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Gastbeitrag

Dating: Warum Einsamkeit besser ist als eine toxische Beziehung

Einsamkeit kann für viele Menschen zermürbend wirken.
Einsamkeit kann für viele Menschen zermürbend wirken. bild: pexels/ Keenan Constance
Gastbeitrag

Unglücklich zu zweit – Warum Einsamkeit uns in toxische Beziehungen treibt

Nicht immer ist es Liebe, Romantik oder der verführerische Duft eines anderen Menschen, der uns zu Partnerschaften verleitet. Manchmal ist es auch die Einsamkeit, glaubt Nadine Primo. Sie hat am eigenen Leib erlebt, wie schnell man sich vergisst und erkennt ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
18.09.2025, 08:0018.09.2025, 08:00
Nadine Primo

In Zeiten zunehmender sozialer Isolation und einer verunsichernden Weltlage sehnen sich viele Menschen verzweifelt nach Nähe – nicht selten um jeden Preis. Einsamkeit ist nicht nur ein schmerzhafter Zustand, sondern oftmals auch ein Grund, wieso wir uns für ungesunde Liebesbeziehungen entscheiden.

Wer kennt es nicht? Die Beziehung ist vorbei, der Herzschmerz groß, und beim verzweifelten Reflektieren, wie es zu dem Aus kommen konnte, fallen einem nach und nach red flags ein, die bereits zu Beginn der Romanze unübersehbar waren.

Wir überschreiten unsere Grenzen nicht nur im Liebesrausch

"Aber die rosarote Brille…", würden manche jetzt sagen. Verständlich, Verliebtsein ist ein hormoneller Ausnahmezustand; im Rausch wie auf XTC, der einem kurzweilig die Sicht vernebeln kann. Je nachdem, wie toxisch die Beziehung am Ende war, glaube ich jedoch, dass noch weitere Faktoren im Spiel sein müssen, damit wir bereit sind, für eine gewisse Zeit unsere Grenzen übertreten zu lassen.

"Wir teilten die gleichen Sehnsüchte und waren bereit dafür die ein oder andere red flag zu übersehen."

Wie oft habe ich zuletzt mit Freund:innen gesprochen, deren langjährige Beziehungen nicht gut laufen – und das nicht erst seit gestern –, aber für die eine Trennung auch keine echte Option ist, weil "was mache ich denn dann ganz allein?". Das Leid ist anscheinend entweder noch nicht groß genug oder die Leidensfähigkeit enorm. Gefühle der Einsamkeit sind weit verbreitet, seit Corona sprechen wir von einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen der Einsamkeit, einer Einsamkeitsepidemie.

Studien zeigen: Viele Menschen in Deutschland fühlen sich einsam

Spannend ist in diesem Kontext die wissenschaftliche Längsschnittstudie "Family Research and Demographic Analysis" aus dem Jahr 2022, die sich mit dem Thema Beziehungen und Familienleben in Deutschland befasst. Insgesamt wurden mehr als 20.000 Menschen zwischen 18 und 53 Jahren befragt, die Ergebnisse zeichnen ein trauriges Bild: 38,8 Prozent fühlen sich sozial einsam (keine engen Freundschaften/vertrauenswürdige Bezugspersonen) und 28,7 Prozent emotional einsam (innere Leere; Gefühle der Ablehnung).

Nadine Primo, Radikal Einsam, Toxische Beziehung
Nadine Primo setzt sich in ihrem Buch mit Einsamkeit und Liebesbeziehungen auseinander.Bild: privat / Peter Müller

Das Progressive Zentrum hat in seiner aktuellen Jugendstudie "Extrem einsam?" (2023) herausgefunden, dass sich "55 Prozent der Befragten (zwischen 16 und 23 Jahren) […] manchmal oder immer einsam" fühlen.

Zur Autorin
Nadine Primo lebt als freie Autorin in Berlin. Die 35-Jährige schreibt über Beziehungen, weibliche Lust, mentale Gesundheit und Antidiskriminierung. In ihrem aktuellen Buch "Radikal einsam. Eine Gesellschaft in der Dauerkrise"(Vast Chili Nova) beschäftigt sie sich mit dem gesellschaftlichen Phänomen Einsamkeit und warum es so gefährlich ist.
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Bild: Vast Chili Nova

Frust, Wut, Verzweiflung, kaum Selbstwertgefühle – alles Folgen von Einsamkeit. Wenn wir uns nicht zugehörig fühlen, sind wir leichter manipulierbar, wie Aussteigerberichte von Sektenmitgliedern zeigen. Dabei entsteht eine paradoxe Dynamik: Die Unfähigkeit, sich selbst zu genügen, führt zu einem trügerischen Gefühl von Verbundenheit. Trügerisch insofern, als dass es sich wohl eher um Abhängigkeit handelt.

