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Ex-Soldat über Pläne zum Wehrdienst: "Bundeswehr hat Strukturen dafür nicht"

Niklas Voß PPF Germany
Niklas Voß war vier Jahre lang bei der Marineinfanterie.bild: PPF Germany
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Ex-Soldat über Wehrdienst-Pläne: "Bundeswehr hat Strukturen dafür nicht"

15.06.2024, 14:5515.06.2024, 14:58
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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) plant einen neuen Wehrdienst. Aufgrund der Bedrohungssituation, unter anderem durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, müsse die Bundeswehr aufstocken. Rund 200.000 Reservisten mehr will der Politiker einstellen. Dafür sollen künftig alle 18-Jährigen einen Fragebogen ausfüllen, auf dessen Grundlage ihre Tauglichkeit für den Wehrdienst beurteilt wird.

Niklas Voß ist Ex-Soldat und war vier Jahre lang bei der Marineinfanterie. Heute trainiert der 28-Jährige angehende Soldat:innen und Polizist:innen.

Mit watson spricht er über seine Meinung zu Pistorius’ Plänen und erklärt, warum nicht jede Person für den Wehrdienst geschaffen ist.

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Watson: Wie fit ist die Gen Z für die Bundeswehr, Niklas?

Niklas Voß: Wir hören von den Einheiten immer wieder: Die Fitness bei der Jugend lässt nach. Bei der Bundeswehr schläft man mal draußen im Wald oder nur vier Stunden. Es ist alles ein bisschen nass, ein bisschen dreckig. Viele haben darauf keinen Bock. Weil das Leben davor so gut behütet war. Es gibt immer noch Motivierte, aber ein großer Teil ist nicht mehr fit genug, wie vor 20 Jahren, als es noch die Wehrpflicht gab.

Warum haben die jungen Leute keinen Bock auf Wehrdienst?

Viele wissen gar nicht, wie es bei der Bundeswehr abläuft. Weil sie nicht so in der Gesellschaft steht, wie sie sollte. Viele haben das Bild: Die machen nichts, da ist alles komisch, dort sind alle Arschlöcher, es ist hart militärisch. Dabei wissen viele gar nicht, was der Job bei der Bundeswehr einem bietet, wenn man sich darauf einlässt.

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Soldatinnen brauchen Fitness und Ausdauer – Niklas Voß trainiert sie dafür.bild: PPF Germany

Was denn?

Man verdient gut, auch wenn man jung dabei ist. Sogar deutlich mehr als bei einer normalen Ausbildung. Man erlebt Sachen, die man als Zivilist niemals erleben würde. Das fängt an mit Dienst an der Waffe, Hubschrauber fliegen, aus einem Flugzeug springen. Ich habe den Reichstag, das Verteidigungsministerium, das Kanzleramt und andere staatliche Gebäude von innen gesehen. Da wäre ich so nie reingekommen.

"Nur mit Freiwilligen erreicht die Bundeswehr nicht ihre Ziele"

Wächst man an dem Job persönlich?

Wenn man sich darauf einlässt, kann es einen positiv verändern. Du lernst Wäsche waschen, bügeln, nähen. Außerdem Sorgsamkeit, Ordnung, Disziplin, Zielstrebigkeit. Man wird stressresistenter und entspannter, weil man gewohnt ist, wochenlang unter Stress zu agieren.

Aber nicht jede:r ist dafür geeignet, oder?

Wenn jemand eine grundsätzliche Abneigung gegen Waffen oder Gewalt hat, macht die Arbeit bei der Bundeswehr keinen Sinn. Das werden Leute, die immer krank sind, stören und andere runterziehen. Das braucht man nicht. Man muss sportlich sein, seine eigenen Bedürfnisse zurückstecken können. Wenn man Bock hat, open-minded da rangeht und ein bisschen sportliche Fähigkeit mitbringt, sollte das schon reichen. Der Rest kommt dann, weil man gerade in den ersten Monaten charakterlich geformt und geschliffen wird.

Was hältst du von Pistorius’ Plänen zur Reaktivierung der Wehrpflicht?

Ich finde es gut und nachvollziehbar. Die Bundeswehr hat ein Personalproblem. Wenn man in Richtung Ukraine schaut und was sich daraus noch entwickeln kann, ist es notwendig vom Schlimmsten auszugehen und sich darauf vorzubereiten. Nur mit Freiwilligen erreicht die Bundeswehr nicht ihre Ziele. Das einzige Problem, das ich sehe: Die Bundeswehr hat die Strukturen dafür nicht mehr.

Woran mangelt es?

