Die Österreicherin Sabrina Kaschowitz ist studierte Dolmetscherin in Italienisch, Russisch sowie Englisch. Nebenher lernt sie auch Französisch und Arabisch. Ihren ersten Vollzeitjob hatte sie im Verteidigungsministerium Österreichs, danach arbeitete sie lange als Freelancerin.
Im Gespräch mit watson erzählt die 29-Jährige über die Verantwortung und Anforderungen, die der Job mit sich bringt, der oftmals ihrer Meinung nach zu Unrecht belächelt wird. Nach der Devise: sind doch nur Sprachen.
Watson: Sabrina, in welcher Sprache träumst du nachts?
Sabrina: Das ist tatsächlich unterschiedlich. Mir wurde aber schon mal gesagt, dass ich nachts auf Russisch murmeln würde.
Studien zeigen, dass multilinguale Menschen ihre Persönlichkeit ändern, je nachdem, welche Sprache sie sprechen.
Absolut, das kenne ich. Es ist schwierig, all die verschiedenen Sprachen in eine Person zu integrieren, vor allem wenn man sich intensiv mit der Kultur auseinandergesetzt hat. Manche Dinge funktionieren besser in einer gewissen Sprache. Wenn ich zum Beispiel sehr aufgebracht bin, kann ich das am besten auf Italienisch kommunizieren. Da kann man sich so schön aufregen.
Und wofür ist Russisch gut?
Auf Russisch kann ich besser flirten. Die Sprache ist etwas verspielter, aber wie Englisch für mich auch sehr politisch. Gerade in Kasachstan und Russland wird gern diskutiert. Mein russischer Gastvater hat mir immer abends seinen selbstgemachten Wodka "aufgezwungen" und stundenlang über die USA-Russland-Beziehungen gesprochen.
Was ist mit deiner Muttersprache Deutsch, ist das ein Hafen, wo du dich am wohlsten fühlst?
Deutsch hat für mich nicht so einen eindeutigen Charakter, vor allem als Österreicherin, die viel mit deutschen Auftraggebern zusammenarbeitet. Es ist aber eine sehr faszinierende Sprache, die ich gern anderen erkläre, die sie nicht sprechen.
Als Dolmetscherin hast du bestimmt schon die halbe Welt gesehen, oder?
Man kommt schon viel herum, aber am Ende zieht es mich eigentlich immer wieder in die gleichen Länder. Aber vergangenen Sommer war ich in Syrien, das war spannend. Ich wollte aufgrund meines privat sehr starken Bezuges zu Syrien ein Gefühl für das Land bekommen, auch wenn ich sehr lange gezögert habe.
Aufgrund des autoritären Assad-Regimes und des Bürgerkrieges?
Ja, dabei war mir bewusst, dass ich das Land nur mit Guide besuchen darf. Dabei sieht man nur Orte und Perspektiven, die die autoritäre Regierung nach außen promoten will. Ich finde es beim Reisen wichtig, so gut wie möglich offen und vorurteilsfrei zu sein, aber auch die gesellschaftlichen und politischen Begebenheiten vor Ort im Hinterkopf zu behalten.
Das klingt abenteuerlich: Reisen, die Welt kennenlernen. Wusstest du schon immer, dass du Dolmetscherin werden möchtest?
Ich hatte schon eine Leidenschaft für Sprachen während der Schulzeit. Aber damals konnte mir keiner so richtig sagen, was ich beruflich mit Sprachen anfangen könnte. Erst kurz vor dem Schulabschluss erfuhr ich dann, dass ich Dolmetschen studieren kann.
Außer der Liebe zu Sprachen, was faszinierte dich noch an diesem Beruf?
Die große Schnittstelle zur Politik. Ich muss mich mit dem aktuellen Weltgeschehen auskennen. Zum Beispiel, wenn ich bei Konferenzen mit starkem politischem Bezug, wie etwa einmal im österreichischen Außenministerium, dolmetsche oder Delegationen begleite. Was oftmals unterschätzt wird, ist, dass wir auch ein überdurchschnittliches Allgemeinwissen mitbringen müssen, man dolmetscht Inhalte und Botschaften, nicht Worte. Es ist ein wirklich anspruchsvoller Beruf.
Wie läuft dieser genau ab?
