Am Arbeitsplatz sollte es um Qualifikationen und Leistungen gehen – doch oft spielen ganz andere Faktoren eine Rolle, wenn es darum geht, welche Mitarbeitenden erfolgreich sind: Sympathie und Identifikation.
Zu Recht fragen sich manche queere Menschen daher: Wie viel muss ich im Bewerbungsgespräch preisgeben? Wie kann ich das Verwenden bestimmter Pronomen einfordern, ohne als "kompliziert" zu gelten? An wen wende ich mich, wenn ich diskriminiert werde?
Hier greift das Konzept von Queermentor. Eine Diversity-Training-Plattform für LGBTQIA-Jugendliche, junge Erwachsene und Unternehmen, auf der Workshops, Mentoring und Networking angeboten wird.
Die Organisation hat erst Anfang Juni von der Bundesregierung einen Preis für ihr "herausragendes ehrenamtliches Engagement" bekommen. Die Begründung?
Pavlo Stroblja ist Gründer und Geschäftsführer von Queermentor GmbH. Warum die Initiative so wichtig ist, nicht nur zum Pride Month, erklärt der Heidelberger im Gespräch mit watson.
watson: Wie kam es zur Gründung von Queermentor?
Pavlo Stroblja: Mitten in der Corona-Pandemie und den Lockdowns, damals war ich im Einzelhandel tätig, habe ich aus meinem näheren Umfeld erfahren, dass es vielen LGBTQIA-Menschen wie mir geht. Sie fühlten sich isoliert, ohne den sozialen Austausch, hilflos. Laut einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2019 leiden queere Menschen doppelt so oft an Einsamkeit wie heterosexuelle Menschen.
Das ist viel.
Das wurde natürlich durch die Lockdowns intensiviert, als herkömmliche Beratungsstellen ihre Türen geschlossen haben. Mir war klar: Es braucht einen neuen Safer*Space für die queere Community, einen digitalen Schutzraum, in dem wir uns gegenseitig unterstützen, bestärken und das Gefühl der Zugehörigkeit wiederfinden können.
Was leistet Queermentor?
Queermentor bietet innovative Formate und Events, viele davon kostenfrei, denn wir möchten es jedem Menschen, der Hilfe sucht, ermöglichen, Support zu erhalten – ob Auszubildende, Studierende oder Führungskräfte. Alle sollen von unserem Angebot profitieren können.
Also richtet sich das Angebot an Arbeitnehmer:innen?
Über eine individuelle Mitgliedschaft hinaus arbeiten wir mit Organisationen und Unternehmen zusammen. Wir ermöglichen es Unternehmen, gegen Rainbowwashing konkrete Maßnahmen zu ergreifen.
Was sind typische Probleme queerer Menschen auf dem Arbeitsmarkt?
Die erste Frage, die unsere Mentees sich am Arbeitsmarkt stellen, lautet: Woher weiß ich, dass diese Arbeitgebenden es ernst meinen? Wie kann ich sicherstellen, dass ich in diesem Unternehmen, das eine große Marketing-Kampagne zu dem Pride Monat macht, nicht diskriminiert werde?
Werden offene Diskriminierungserfahrungen gemacht?
Absolut! Es gibt Teile der queeren Community, welche mehr als andere privilegiert oder benachteiligt sind. Schwule weiße Männer, dazu zähle ich auch mich, haben definitiv ein Privileg, verglichen mit anderen Teilen der LGBTQIA-Community. Lesbische Frauen oder trans Personen mit Migrationserfahrung werden mehrfach diskriminiert, zum Beispiel aufgrund der Zugehörigkeit zur queeren Community und des Geschlechtes oder ethnischer Herkunft. Hier sprechen wir über Intersektionalität.
Gibt es auch Unsicherheiten, wie viel man bei Bewerbungsgesprächen angeben muss?
Der Umgang mit der eigenen Identität in Bewerbungsgesprächen, aber auch generell am Arbeitsplatz, ist ein wichtiges Thema. Viele Menschen fühlen sich unsicher, denn sie haben Angst davor, schlechtere Chancen bei der Karriereentwicklung zu haben. Deswegen entscheiden sie sich dafür, sich nicht zu outen. Und wenn sie die ganze Zeit auf der Hut sein müssen, nicht zwangsgeoutet zu werden, entfalten sie nicht ihr volles Potenzial auf der Arbeit.
