Achtung, dieses Buch macht wütend! Doch genau das will diese Bestseller-Autorin erreichen. Alexandra Zykunov hat ein neues Buch voller Zahlen, Fakten und Absurditäten über Gleichberechtigung geschrieben: "Was wollt ihr denn noch alles?"
Im Gespräch mit watson spricht sie darüber, wie man die Machtverhältnisse verändern könnte und warum dies scheinbar gesellschaftlich immer noch nicht gewollt ist.
watson: Gibt es Bereiche, in den Frauen nicht diskriminiert werden?
Alexandra Zykunov: Selbst bei Berufen, in denen Frauen überpräsent sind, wie in der Pflege, verdienen sie trotzdem weniger als Männer. Und selbst in Jobs, in denen Frauen überproportional erfolgreich sind – als Klischee die Modebranche – entscheidet über den Erfolg dieser Frauen auch dort wieder ein männlicher Blick. Nämlich darüber, welche Frauen wir als normschön und sexy ansehen.
Auch die Wissenschaft zeigt, dass selbst in den Branchen, wo vermeintlich immer mehr Frauen hinströmen und immer erfolgreicher werden, dort die sogenannte Entwertungsthese kickt: Nämlich, dass in diesen Branchen die Gehälter automatisch zu sinken beginnen – eben weil dort so viele Frauen arbeiten und wir als Gesellschaft diese Branche dadurch als "entwertet" betrachten. Das heißt, im Grunde müsste ich mich da schon wieder revidieren und sagen: Es gibt im Grunde keinen Bereich, wo ich denken würde, da haben die Frauen endlich mal einen Vorteil. Das ist eine sehr traurige Antwort.
Was wäre denn ein Hebel, um etwas zu ändern?
Dass wir selbst im privaten Bereich irgendwas auslösen können, ist zwar möglich, hat aber eine sehr geringe Strahlkraft. Man muss politisch eingreifen und das allermeiste würde durch Quoten passieren. Und damit meine ich nicht Frauenquoten per se, sondern wirklich Diversitätsquoten. In allen Bereichen, wo es um die Verteilung von Macht und Geld geht, Wirtschaft, Forschung, Politik, Medien, Justiz, also wo es um Entscheidungsfragen geht, wie wir leben werden, wie die Politik und die wirtschaftliche Situation des Landes sein wird, müssen überall Quoten her. Diversitätsquoten, die die Verhältnisse, unsere Gesellschaft und ihre jeweiligen Lebenswelten so abbilden, wie sie sind.
Wie würden solche Gremien aussehen?
Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, heißt, die Hälfte der Gremien sollte von Frauen besetzt sein. Jeder dritte bis vierte Mensch hat migrantische Wurzeln, sprich, in diesen Gremien müsste jeder dritte bis vierte migrantische Wurzeln haben und so weiter. People of Color, Menschen aus Ostdeutschland, Menschen aus bildungsfernen Schichten, Transmenschen, Menschen mit Behinderungen etc. Nur dann können diese Menschen die Sichtweisen mitbringen, die in diesen Gremien sichtbar gemacht werden müssen. Solange das nicht der Fall ist, werden wir Gesetze, Entscheidungen und Strukturen haben, die alle die diskriminieren werden, die nicht in diesen Gremien sitzen. Und das sind aktuell alle, die nicht der heterosexuelle, weiße, deutsche cis-Mann sind.
Selbst Frauen finden es oft unfair, dass Care-Arbeit entlohnt werden sollte. Dass diese Kinder ihre Rente zahlen, gilt da als schwaches Argument.
Aber das ist ja absurd. Auf der einen Seite brüllen alle: "Oh mein Gott, demografischer Wandel und Fachkräftemangel, das ist ein akuter Wohlstandsverlust für das Land: Wir brauchen mehr Kinder im Land!" Und dann meckern sie: "Jetzt kriegen die ganzen Eltern extra Care-Arbeitsgeld und nur weil ich keine Kinder habe, werde ich finanziell dafür abgestraft." Dabei ist es so krass, dass Leute nicht den Zusammenhang verstehen: Wir alle haben doch einen Wohlstandsgewinn, wenn Menschen Kinder in unsere Welt setzen, wenn wir in Bildung dieser Kinder investieren, in die Care-Arbeit für diese Kinder.
...nur die Mutter verliert dabei.