Sie muss mehr Kasernen aufbringen, wenn jedes Jahr massenhaft neue Leute reinkommen sollen. Das Personalproblem bedeutet, dass auch Ausbilder fehlen. Die ganze Infrastruktur ist menschlich und logistisch nicht mehr wie früher. Jetzt erstmal einen Fragebogen zu verteilen, ist aber deutlich sinnvoller, als ab morgen wieder die Wehrpflicht einzuführen ohne zu wissen, wo die Leute schlafen sollen und wer sie ausbildet.

Nicht alle finden die Pläne gut.

Natürlich sind viele skeptisch vor dem Hintergrund der Kriegstüchtigkeit und der Situation in der Ukraine. Aber es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe und Verpflichtung, für unser Land im Ernstfall einzustehen. Von der Kriegstüchtigkeit mal abgesehen, ist es für die Gesellschaft nicht schlecht, wenn gewisse Tugenden wieder vermittelt werden.

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Niklas Voß trainiert angehende Soldatinnen und Polizisten.bild: PPF Germany

Welche sind das?

Klassiker wie Pünktlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, Disziplin. Für sein Wort einzustehen, Mut, Zivilcourage. Leistungsfähigkeit. Führung, aber auch geführt werden.

Wie ergeht es Menschen, die nicht das klassisch männliche Bild eines Soldaten erfüllen, beispielsweise queere Personen?

Es gibt viele weitere Bereiche in der Bundeswehr, beispielsweise IT, oder zivile Anschlüsse, wie die Verwaltung. Wenn man sich selbst in eine Opferrolle reindrängt, dann wird es schwierig. Aber wenn man Bock hat, klappt das auch. Ich denke, dass jeder seinen Platz finden wird, wenn man das richtige Mindset mitbringt.

Gibt es Mobbing und Diskriminierung bei der Bundeswehr?

Die Bundeswehr ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Es gibt in jeder Firma Mobbing und Diskriminierung, auch bei der Bundeswehr. Gerade in Einheiten, wie zum Beispiel der Infanterie, wo Kameradschaft gelebt wird, aber weniger. Dort ist man den ganzen Tag zusammen. Alle schlafen in der Kaserne, man erlebt alles zusammen, man muss sich zwangsläufig helfen.

"Das Handwerk als Soldat kann man nicht innerhalb von sechs Monaten erlernen."

Wie ist der Umgangston? Muss man damit rechnen, gedrillt zu werden?

In den ersten drei Monaten, während der allgemeinen Grundausbildung, ist der Ton schon anders. Da wird man härter rangenommen. Das ist aber notwendig, um Gehorsam beizubringen, der später im Einsatz notwendig ist. Danach wird es deutlich entspannter. Mittlerweile weiß man auch bei der Bundeswehr: Wenn ich die Leute nur anschreie, dann gehen sie wieder. Man muss mit den Menschen vernünftig umgehen und sie gut führen.

Wie sieht der Alltag aus?

Es gibt immer gleiche Abläufe, wie das Antreten am Morgen. Vormittags und nachmittags findet die Ausbildung statt. Das kann am Anfang in der Grundausbildung Unterricht zu Wehrrecht sein oder die praktische Ausbildung in der Kaserne oder auf dem Übungsplatz. Außerdem muss man Waffen und Ausrüstung reinigen, Einsätze vorbereiten und Neue ausbilden.

Sechs Monate Grundwehrdienst sieht Pistorius’ Vorschlag vor – reicht das aus?

Das ist die intensivste Phase, man wird stark geprägt. Aber das Handwerk als Soldat kann man nicht innerhalb von sechs Monaten erlernen. Nach drei Jahren weiß man grob, was abgeht – zivil ist man ja auch erst nach drei Jahren ausgelernt. Um grundlegende soldatische Kenntnisse zu erlangen, reichen sechs Monate gerade so. Früher hat man Dienst ohne Ende gemacht. Mittlerweile gibt es auch beim Bund Überstundenabbau und Zeiterfassung. Mit Urlaub und Ausgleich kann ein halbes Jahr schon kurz sein. Aber um die absoluten Basics zu lernen, reicht es.

Ist man nach sechs Monaten also kriegstüchtig?

Für einen klassischen Krieg, vielleicht. Für speziellere Operationsziele reicht ein halbes Jahr nicht. Da kann man noch nicht wirklich gut schießen. Taktisches Verständnis hat man auch nicht. Nach einem halben Jahr ist man noch kein Profi. Aber es ist ein guter Ansatz.

Muss ich auch im Herbst und Winter Sonnencreme auftragen?

Mit mehr als 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Hautkrebs die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Die Zahl der damit verbundenen Todesfälle ist in den vergangenen Jahren immer weiter angestiegen. Im Jahr 2021 sind hierzulande 4100 Menschen an einer Hautkrebserkrankung gestorben, 20 Jahre zuvor waren es noch 2600 gewesen.

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