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Psychologie: Shopping-Rausch oder Kaufsucht? Ein Psychologe antwortet

Ein Shoppingbummel am Wochenende gehört für viele dazu – doch ab wann wird das Einkaufsverhalten zur Sucht?
Ein Shoppingbummel am Wochenende gehört für viele dazu – doch ab wann wird das Einkaufsverhalten zur Sucht?Bild: iStock / Getty Images Plus / Kikovic/
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Shopping-Rausch oder Kaufsucht? Ein Psychologe antwortet

01.02.2020, 09:49
Jana Schütt
Jana Schütt
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Dein Kleiderschrank ist voll, vier DHL-Sendungen sind auf dem Weg zu dir und am Wochenende bist du zum Bummeln verabredet – schließlich ist Sale. Keine Sorge, mit deiner Einkaufslust bist du nicht allein: Laut einer Umfrage ist Shoppen das zweitliebste Hobby der Deutschen – nur Gartenarbeit ist noch beliebter.

Dabei beschränkt sich das Einkaufen längst nicht mehr auf stationäre Geschäfte. 2019 gab knapp jeder dritte Deutsche zwischen 1000 und 2500 Euro für Internetkäufe aus. Doch wo ist die Grenze zwischen Kauflust und Kaufsucht? Ab wann sind deine DHL-Bestellungen und Shopping-Bummel besorgniserregend?

Wir haben mit dem auf Verhaltenssüchte spezialisierten Psychologen und Psychotherapeuten Michael Semeraro aus Düsseldorf gesprochen. Im Interview mit watson erklärt er, was eine Kaufsucht kennzeichnet, wie sie entsteht und wo Betroffene Hilfe finden – denn eine Kaufsucht solltest du nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Wenn Shoppen zum Zwang wird: Was ist eine Kaufsucht?

Die Kaufsucht (Oniomanie) zählt zu den Verhaltenssüchten oder stoffungebundenen Süchten – im Gegensatz zu stoffgebundenen Süchten wie beispielsweise der Alkoholabhängigkeit. Schätzungsweise sechs bis sieben Prozent der Deutschen sind kaufsuchtgefährdet, erklärt Psychologe Semeraro gegenüber watson. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich höher. Als eigenständige Krankheit ist sie bisher allerdings nicht anerkannt.

"Die Kaufsucht als Impulskontrollstörung zeichnet sich durch ein episodisches, wiederholtes und exzessives Kaufen von Konsumgütern oder Dienstleistungen aus."
Psychologe Michael Semeraro

"Bei Betroffenen besteht ein intensiver Kaufdrang und ihre Gedanken kreisen in zwanghafter Weise um dieses Thema", so Semeraro. "Sie können Kaufimpulsen nicht widerstehen und verlieren die Kontrolle über ihr Handeln."

Kaufsüchtige spezialisieren sich häufig auf bestimmte Produkte und Kaufumgebungen, die sie mit Bedeutungen oder Funktionen verbinden. Bei Frauen sind das häufig Dinge wie Kleidung, Schmuck, Lebensmittel und Bücher. Männer konzentrieren sich auf Technik- oder Sportgeräte und modische Accessoires. Ob Frauen tatsächlich kaufsuchtgefährdeter sind als Männer, sei nicht abschließend geklärt, macht der Experte deutlich.

"Kaufsüchtigen geht es in erster Linie nicht um die Produkte, sondern um das Erleben des Kaufaktes."

Erforscht sei allerdings, dass vor allem jüngere Menschen im Alter von 24 bis 35 Jahren gefährdet sind, eine Kaufsucht zu entwickeln, da eine materielle Werteorientierung hier besonders präsent ist.

Konsum gehört zur Kultur

Das Problem: Kaufsucht ist eine eher unauffällige Sucht, die für Angehörige schwer erkennbar ist, so der Experte. "Kaufen, auch übermäßiges Kaufen, ist gesellschaftlich akzeptiert und wird durch Kreditmöglichkeiten erleichtert."

Ein kurzer Blick in die Realität verdeutlicht das Zelebrieren von exzessivem Konsum: Im Fernsehen laufen Shows wie "Shopping Queen", bei der in kurzer Zeit 500 Euro ausgegeben werden müssen. Das Internet ist voll mit Haul-Videos, in denen Menschen stolz ihre Einkäufe präsentieren. Das zeigt: In Industrieländern wie Deutschland gehört Konsum zur Kultur.

Für Betroffene ist es deshalb einfach, ihr süchtiges Kaufverhalten herunterzuspielen oder zu leugnen, erklärt Semeraro: "Bis der Leidensdruck unerträglich wird und sich die krankhaften Seiten wie Verschuldung oder Privatinsolvenz zeigen." Partner- und Freundschaften können dadurch belastet werden und sich weitere psychische Störungen wie Depressionen entwickeln.

