieren oder erst einmal abwarten, ob da doch noch Schmetterlinge entstehen können?
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Buchautorin (Freunde machen gesund, Knaur Verlag). Für watson fragten wir sie, ob fehlende Erotik zu Beginn ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass zwei Menschen kein Liebespaar sein sollten oder ob sich körperliche Anziehung noch entwickeln kann.
Als Emotionscoach räumt sie dabei gleich als Erstes mit einem weit verbreiteten Klischee auf: "Nicht immer gibt es die große Liebe, körperliche Anziehung und Leidenschaft auf den ersten Blick, auch wenn das für viele romantisch klingt", sagt Scheuermann.
Viele Paare brauchen eine Weile, um zu erkennen, dass sie mehr als Freunde sein könnten. Hollywood hat das Thema mannigfaltig aufgegriffen, aber auch im echten Leben braucht es manchmal mehr als eine Begegnung, um zu erkennen, wie attraktiv das Gegenüber eigentlich ist.
Die Gute Nachricht: Häufig passiert das sogar ganz von alleine. Eine Studie aus den USA zeigte, dass wir Menschen automatisch attraktiver finden, je öfter wir ihnen begegnen – vorausgesetzt, man ist sich sympathisch.
"Es kann sein, dass sich körperliche Anziehung erst später entwickelt", bekräftigt auch Scheuermann. "Oft entsteht sie parallel zu emotionaler Nähe." Es ist also kein Zufall, dass wir unsere besten Freunde besonders schön finden, denn sie sind uns nahe und vertraut. Dieser Effekt kann sich durchaus auch auf ein anfangs unscheinbares Date übertragen, das man jedoch lieb gewinnt.
"Wie bei einer längeren und sich vertiefenden Beziehung über die erste Verliebtheit hinweg, ist auch sexuelle Anziehung etwas, wofür man etwas tun kann", erklärt die Therapeutin daher, die in der esencia Akademie psychologische Seminare und Ausbildungen anbietet.
"Eine grundsätzlich als angenehm und anziehend empfundene körperliche Nähe sollte aber vorhanden sein", so Scheuermann weiter. Heißt: Wenn der erotische Funke fehlt, man sich aber durchaus gerne in der Nähe des Anderen aufhält und sich dabei körperlich wohlfühlt, gibt es Hoffnung.
Wem es aber schon bei dem Gedanken schaudert, die Haut des Anderen zu berühren, sollte auf dieses Bauchgefühl hören. "Nicht umsonst ist der Geruch der anderen Person so wichtig für die Partnerwahl", erklärt die Psychologin weiter.
Hier kommt schlichte Biologie ins Spiel, die sich auch mit viel gutem Willen nicht umpolen lässt. Und warum sollte man auch? Scheuermann: "Es gibt eben auch physiologische, körperliche Gründe, die man sich nicht ausreden kann."