Wenn die Angst vorm Alleinsein so groß ist, dass ich mich freiwillig zurücknehme und nicht für meine Bedürfnisse einstehe, dann beeinflusst das zwangsläufig die Art, wie ich meine Beziehungen führe. Spoiler: toxisch.

Toxisch bedeutet in erster Linie ungesund; nicht auf Augenhöhe; emotional abhängig … Auf jeden Fall das, was wir wohl als destruktive Partnerschaft bezeichnen würden. Wenn ich recht überlege, habe ich mich in toxischen Verbindungen selten wirklich gesehen oder verstanden und somit doch wieder einsam gefühlt. Paradox! Aber auch eine logische Konsequenz, wenn man bedenkt, dass ich zu der Zeit nicht für mich eingestanden habe.

Das (nutzlose) Ignorieren von Red Flags zugunsten der Zweisamkeit

Ich erinnere mich an eine intensive Affäre, zwischendurch sprachen wir bereits von einer Beziehung. Wir verbrachten so viel Zeit wie möglich miteinander, da wir in unterschiedlichen Städten lebten. Es war von Anfang an sehr leidenschaftlich, wir diskutierten oder stritten genauso viel, wie wir gemeinsam lachten – oder im Bett landeten. Wir teilten die gleichen Sehnsüchte und waren bereit dafür die ein oder andere red flag zu übersehen.

Am Ende scheiterte es daran, was mir eigentlich, wenn ich ehrlich bin, gleich zu Beginn klar war. In ihrem Fall war es eine sehr präsente Ex-Freundin, die sie als Gepäck mitbrachte. Außerdem teilten wir nicht die gleichen romantischen Vorstellungen. Mir war schnell klar, dass ich ihren Wünschen nicht entsprechen kann… und will. Ihr ging es mit meinen Vorstellungen genauso und zudem hatte ich eine berufliche Flaute und depressive Episode im Gepäck. Wir hatten viel zu Tragen.

Ich glaube, ich habe mich zu dem Zeitpunkt sehr einsam gefühlt und hatte eine schwere Zeit hinter mir – ihr ging es ähnlich. Ich habe nach Zuneigung und Aufmerksamkeit gelechzt und red flags bewusst übersehen, meine Bedürfnisse angepasst und in den entscheidenden Momenten nicht für mich eingestanden. Lieber gemeinsam einsam, aber nicht auf die empowernde Weise.

Auch wenn ich mit dieser Frau wirklich schöne und einzigartige Momente erlebt habe und sie weiterhin schätze, so bin ich fest davon überzeugt, dass wir uns zu einem anderen Zeitpunkt in unserem Leben, anders entschieden hätten.

Die Expert:innen der psychotherapeutischen Klinik Friedenweiler fassen es treffend zusammen:

"Eine der Hauptursachen für das Verharren in toxischen Beziehungen ist die Angst vor dem Alleinsein. Viele Menschen bleiben in schädlichen Beziehungen, weil sie befürchten, dass sie ohne ihren Partner einsam und verlassen sein werden. Diese Angst kann so überwältigend sein, dass sie die negativen Aspekte der Beziehung überwiegt und es schwierig macht, den Mut aufzubringen, die Beziehung zu beenden."

Wir waren, vor allem in den letzten Monaten, nicht gut füreinander. Es war, laut einer guten Freundin, ziemlich toxisch und gut, dass es vorbei ist. Sie hat schon recht. In dieser sehr intensiven Affäre ging es viel um Projektion und unerfüllte Bedürfnisse. Wir machten die andere für unser (Un-)Glück verantwortlich und waren nicht wirklich ehrlich zueinander, geschweige denn bereit, aufeinander zuzugehen.

Wir fingen viel zu schnell an, Fantasien über eine gemeinsame Zukunft zu kreieren und vergaßen dabei, uns im Hier und Jetzt authentisch kennenzulernen.

Dann wäre uns vielleicht schneller aufgefallen, dass wir eigentlich nur jemanden zum Reden brauchten und uns auf uns selber hätten konzentrieren sollen, um diese unerfüllten Bedürfnisse erstmal zu erfüllen.

Viele Streitereien, Vorwürfe, Tränen, gemeine Aussagen, gezielte Verletzungen – das alles hätten wir uns ersparen können. Insgeheim wussten wir es ja beide von Anfang an – zumindest war das das Ergebnis eines Wiedersehens circa vier Monate später.

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