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Schwul im Alter: Darum braucht es queere Pflegeheime

Tender middle-age gay couple in love spending time together while enjoying an outdoor date in a park. LGBT couple concept.
Bis 1994 war Homosexualität in Deutschland per Gesetz strafbar. Bild: Getty Images/iStockphoto/MANUEL PUGA
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Schwul im Alter: Darum braucht es queere Pflegeheime

22.06.2023, 12:05
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An vielen Orten der Welt wird gerade gefeiert. Es ist Pride-Month und tausende Menschen sind auf den Straßen, um ein Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen.

Doch ein gar nicht so kleiner Teil der Community sitzt währenddessen Zuhause. Zu groß ist teilweise noch die Angst, wieder verfolgt zu werden, sich überhaupt zu outen. Zu groß auch die Barrieren, um überhaupt an einem Straßenumzug teilnehmen zu können. Die Rede ist von alten Menschen.

Der CSD ist dabei noch die geringste Hürde. Die frühere Verfolgung durch die Paragrafen § 175 und § 151 prägen auch heute noch das Leben vieler queerer Senior:innen.

Beide Paragrafen haben Homosexualität, jeweils in der BRD und ehemaligen DDR, unter Strafe gestellt. Der Bundesinteressenverband für schwule Senioren e.V. (BISS) hat sich daher zur Aufgabe gemacht, zu unterstützen, wo es nur geht.

Bezüglich der Wiedergutmachung der damaligen Kriminalisierung ist dem BISS ein riesiger Erfolg zu verdanken. Nachdem Homosexualität bis 1994 strafbar war, ist es dem Verband 2017 gelungen, eine Entschädigung für die Verurteilten durchzusetzen.

Homosexual married Caucasian men in their late 60's still in love and playful at Niagara Falls, Ontario, Canada. The couple is touring the Falls at sunrise.
Inzwischen wurden viele queere Senior:innen finanziell vom deutschen Staat entschädigt.Bild: Getty Images/iStockphoto/Robert Reed

Im Gespräch mit watson spricht der Vorstandsvorsitzende von BISS Andreas Kringe über den Generationen-Gap zwischen Jung und Alt und wo es noch mehr Kommunikation bedarf.

watson: Dank Ihres Vereins bekamen Opfer 3000 Euro pro Verurteilung, 1500 Euro pro angefangenem Jahr in Haft. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Andreas Kringe: Es war definitiv ein großer Erfolg. Doch es haben deutlich weniger die Entschädigung beantragt, als wir gedacht oder gehofft haben. Das lag aber auch daran, dass es so spät gekommen ist. Diejenigen, die es hätten gut gebrauchen könnten, sind gestorben.

Die Entschädigungszahlungen waren zudem ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir haben damals versucht, auch auf eine Kollektiventschädigung zu drängen, wo alle etwas von gehabt hätten und wodurch viele Vereine nochmal anders dastehen würden. Da haben sich aber einige Parteien überhaupt nicht offen für gezeigt.

Gay Couple Holding Hands at Park
Noch heute ist Homosexualität in vielen Ländern strafbar.Bild: Getty Images/iStockphoto/william87

Neben einer Hilfshotline, der Organisation von Selbsthilfegruppen setzt sich Ihr Verein auch für homosexuelle Pflegeeinrichtungen ein. Warum?

Schwule, Lesben und Transpersonen, die im vorgerückten Alter sind, haben aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrung etwas Eigenes im Gepäck, von dem nur wenige wissen. Etwas, das auch die Persönlichkeit und eine gewisse Ängstlichkeit prägt. Selbst, wenn man sich im Laufe seines Lebens emanzipiert und sich von gemachten Erfahrungen halbwegs befreit hat, verändert sich das, wenn man ins Alter geht und plötzlich merkt: Ich bin wieder von anderen abhängig. Dann kommen ganz viele alte Sorgen hoch: An wen binde ich mich? Ist der Pflegedienst für mich auch wirklich offen?

Ihr Verband richtet sich ausschließlich an schwule Männer. Wieso?

Es sind unterschiedliche Aspekte, die in den unterschiedlichen Gruppen zum Tragen kommen. Schwule Männer hatten den Paragrafen § 175 BGB im Westen oder den Paragrafen § 151 BGB im Osten, die sich bis weit in die 90er gehalten haben und deren Auswirkungen auch bis heute zu spüren sind. Hinzu kommt die HIV- und Aids-Krise, wo ganz viele Menschen aus unseren Reihen auch gestorben sind. Das macht auch etwas mit jemandem.

Lesbisch zu sein, war dagegen fast gar nicht zu sehen in der Gesellschaft. Bis 1977 war es eben noch so, dass Frauen in einer Ehe schuldig geschieden wurden, wenn herauskam, dass man lesbisch war. Damit hat man Rentenansprüche verloren, teilweise Kontakt zu seinen Kindern verloren und wurde psychiatrisiert.

