Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) nimmt vor allem seit Beginn der Corona-Krise eine prominente Rolle ein: Immer wieder ist der Epidemiologe in Talkshows zu sehen und gibt in Interviews beinahe täglich seine Einschätzung zum Virus und dem Verlauf der Pandemie ab.
Mit der Popularität wächst allerdings auch der Hass, den Lauterbach erfährt: So wendete er sich vergangenen Sonntag auf Twitter an die Öffentlichkeit, um auf die Beleidigungen und Drohungen aufmerksam zu machen, die ihn regelmäßig treffen.
Als Person des öffentlichen Lebens wird jemand wie Lauterbach schnell zur Zielscheibe von Trollen. Fremd sind solche üblen Reden allerdings auch Privatpersonen nicht: Gerade, wer sich viel in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook aufhält, weiß, wie schnell man beleidigt, belästigt oder im schlimmsten Fall bedroht wird.
Was können also die Konsequenzen von Hass im Netz sein? Und wie geht man am besten mit solchen Angriffen um? Darüber hat watson mit der Psychologin Elisabeth Raffauf gesprochen.
watson: Junge Menschen sind mit dem Internet aufgewachsen. Sind sie einen raueren Ton, wie er häufig im Netz herrscht, eher gewohnt?
Elisabeth Raffauf: Das kann man pauschal nicht sagen. Schließlich gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen einer Aussage, die etwas flapsig formuliert ist und dadurch rauer wirkt, und einer echten Drohung, wie Herr Lauterbach sie beispielsweise gerade erlebt. Oder wie junge Menschen es auch gelegentlich erfahren.
Passiert es im Internet schneller, dass man sich im Ton vergreift?
Ja, die Schwelle, teils auch schwerwiegende Angriffe zu formulieren, ist niedriger. Das liegt daran, dass man sein Gegenüber im Netz nicht vor Augen hat. Das heißt, man sieht einfach nicht direkt, was man dem anderen antut. Letztlich sind wir allerdings alle zarte Seelen und reagieren empfindlich auf solche Angriffe.
Glauben Sie, dass Menschen momentan Empathie für Karl Lauterbach empfinden? Oder gehört es einfach dazu, als Person des öffentlichen Lebens so angegriffen zu werden?
Das ist ganz unterschiedlich. Natürlich werden viele Leute Verständnis dafür haben, dass Herr Lauterbach sich getroffen fühlt von den Attacken – unabhängig davon, ob er eine Person des öffentlichen Lebens ist oder nicht. Wer in der Öffentlichkeit steht, muss natürlich damit rechnen, häufiger kritisiert zu werden. Keine Position der Welt rechtfertigt es allerdings, dass man unter die Gürtellinie zielen darf. Am Ende des Tages kocht schließlich auch Herr Lauterbach nur mit Wasser. Er ist genauso verletzlich wie andere Menschen auch.
Was sollte man am besten tun, wenn man Zielscheibe solcher Angriffe wird?
Ich finde es richtig, wie Herr Lauterbach reagiert: Er wendet sich an die Öffentlichkeit, zieht den Kopf nicht ein. Das ist genau wie mit Mobbing im echten Leben: Wenn Menschen im Netz angegriffen werden, neigen sie manchmal dazu, nichts zu sagen, weil sie denken: Das geht schon vorbei. Genau das sollte man allerdings nicht tun. Es ist vollkommen richtig, sich bei einem Mobbing-Fall Unterstützung von außen zu holen, im Zweifelsfall auch juristische.
Lohnt es sich, mit den Angreifern zu diskutieren?
Das kommt darauf an. Auf jeden Fall sollte man sich auf keine längere Diskussion einlassen. Auch ist es ratsam, sich vom Inhalt wegzubewegen und stattdessen die Meta-Ebene zu suchen. Beispielsweise kann man fragen: Was hast du eigentlich gegen mich, was bringt es dir, mich so respektlos anzugehen? Solche Angriffe machen nur Menschen, die sich ansonsten ganz klein fühlen, damit sollte man sie konfrontieren.
Was können die psychischen Konsequenzen solcher Cyber-Mobbing-Attacken sein?
Die können ganz verheerend sein. Betroffene können sich sehr schlecht fühlen, traurig werden – und im Extremfall tun sie sich etwas an. Diese Gefahr besteht vor allem bei jungen Menschen, die sich vielleicht gerade verunsichert fühlen. Solche tragischen Fälle kommen immer wieder vor: Jüngere Leute fühlen sich so angegriffen, dass sie glauben, sie seien nichts mehr wert. Und dann spielen manche von ihnen auch mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen.
Und die Angreifer? Können auch sie unter den Attacken leiden, die sie selbst vorgenommen haben?
In den seltensten Fällen. Manchmal schreibt ein Mensch etwas Schlimmes im Internet und wird dann von seinem schlechten Gewissen eingeholt. Dann entschuldigt sich der Angreifer möglicherweise auch und steht zu seinen Taten. Das kommt glücklicherweise hin und wieder vor.
Ist Cyber-Mobbing eigentlich schlimmer als Mobbing im richtigen Leben?
Das Problem bei Attacken im Internet ist: Man wird die Angriffe nicht so schnell wieder los. Wenn erst mal böse Worte oder schambehaftete Bilder über einen im Netz kursieren, kann man das nicht einfach wieder löschen. So etwas verfolgt einen ständig, während Angriffe aus dem normalen Leben schneller wieder verfliegen.
Was kann ich tun, um mich gegen Cyber-Mobbing zu schützen?
Indem man sich selbst angemessen verhält. Wenn der Ton in einer Diskussion umschlägt, sollte man sofort darauf reagieren und klarmachen: so nicht. Und natürlich auch: Nicht dabei mitmachen, sondern sich ausschalten, sich aus bestimmten Chats oder Gruppen verabschieden. Die wichtigste Regel ist allerdings: Sobald mir etwas passiert und ich angegriffen werde, sollte ich mir das nicht gefallen lassen und den Tätern zeigen: Ich werde mich wehren, ich werde das herumerzählen – und zur Not auch die Polizei einschalten.