Lange Schlangen, überarbeitetes Personal und stundenlanges Warten: Wer schon einmal einen ärztlichen Notfall hatte, kennt dieses Szenario in der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Nur weil man nachts, am Feier- oder Sonntag in die Notaufnahme fährt, heißt das noch lange nicht, dass man gleich Hilfe bekommt. Oft ist trotz Schmerzen oder Verletzungen erst einmal Geduld angesagt. Denn die Krankenhäuser und Notfallzentren sind überfüllt: Wegen zu wenigen Ärzt:innen, aber auch, weil viele Menschen zu schnell und oft unnötig ins Krankenhaus fahren.
Der Chef der Kassenärzte, Andreas Gassen, befürwortet deshalb künftig eine Gebühr für Patient:innen, die ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in die Notaufnahme kommen. Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch:
Dem Argument, derartige Gebühren seien unsozial, widerspricht Gassen vehement: "Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden." Er will den Notdienst für die wirklich schweren Fälle frei halten.
Gassen fügte hinzu: "Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall." Er begrüßte zugleich die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), den Rettungsdienst unter 112 und den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 virtuell zusammenzuschalten, um dort eine Ersteinschätzung vorzunehmen. Anschließend könnte der Anrufende an die richtige ärztliche Stelle geleitet werden.
Doch mit seinem Vorschlag stößt Gassen auf Kritik. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen findet den Vorstoß für eine Notaufnahme-Gebühr unter bestimmten Voraussetzungen "irreführend und gefährlich".
"Menschen mit einem akuten medizinischen Problem müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen unabhängig vom Geldbeutel in der Notaufnahme jederzeit geholfen wird", sagte Dahmen. Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Arztpraxis. "Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden."
Janosch Dahmen schlägt stattdessen vor, die Versorgung durch Haus- und Kinderärzte zu stärken und Angebote wie Rund-um-die-Uhr-Hausbesuchsdienste und telemedizinische Notfallbehandlungen durch die Kassenärzte auszubauen.
Die Versorgung von Notdienstpraxen in den Notaufnahmen müsse endlich ausgebaut werden, forderte der Grünen-Gesundheitspolitiker. Dies müsse jetzt Vorrang haben. "Mit der anstehenden Notfallreform werden wir im Bund hier für mehr Verbindlichkeit sorgen." Für Menschen in Not dürfe es keine Rolle spielen, welche Nummer man wähle oder wo man sich im Gesundheitswesen hinbegebe. "Man muss Hilfe zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort bekommen. Gebühren sind da patientengefährdend und führen in eine Sackgasse."
Zur geplanten Krankenhausreform in Deutschland, über die wir in diesem Artikel bereits im Detail berichtet haben, sagt Andreas Gassen als Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zum "Redaktionsnetzwerk Deutschland" folgendes: "Deutschland hat gar nicht mehr das Personal, die heute vorhandenen fast 2000 Kliniken komplett weiterzubetreiben.“
Gassen kündigt an, dass sich etwas ändern wird im deutschen Gesundheitssystem:
Statt einer Schließung der Klinik kann sich der KBV-Chef aber auch die Umwandlung in ein Versorgungszentrum vorstellen. Dort könnten beispielsweise ambulante Operationen angeboten werden.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat der Idee von Kassenärzte-Chef Andreas Gassen für eine Notaufnahme-Gebühr eine Absage erteilt. Es werde intensiv über die Neustrukturierung der Notfallversorgung diskutiert – über eine Gebühr jedoch nicht, weswegen der Vorschlag keine Aussicht auf Umsetzung habe, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Berlin.
(mit Material der dpa)