Orgien gab es in der Antike, Swinger-Clubs in den 80ern – heute reden alle von sexpositiven Partys. Aber was passiert da eigentlich?
Nadine Primo weiß es. Sie veranstaltete Mitte Juli mit Freunden eine sexpositive Party in Berlin und erzählt in watson von Ingwer Spray, Dreiern und warum die Garderobe schon bald zu klein wurde …
Eine sexpositive Party veranstalten – zum ersten Mal kam diese Idee bei einem Glas Sekt im Mai unter Freunden auf. Eine Location hatten wir bereits: deren Café in Wedding. Genügend Erfahrung konnte ich als Sexautorin und -Podcasterin mitbringen.
Jetzt mussten wir "nur noch" einen Termin, ein Programm, ein Line-up, ein Motto, Inventar sowie Deko finden. Zugegeben, das alles haben wir ein wenig unterschätzt – und doch war das Ergebnis mehr als befriedigend, im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine sexpositive Party ist keine klassische Sex-Party. Der Unterschied ist, dass bei sexpositiven Partys "sexy sein/sich sexy fühlen" im Vordergrund steht. Es geht darum, die Lust zu zelebrieren. Unterstrichen wird das Ganze durch Performances, Kostüme und einem Raum, der ein Erlebnis für alle Sinne darstellt.
Ich war auf sexpositiven Partys, die ranzige Clubs in kuschelige Höhlen, paradiesische Gärten oder Lust-Grotten verwandelt haben. Sex kann passieren, muss aber nicht. Es gibt Spielwiesen, aber die befinden sich meist eher versteckt in separaten Räumen, auf Emporen oder in dunklen Ecken.
Besonders beeindruckt hat mich immer der Vibe auf sexpositiven Partys, respektvoll und einvernehmlich, rücksichtsvoll und wertschätzend. Obgleich ich im durchsichtigen Netzbody und auf Stiefeln auf der Tanzfläche stehe, werde ich weder angegrabscht noch blöd angemacht. Auf regulären Partys ist das nicht der Fall, zumal ich hier davon ausgehen kann, mindestens zweimal am Abend in eine unangenehme Situation oder einseitige Flirterei zu geraten. Sexpositive Partys sind safe spaces, zumindest sollten sie es sein.
Wie kann es gelingen solch einen solchen safe space zu kreieren und Menschen dadurch, für eine Nacht, einen Raum zu geben, wo sie sich fallen lassen und (aus-)leben können? Halbnackt, nackt, kostümiert – egal, Hauptsache ungeniert!
Wenn sich der ein oder die andere entschließt, mit jemandem intim zu werden, müssen hierfür Vorkehrungen getroffen werden. Abgesehen davon, dass viele sich sicher fühlen müssen, um sich fallen lassen zu können, spielt der hygienische Aspekt auch eine große Rolle. Safe, sane, consensual! (sicher, gesund, einvernehmlich!), wie es im BDSM so schön heißt. "Nur JA heißt JA!"
Für die Sicherheit haben wir zum einen im Vorhinein einen Konsens-Vertrag per Mail rumgeschickt, in dem es darum ging, dass wir weder unangemessenes noch übergriffiges Verhalten tolerieren und ein Awareness-Team den ganzen Abend vor Ort ist. Neben "Nur JA heißt JA!" haben wir darauf verwiesen, dass Belästigung bereits beim Gucken beginnt. Daher "Gucken nicht Starren!" und besonders wichtig: "Immer vorher fragen!" Egal, ob ich anderen beim Spielen zugucke, mitmachen will oder anfange mich selbst zu befriedigen.
Außerdem waren während der Veranstaltung weder Foto- noch Videoaufnahmen erlaubt, um die Privatsphäre der Gäste zu schützen und einen Hauch Intimität entstehen zu lassen. Hierfür haben wir alle aufgefordert ihre Handykameras abzukleben oder, wenn möglich, das Handy gleich zu Hause zu lassen.