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Lesbische Liebe blieb vor einigen Jahren noch größtenteils versteckt.Bild: imago images/frank sorge

Und Transpersonen haben auch eigene Lebensläufe. Viele, die sich erst mit Mitte bis Ende 40 herausgetraut haben und dann in die Transition gegangen sind, kommen etwa mit Mitte 50 in eine Art Pubertät. Sie wollen sich dann ausprobieren mit ihrer neu angenommenen Identität, obwohl das Alter auf dem Personalausweis eigentlich sagt, dass man sich jetzt um sein Alter kümmern müsste.

Also eine enorme psychische Belastung, die so im Alter noch einmal aufkommen kann. Inwiefern bedarf es da auch therapeutischer Angebote?

Die sind sehr nötig. Ich kenne viele, die das Glück hatten, Hilfe zu kriegen, obwohl die Person (Anm. d. Red.: der/die Therapeut:in) nicht aus der Community war. Dann musste man denen erstmal in den ersten vier bis fünf Stunden erklären, wie die eigene Community funktioniert. Eigentlich müsste man deshalb fordern, dass die ersten fünf Stunden die Patientin oder der Patient das Geld bekommt und nicht umgedreht.

"Es gibt einige wenige, die sich wirklich gut befreit haben. Die machen was, gehen raus, treffen sich."
Andreas Kringe

Dazu kommen die altersbedingten psychischen Erkrankungen, die noch einmal anders gestrickt sind. Umso wichtiger sind daher auch die Teilhabe- und Selbsthilfegruppen. Die leisten dort viel psychische Unterstützungsarbeit und übernehmen ganz viel, ohne zu wissen, dass sie es tun.

Wie hat sich die Scham der Betroffenen in den letzten Jahren entwickelt?

Es gibt einige wenige, die sich wirklich gut befreit haben. Die machen was, gehen raus, treffen sich. Doch manchmal sieht es auch anders aus.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Eine Gruppe in Köln trägt zu Unternehmungen immer ihre Mützen und T-Shirts. Wenn sie sich treffen, wird das alles angezogen. Wenn man dann abends wieder allein oder zu zweit nach Hause fährt, dann wird die Jacke wieder übergezogen, damit man das T-Shirt nicht sieht, und die Kappe kommt wieder in den Rucksack. Einfach, weil man in der Bahn nicht doof angemacht werden will. Das gibt es immer wieder.

Back view of a middle-aged male couple embracing each other while holding an LGBTQ rainbow flag outdoors. Equality, love and LGBT concept.
Viele queere Menschen tragen ihre Sexualität nur in gewissen Schutzräumen nach außen.Bild: Getty Images/iStockphoto/Daniel Megias

Ist das auch ein wenig Selbstschutz?

Das fällt ein bisschen unter den Begriff "Internalisierte Homonegativität", wo man schon im Vorhinein sagt "Oh Gott, ich betrete jetzt einen Raum, den kann ich nicht mehr gut bewältigen, wenn mir etwas passiert. Also falle ich nicht auf". Das ist absoluter Selbstschutz – und macht es schwerer, diejenigen, die vielleicht Anschluss bräuchten, zu animieren, mal vorbeizukommen.

Wie blicken Sie auf die Entwicklung der Community?

Wir haben zum ersten Mal so etwas wie eine Generationen-Gap. Wir haben eine große Anzahl an Älteren, die sich befreit haben aus vielen engen Zusammenhängen. Und jetzt gibt es zum anderen die Jüngeren, die sich vielleicht auch nochmal anders labeln, wo queer als Begriff eher genutzt wird als schwul, lesbisch oder trans. Da stolpern viele Ältere drüber und fragen sich: "Bin ich jetzt queer oder bin ich schwul? Weil das ist das, was ich mir erkämpft habe". Da ist es wichtig, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, was wir als Verein auch vorhaben. Und zwar auf Augenhöhe.

OXFORD, ENGLAND - MAY 30: Badges are seen on a protester outside The Oxford Union on May 30, 2023 in Oxford, England.Dr.Kathleen Stock is a philosopher, writer and former professor. She has spoken aga ...
Die Begrifflichkeiten sind auch in der LGBTQIA-Community von Generation zu Generation unterschiedlich. Bild: Getty Images Europe/Eddie Keogh

Erschweren einige Barrieren, wie etwa beim CSD, den Austausch dabei auch?

Ja. Wir haben dafür die Broschüre CSD ist für ALTE herausgebracht. Darin steht, was man alles machen kann. Darüber hinaus: Rikschas anbieten, einen Bus. In einigen Städten wie Köln und Düsseldorf gibt es eigene Pavillons.

Ihr Verband selbst wird staatlich gefördert. Ist Ihnen die Unterstützung der Regierung momentan genug?

Ende dieses Jahres läuft unsere Finanzierung aus. Man kriegt ja mit, dass überall der rote Stift zum Sparen angesetzt ist. Wir sind deshalb hinterher, dass wir weiterfinanziert werden. Ich habe aber den Eindruck, dass jedes Ministerium uns zum Aktionsplan der Bundesregierung "Queer leben" schubst, wo es jedoch frühestens Mitte bis Ende nächsten Jahres Geld geben wird. Doch wir brauchen ab Januar Geld. Ansonsten sind beide Dachverbände, also BISS und der Dachverband Lesben und Alter, tot.

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