Klimakrise, Wohnungsnot, Altersarmut – wenn junge Menschen in die Zukunft blicken, geht oft ganz schnell der Optimismus verloren. Gerade wenn man aus einem weniger wohlhabenden Haushalt kommt, stellen sich unausweichlich unangenehme Fragen, zum Beispiel, ob und wie man ein Eigenheim finanziert oder seine Altersvorsorge sicherstellen kann.
Eine Erbschaft hilft manchen Menschen dabei, dass ihre Zukunftsängste nicht komplett Überhand nehmen. Allerdings können längst nicht alle damit rechnen, zu erben.
Das Deutsche Institut für Altersvorsorge gibt an, dass im Zeitraum zwischen 2015 und 2024 3,1 Billionen Euro in Deutschland vererbt werden. Ein Drittel dieser astronomischen Summe geht auf gerade mal zwei Prozent aller Erbschaften zurück. Das heißt, ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung erhält einen großen Teil des vererbten Geldes in Deutschland. In jeder achten Erbschaft würden die erbenden Personen sogar leer ausgehen (Sachvermögen ausgenommen).
Genau diesem Ungleichgewicht will Christoph Prüm etwas entgegensetzen. Der 74-jährige Rentner hat 2022 die Aktion "Ein Erbe für jeden" ins Leben gerufen. Seitdem verlost er jedes Jahr drei sogenannte Grunderben à 20.000 Euro.
"Das Grunderbe ist dein Anteilsrecht an der materiellen Welt, in die du geboren wurdest", heißt es auf der Website der verantwortlichen Stiftung. Es könne der Ausbildung dienen oder für Wohnungskauf, Hausbau, Kapitalanlage oder private Altersvorsorge genutzt werden.
Allerdings können nicht alle 84 Millionen Bundesbürger:innen gewinnen, denn es gibt spezifische Voraussetzungen.
Los-Teilnehmende müssen deutsche Staatsbürger:innen sein und dürfen zuvor noch kein größeres Erbe erhalten haben. Außerdem müssen sie bei der Auslosung 30 Jahre sein oder noch werden. Für den Gewinn eines Grunderbes kommen dieses Jahr also nur Menschen aus dem Jahrgang 1994 infrage.
Es gibt aber noch ein weiteres Kriterium: den Wohnort. Denn bevor Prüm mit seiner "Stiftung für Chancengleichheit" das Erbe verlost, werden drei Orte ausgelost, in denen sich 30-jährige Personen überhaupt registrieren lassen können. In diesem Jahr sind es der Kreis Borken (NRW), Kreis Steinburg (Schleswig-Holstein) und der Stadtbezirk Lindenthal in Köln. An diesen Orten muss man am 7. Juli 2024 seinen Hauptwohnsitz gehabt haben.
In den vorangegangenen beiden Jahren kamen die Gewinner:innen aus Koblenz, Gütersloh, dem Bezirk Hamburg-Nord sowie Wuppertal, Aachen und dem Ortsbezirk West in Frankfurt am Main. Es fällt auf, dass die ausgelosten Orte allesamt im Westen liegen.
Dabei haben Untersuchungen bereits gezeigt: In Ostdeutschland werden grundsätzlich kleinere Summen vererbt als in westlichen Bundesländern. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erbt man im Osten im Schnitt 52.000 Euro, im Westen sind es dagegen 92.000. Wäre es also nicht sinnvoll, das Grunderbe gezielt in Regionen zu verlosen, die in der gesamtdeutschen Verteilung von Vermögen und Erbe schlechter dastehen?
"Wir halten es für ein allgemeines Recht, dass jedem, egal wo in Deutschland oder wo er sonst wohnt, ein Mindestanteil an der gemeinsamen Erde zugestanden wird. Deshalb wollen wir eigentlich nicht nach eigenen Kriterien eingreifen in die Verlosung", sagt Projekt-Initiator Prüm gegenüber watson. Aber man könne es natürlich auch anders machen.
"Wir haben uns für das Zufallsprinzip entschieden in der Hoffnung, dass sich ein statistischer Durchschnitt einstellt. Auf die Dauer ist das auch zu erwarten. Wir staunen selber, dass die bisherigen Orte alle im äußersten Westen lagen", erklärt Prüm weiter.
Ein weiter Kritikpunkt: Am strukturellen Problem der ungleichen Vermögens- und Erbschaftsverteilung wird das Projekt wohl kaum etwas ändern können. Ist das Grunderbe also reiner Idealismus?
"Unser eigenes Projekt mit den drei Grunderben ändert substanziell volkswirtschaftlich gesehen natürlich praktisch nichts", gesteht Prüm gegenüber watson ein. Für die drei Empfänger:innen pro Jahr würde sich aber schon etwas ändern. Und:
Die Zukunft des Projekts ist derweil ungewiss. Momentan finanziert ein Freund Prüms die insgesamt 12 Grunderben. Kommendes Jahr sollen die letzten drei verlost werden. Doch wie geht es danach weiter?
"Das wissen wir nicht. Wenn es keinen vermögenden Nachfolger für meinen Freund gibt, machen wir ein schönes 'closing dinner' und verfassen einen sauberen Projektbericht", sagt Prüm.
Das Projekt über Kleinspenden und Crowdfunding zu finanzieren, wie es der Verein "Mein Grundeinkommen" mit dem bedingungslosen Grundeinkommen macht, kommt für den 74-Jährigen nicht infrage. "Wir halten das für sinnlos, dass das Grunderbe von der Bevölkerungsschicht finanziert wird, der es eigentlich nützen sollte."
Wer die Voraussetzungen erfüllt und sich noch registrieren will, muss sich beeilen. Die Auslosung in Köln findet bereits am 28. November statt. Die Gewinnchancen stehen offenbar gar nicht so schlecht: Bisher haben sich nur rund 100 Menschen beworben.