Damit die intimen Momente dieses Abends ohne Konsequenzen bleiben, haben wir alles bereitgestellt, was die Gäste brauchten. Neben Deo, Mundspülung, Kondomen, Lecktüchern und Gleitgel sowie Massage-Öl, gab es Hygienetücher/-spray, kleine Mülleimer und Ingwer Spray – für mehr Lust.
Noch mehr Lustvolles befand sich in Erlebnisecken: avantgardistische Pornos, erotische Kunst von Christian Rug inklusive live-Painting, ein frisches Buffet und ein Tarotkarten-Leger. Dazu Erlebniskabinen mit altbekannten Spielen wie Flaschendrehen und Wahrheit oder Pflicht. Wir wollten einen Raum schaffen, der zu einem kleinen Abenteuer, einer lustvollen Reise oder einem ausgelassenen Tanz einlädt. Musik ist wichtig, Musik bringt die Menschen in Bewegung und zusammen.
Die Tanzfläche ebenso wie die Spielwiesen hatten wir im Keller untergebracht, während oben im regulären Café connectet, geschmaust, Kunst bestaunt oder Porno konsumiert werden konnte.
Für mich war es ein besonderes Anliegen, unseren Gästen Geborgenheit zu vermitteln. Anwesend waren daher nur etwa 70 Menschen, die die Tickets vorher bei mir erwerben konnten und mit denen ich mindestens zweimal ins Gespräch gegangen bin – beim Verkauf und bei der Begrüßung am Abend selbst.
Anfangs zeigten sich die meisten noch schüchtern, obgleich ihre sexy Outfits ein anderes Signal sendeten, aber im Verlauf der Nacht zogen sich immer mehr auf die Tanzfläche und danach entweder mit ihrer Begleitung oder neuen Bekanntschaften auf die Spielwiesen zurück – und ließen ihrem Verlangen freien Lauf.
Alle möglichen Personen waren anwesend! Es kamen homo-, hetero- und bisexuelle Menschen zwischen schätzungsweise 25 und 45 Jahren, teilweise single oder nicht-monogame (verheiratete) Paare. Bestimmt war auch die ein oder andere Freundschaft+ dabei, wer weiß. Verlangen verbindet.
Ich genoss es, zu beobachten, wie die Menschen sich nach und nach entspannten. Aus der anfänglichen Schüchternheit wurde eine allgemeine Kontaktfreudigkeit und fast jeder Gast kam mir mit einem Lächeln entgegen.
Besonders gefreut hat mich, dass selbst die Menschen, für die es die erste sexpositive Partyerfahrung gewesen ist, begeistert waren und fortan öfter mal ähnliche Events besuchen wollen – ein schönes Kompliment. Die Nacht hat mir gezeigt, dass es möglich ist, Menschen zusammenzubringen und mit ihnen respektvoll und einvernehmlich die Lust zu zelebrieren.
Einfach ist es allerdings nicht, einen safe space zu kreieren. Das Ganze bedarf viel Achtsamkeit im Vorhinein, währenddessen und im Nachhinein. Es gab auch eine Situation, in der ich in meiner Rolle als Awareness-Team auf einen unangenehmen Gast hingewiesen wurde. Meine Aufgabe war es, die Person auf ihr Verhalten anzusprechen – und, wenn nötig, zum Gehen aufzufordern.
Es wird bestimmt eine Fortsetzung geben, ebenso wie eine größere Garderobe, denn das haben wir eindeutig unterschätzt. Die meisten Kostüme waren definitiv nicht straßentauglich – also perfekt für unsere Party.
In den frühen Morgenstunden fanden sich einige Paare erschöpft und zufrieden grinsend an der Bar wieder und erzählten dem Barkeeper von ihrer gemeinsamen sexuellen Erfahrung, die sie zuvor auf einer der Spielwiesen gemacht hatten.
Ich werde hier nicht ins Detail gehen, nur so viel sei gesagt: Im Paradies findet man scheinbar Einhörner. Soll heißen: Ja, es gab einige Dreier! Und auch sonst viel intime Interaktion – wie uns beim Aufräumen und Entleeren der Mülleimer am nächsten Tag aufgefallen ist. Frei nach dem Motto des Abends: paradiesische Zustände...