Die Arbeit ist je nach Auftrag unterschiedlich. Meist sind es Aufträge bei Konferenzen. Da kann es zum Beispiel kurzfristig passieren, dass ich mal schnell nach Usbekistan muss und ohne längere Vorbereitungen ins kalte Wasser geworfen werde.
Inwiefern?
Oft ist es so, dass man die Beiträge der Redner:innen – denn keiner spricht wirklich frei – nicht bekommt, obwohl es in deren Interesse läge. Der Horror sind dann irgendwelche Zitate, die "undolmetschbar" sind. Ich müsste die offizielle Übersetzung wissen, denn eine improvisierte Version wird in der Zielsprache vielleicht nicht als das Zitat erkannt. Das ist eine sehr anstrengende Kopfarbeit. Soweit ich es kenne, darf man auch nicht mehr als 45 Minuten am Stück dolmetschen. Dann wird gewechselt.
Also arbeitet ihr immer zu zweit in der Kabine, etwa bei Konferenzen?
Korrekt. Da kann man auch mal schnell wechseln, falls es zu einem Blackout kommt (lacht). Aber bisher lief immer alles rund. Zum Beispiel hat eine Kollegin von mir den Europarat mit dem Europäischen Rat verwechselt. Mit einem Zettel habe ich sie schnell darauf aufmerksam gemacht.
Das klingt stressig. Welche Schattenseiten gibt es noch?
Als freiberuflicher Dolmetscher musst du wirklich bereit sein, alles anzunehmen, wenn du das zu deiner Haupteinkommensquelle machen möchtest. Damit hatte ich dann irgendwann sowohl themenspezifisch als auch von der Frage her, wer meine Auftraggeber sind, ein Problem. Deswegen mache ich hauptberuflich nun etwas anderes und nehme nur Aufträge an, die ich wirklich gern mache. Auf jeden Fall muss man zeitlich und örtlich sehr flexibel sein – und braucht daher etwa auch einen verständnisvollen Partner.
Bei diesem Job trägst du auch eine große Verantwortung, wenn es etwa um hitzige Debatten geht. Zum Beispiel, ein Treffen zwischen israelischen und palästinensischen Politiker:innen zu dolmetschen. Da könnte etwas bei der Übersetzung falsch rüberkommen, und basierend darauf werden Entscheidungen getroffen.
Ja, der Druck ist auf jeden Fall bei solchen Aufträgen vorhanden. Ein Zurück gibt es meistens nicht, was gesagt ist, ist gesagt. Missverständnisse kann man nur mit viel Geschick ausbügeln. Aber auch beim Dolmetschen, etwa im Asylbereich, trägt man meiner Erfahrung nach viel Verantwortung.
Zum Beispiel?
Ich habe mal mit tschetschenischen Geflüchteten zusammengearbeitet. Hier musste ich sehr vorsichtig sein, dass ich mit meinen Worten nichts triggere. Fast alle von ihnen litten an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Viele Frauen tragen bis heute, auch wenn sie schon länger in Österreich sind, Narben, über die sie nur sehr schwer sprechen können. Das ist dann auch für mich emotional.
Das stelle ich mir sehr schwierig vor.
Im Land selbst und unter ihnen gilt das als ein Tabu-Thema, also darüber zu sprechen. Aber mit mir als Dolmetscherin öffneten sich die Tschetscheninnen in der Therapie, weil sie mich als Österreicherin als eine neutrale Person ansahen.
Hier war sicherlich viel Empathie vonnöten.
Auf alle Fälle.
Als Dolmetscherin bist du auch so eine Art Weltenspringerin, du tauchst in verschiedene Kulturen ein. Kasachstan, Russland, Libanon. Dann bist du wieder in Europa. Schenkt dir das einen besonderen Blickwinkel auf politische Konflikte in der Welt?
Mir fällt auf, dass wir uns oft viel zu wenig mit anderen Realitäten auseinandersetzen. Zum Beispiel, was ich durch meinen Aufenthalt im Libanon gelernt habe, ist, dass wir immer noch einen unglaublich eurozentristischen Blick auf die Welt haben und unsere koloniale Vergangenheit nicht aufgearbeitet haben – auch wenn wir das stets behaupten.
Gerade beim Nahostkrieg verstehe ich eben das Narrativ der palästinensischen Seite. Ich wünsche mir, dass die Menschen verstehen, dass es unterschiedliche Wahrheiten gibt, und die Welt nicht Schwarz und Weiß oder Gut und Böse ist.