Ja! Gleichzeitig verlieren die Menschen, meist Frauen, die diese benötigten Kinder kriegen, Geld. Sie müssen ja in Elternzeit gehen, sie müssen ihre Stunden reduzieren, aber niemand entschädigt sie finanziell dafür – weil es eben bisher kein Care-Arbeitsgeld gibt. Sie haben aber am Ende nur die Hälfte der Rente und des Erwerbseinkommens. Kinderkriegen und Care-Arbeit ist keine private Entscheidung, sondern unser Land braucht das. Es würde buchstäblich zusammenbrechen, wenn wir damit aufhören würden, Kinder in die Welt zu setzen und uns um sie zu kümmern. Care-Arbeit ist gesellschaftlich überlebensnotwendig für unser Land und unseren Wohlstand – da wäre es doch nur logisch, wenn wir diese entlohnen würden.
Wahrscheinlich sollten Frauen einfach streiken...
Das passiert immer wieder im Kleinen: Letztes Jahr konnte eine Mutter in einer kleinen Stadt Mitteldeutschlands mal wieder wegen Kitas-Schließungen einen Termin nicht wahrnehmen. Und sie ist so ausgeflippt, dass sie ihr Kind genommen hat, zum Bürgermeister-Büro marschiert ist und Rabatz gemacht hatte. Sie hat zum Bürgermeister sinngemäß gesagt: "Sie passen jetzt auf mein Kind auf, denn Ihre Politik verantwortet diese ganze Scheiße. Ich will endlich mal arbeiten gehen können." Klar ist das ein Extrembeispiel. Aber eigentlich müssten alle Frauen, die Care-Arbeit leisten, ihre Arbeit niederlegen. In Island hat vor ein paar Monaten die Hälfte aller Frauen des Landes wegen der Ungleichberechtigung die Arbeit niedergelegt. Auf Deutschland bezogen, wären das fast 20 Millionen Frauen gewesen. In den Siebzigern gab es dort schon mal einen Frauenstreik, da wurde wirklich das ganze Land lahmgelegt. Daraufhin hat man sehr schnell, sehr viele feministische Gesetze umgesetzt.
Warum schaffen wir so etwas in Deutschland nicht?
Wir müssen uns als Gesellschaft damit auseinandersetzen, dass Deutschland immer noch ein wahnsinnig antiquiertes Frauen- und Mutterbild hat. Frauen wird hier sofort eingeredet, sie müssten ein schlechtes Gewissen haben: "Wie kannst du so negativ über Mutterschaft reden, dein Kind entschädigt dich doch für alles! Das Babylächeln entschuldigt es doch, dass du die Hälfte der Rente nicht bekommen wirst. Und was bist du denn für eine Mutter, dass du das als Arbeit bezeichnest und dass du dafür Geld bekommen willst?" Das ist in Deutschland leider immer sehr schnell eine Reaktion. Und das macht es sehr schwer, solche Streiks durchzuführen. Aber super wäre es.
Du nennst in deinem Buch viele konstruktive Beispiele, wie man Dinge verbessern könnte. Warum passiert nix?
Im Endeffekt ist es einfach nicht gewollt. Ich wollte das selbst lange nicht akzeptieren, es klingt so plump. Aber am Ende geht es im Patriarchat ja auch einfach darum, den Machterhalt des mittelalten, weißen heterosexuellen cis-Mannes zu sichern. Hinzukommt, dass wir psychologisch nun mal dazu tendieren, mit Menschen zusammen sein zu wollen, die uns ähnlich sind.
Was heißt das?
Das heißt, wenn du in einem Unternehmen bist, wo durch alle Etagen durch in der Mehrzahl deutsche, weiße, heterosexuelle Cis-Männer arbeiten, tendieren eben diese dazu, wieder dieselben Thomasse und Christians zu sich zu holen. Vielleicht auch gar nicht böswillig. Aber es gibt für solche Phänomene mittlerweile in der Forschung sogar Namen: Der Thomas- oder auch Christian-Kreislauf ist mittlerweile ein konkreter Fachbegriff, der den Zustand beschreibt, dass in den Chefetagen der größten deutschen Unternehmen mehr Männer mit dem Namen Thomas oder Christian sitzen als Frauen insgesamt! Die Zahlen sind da.
Welche Zahlen?
Untersuchungen belegen, dass Unternehmen mit diversem Vorstand 25 bis 30 Prozent profitabler sind. Dass sich trotzdem so wenig bewegt und dass diese Zusammenhänge immer noch geleugnet werden, das sind am Ende vielleicht doch tief sitzende Blockaden im Kopf.