Pures Glück! Was passiert beim Kaufen im Körper?

Um zu verstehen, was am Kaufen reizvoll ist, musst du nicht süchtig sein. Fast jeder kennt das tolle Gefühl, endlich die perfekte Jeans zu finden oder den DHL-Boten an der Tür zu sehen.

Denn Fakt ist: Shoppen macht glücklich! Das liegt an unserem Belohnungssystem, erklärt der Experte. "Beim Kaufen wird im Gehirn das Belohnungssystem aktiviert, das den Botenstoff Dopamin ausschüttet und uns ein Wohlgefühl, Zufriedenheit und Glück vermittelt."

"Das erreichte Zufriedenheitsgefühl hält nur kurzzeitig an, was zu einer erneuten Kaufattacke führt.
Es entwickelt sich ein süchtiger Teufelskreis, der nur schwer zu unterbrechen ist."

Bei Kaufsüchtigen ist dieses System ins Ungleichgewicht geraten. Sie brauchen immer mehr Botenstoffe und kaufen deshalb zunehmend unkontrollierter, um ein Wohlgefühl zu empfinden, so Semeraro. Vor dem Kaufverhalten entsteht bei Kaufsüchtigen eine innere Anspannung, die nach dem Kauf von einem Gefühl der Erleichterung abgelöst wird. Es geht also nicht mehr um Glücksgefühle, sondern das Ausgleichen negativer Gefühle wie Stress.

"Dabei sorgen äußere wie innere Reize dafür, dass immer wieder neuer Kaufdrang entsteht", erklärt der Experte. Äußere Trigger sind beispielsweise Werbungen oder Rabatte. Innere Reize beziehen sich meist auf die negative Gefühlswelt der Betroffenen, wie Trauer, Wut, Scham oder Schuld.

Kaufsüchtig? Auf diese 7 Anzeichen solltest du achten

Um herauszufinden, ob deine Shoppinglust bereits ein pathologisches Kaufverhalten ist, gibt es einige prägnante Symptome, erklärt Semeraro. Wenn mindestens drei davon auf dich zutreffen, kann stark von einer Kaufsucht ausgegangen werden.

  1. Ein starker Wunsch oder Drang etwas zu kaufen
  2. Kaufen und Horten von sinnlosen Dingen, die nicht benötigt werden
  3. Kontrollverlust über das Kaufverhalten (Kaufattacken)
  4. Es muss im Verlauf immer mehr gekauft werden, um denselben Effekt zu erzielen
  5. Die Gedanken, etwas zu kaufen, nehmen im Alltag immer mehr Raum ein
  6. Freizeitbeschäftigungen oder Interessen werden zugunsten des Kaufens reduziert oder ganz aufgegeben
  7. Das Kaufen wird fortgesetzt, obwohl bereits negative Folgen entstanden sind, wie Verschuldung, kriminelle Geldbeschaffung, Partnerschafts- und familiäre Krisen

Hinter der Kaufsucht stecken tiefe psychologische Probleme

Solltest du nach dem Check vermuten, unter einer Kaufsucht zu leiden, dann hol dir Hilfe. Denn die Kaufsucht ist meist eng verknüpft mit psychischen Problemen wie Depressionen, Zwangsstörungen oder unbewältigten Beziehungskonflikten, erklärt der Experte. Unterstützung findest du bei Suchtberatungsstellen oder Psychotherapeuten.

"Sich mit der Kaufsucht in Form von Selbsthilfebüchern und Ratgebern zu beschäftigen ist lohnend, jedoch meist nicht ausreichend."

In der Psychotherapie wird auf die Motive und Konflikte hinter der Kaufsucht geschaut. "Durch diese seelischen Einsichten werden die Betroffenen dabei unterstützt, Veränderungen im Erleben und Verhalten zu erlangen", sagt der Experte. Dort erlernst du auch, mit Einkaufs- und Rückfallrisikosituationen umzugehen.

Zudem gibt es Selbsthilfegruppen, in denen du dich mit Betroffenen austauschen kannst. Je nach Ausmaß ist auch der Besuch einer Schuldnerberatungsstelle ratsam, erklärt der Experte. Auf jeden Fall solltest du deine Kaufsucht ernst nehmen und handeln, bevor du immer weiter die Kontrolle über dein Verhalten verlierst.

Hotline der Suchtberatung
Solltest du Hilfe und Beratung brauchen, findest du hier die Website der Suchtberatung des Deutschen Roten Kreuzes. Du erreichst ihre Hotline kostenlos und rund um die Uhr unter 08000 365 000.
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