Thema Personalpronomen – ist das ein Streitthema in Betrieben?
Da sind wir wieder beim Thema Privilegien. Ich bin ein Cis Mann, meine geschlechtliche Identität "Mann" entspricht dem Geschlecht, das mir bei der Geburt zugewiesen wurde. Ich werde auch "als Mann gelesen".
Was hat das mit Pronomen zu tun?
Es gibt Menschen, deren geschlechtliche Identität nicht ihrem zugewiesenen Geschlecht entspricht. Sie erfahren mehr Ausgrenzung und Feindlichkeit als ich. Deshalb ist es wichtig, dass gerade Menschen mit Privilegien Pronomen benutzen, denn damit unterstützen wir eine Arbeitswelt, in der wir weniger in Schubladen gesteckt werden.
Gibt es ausreichend versierte Anlaufstellen, wenn Mitarbeitende diskriminiert werden?
Das Thema Safer*Spaces für Menschen, die Diskriminierung erfahren, beschäftigt viele Unternehmen. Denn solche Safer*Spaces tragen dazu bei, gerade bei den Mitarbeitenden, die Support suchen, Vertrauen herzustellen und Konflikte zu vermeiden.
Ein Betriebsrat reicht da nicht?
Betriebsräte oder direkte Vorgesetzte sind in vielen Fällen nicht ausreichend zu den Themen sensibilisiert oder neigen dazu, den Problemen, die ihnen nicht bekannt sind, weniger Bedeutung zuzumessen. Das hat nicht mit Mangel an Empathie zu tun, sondern damit, dass Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, uns am besten verstehen und wissen, wie sie uns unterstützen können.
Ein:e echte:r Mentor:in also?
Ja. Hier kommt das Mentoring-Format als guter Lösungsansatz an – die Weitergabe der eigenen Erfahrungen in einem vertraulichen Safer*Space.
"Sollten" sich queere Menschen im Arbeitsumfeld outen? Was ist diesbezüglich deine Erfahrung?
Generell gilt: Wir sind anderen keine Erklärung schuldig, was unsere Identität mit all ihren Facetten betrifft. Entscheiden wir uns für ein Coming out, ist es ein Schritt, der viel Mut erfordert und Unterstützung und Fürsprecher:innen braucht, denn dadurch können wir mehr Stolz und Selbstbewusstsein gewinnen.
Noch etwas?
Es ist unnötig, queeren Menschen Labels zuzuweisen – "Ach, die Schwulen, die sind doch so drollig, so bunt und schrill" oder bei einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft "Wer in eurer Beziehung ist Mann und wer ist Frau?". Das sind alles "witzig gemeinte" Floskeln, die queerfeindliche Narrative unterstützen. Diese können Menschen verletzen oder retraumatisieren und aus diesem Grund entscheiden sich viele, sich nicht zu outen.
Was wäre eine typisch unangemessene Reaktion als Kolleg:in?
Wir brauchen niemand, der uns sagt: "Du bist queer? Hätte ich nie gedacht" – und meinen das als Kompliment. Oder "Ist mir egal, ob du queer bist, denn ich bin tolerant". Toleranz, geduldet werden, ist das Letzte, was wir in einer solchen Situation brauchen.
Dein Rat für mehr Miteinander auf der Arbeit?
Wir brauchen eine Aufwertung im Umgang miteinander, an erster Stelle mit uns selbst. Menschen, die Diskriminierung erfahren, entwickeln bestimmte Kompetenzen. Dazu gehören nicht nur Resilienz oder Adaptivität, sondern auch Kreativität, Innovation und Selbstbehauptung. Um diese Skills einsetzen zu können, brauchen wir Safer*Spaces und Menschen, die uns supporten.
Über das Thema, wie wir alle uns für Diversity und Gleichberechtigung engagieren können, spricht Stroblja auch in seinem Buch "Diversity Upgrade", das am 16. Juli im Haufe Verlag erscheint.