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Polyamorie: Influencerin Saskia Michalski liebt mehrere Partner gleichzeitig

Bist du in einer Beziehung? Na mindestens, müsste es bei Saskia heißen.
Bist du in einer Beziehung? Na mindestens, müsste es bei Saskia heißen. bild: michalski
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Saskia Michalski führt zwei Beziehungen gleichzeitig – trotz Eifersucht

31.08.2023, 07:52
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Saskia Michalski ist Expert:in auf vielen Gebieten – zum Beispiel Diversity, Queerness und Polyamorie. Auf Social Media teilt Saskia dieses Wissen mit einer Fangemeinde von über 100.00 Followern – zu denen im Übrigen auch Saskias Großeltern gehören.

Im Gespräch mit watson spricht Saskia darüber, wie es sich anfühlt, mit zwei Menschen gleichzeitig in einer Beziehung zu sein und warum Eifersucht völlig okay ist – solange man sich mit ihr auseinandersetzt.

Saskia (30) ist nichtbinär und benutzt they/them-Pronomen.
Saskia (30) ist nichtbinär und benutzt they/them-Pronomen. bild: michalski

watson: Wie ist deine derzeitige Beziehungssituation – mit wie vielen Menschen bist du zusammen?

Saskia Michalski: Ich bin mit zwei Menschen in einer romantischen Liebesbeziehung, nämlich mit Lui und Maxi. Mit Lui bin ich in einer offenen Beziehung, denn Lui möchte daten und ist außerdem noch mit Mila zusammen. Mit Maxi bin ich in einer geschlossenen Beziehung, wir haben gemerkt, dass wir nicht so gerne daten, sondern am Anfang unserer Beziehung einen sicheren Hafen bauen wollen.

"Jede Beziehung muss ihr eigenes Skript schreiben."

Ist Polyamorie eine Identität oder eine Entscheidung?

Für einige ist es eine Lebensphilosophie, zu sagen: "Liebe ist einfach nicht begrenzt und ich möchte dem lieber nachgehen und mich auch durch Unsicherheiten und Eifersucht durcharbeiten, als mich selbst zu verleugnen." Andere sind da eher "reingerutscht". Du wirst ja nicht monogam geboren. Sondern dir wird beigebracht, dass das gut und normal ist. Es kann also eine Entscheidung sein, sich von dieser Norm zu lösen. Genauso kann es aber auch sein, dass jemand entdeckt: "Ich habe schon immer mehr als einen Menschen geliebt und das fühlt sich richtig an."

Wie ist es für dich?

Nicht-monogames Denken ist für mich eine Identität. Und Polyamorie ist eine Möglichkeit, der man nicht unbedingt nachgehen muss. Es geht mir auch gar nicht darum zu sagen, dass Monogamie schlecht ist. Jede Beziehung muss ihr eigenes Skript schreiben.

Also hat jede Beziehung eigene Grenzen und wird individuell gestaltet.

Voll. Maxi und ich haben außerdem festgelegt, dass, wenn sich etwas verändern sollte, wir miteinander reden. Uns ist eine Wahrhaftigkeit über die Bedürfnisse wichtiger, als an starren Regeln festzuhalten. Und auch Lui und ich haben ganz viele verschiedene Phasen unserer Beziehung durchgemacht, von geschlossen zu offen, zu mehr liebend. Das ist ja nicht etwas, was du einmal entscheidest und dann muss es so bleiben. Ich bewundere Menschen, die direkt offen in eine Beziehung starten. Da bin ich nicht der Typ dafür. Ich brauche immer eine Basis und eine Sicherheit. Dann kann ich langsam mit der Person rausgehen sozusagen.

Was empfindest du als die größte Herausforderung in polyamoren Beziehungen?

Für mich ist es emotionale Abgrenzung. Ich finde das sehr anstrengend, denn wir beeinflussen uns alle gegenseitig. Wenn zum Beispiel Lui und Mila einen schweren Tag haben, dann hat Lui schlechte Laune. Das beeinflusst mich. Das beeinflusst wieder Maxi. Das bedeutet, ich muss mich abgrenzen von den Themen, die nichts mit mir zu tun haben. Wenn ich eine bestimmte Situation mitbekomme und ich finde, die eine Person hat recht oder die andere nicht, muss ich mich raushalten. Außer, ich werde gefragt. Das ist Abgrenzungsarbeit deluxe.

Und was sind die größten Vorteile, die man in Poly-Beziehungen hat?

Die Benefits sind auf jeden Fall, dass man ein großes Support-System hat und dass keine Person den Druck verspürt, alle Bedürfnisse erfüllen zu müssen. Und das große Pro ist natürlich, sich sicher in der Kommunikation zu fühlen. Als ich eine monogame Beziehung geführt habe, habe ich immer Angst gehabt, bestimmte Dinge anzusprechen. Die polyamore Beziehung ist zwar nicht frei von schlechten Gefühlen, aber es geht eher darum, sie durchzuarbeiten und dadurch habe ich mehr Freiheit, zu mir selber zu stehen.

Wann hast du dich als poly geoutet?

Ich habe mich 2020 als poly geoutet. Ich habe in einer glücklichen Ehe gelebt und mich wieder verliebt. Das hat erstmal eine große Sinnkrise ausgelöst.

"Polyamorie wird mit einem Freifahrtschein zum Fremdgehen und Herumvögeln gleichgesetzt und daran ist einfach alles falsch."

Gibt es Situationen, in denen du nicht sagst, dass du poly bist?

Zu meinem poly Dasein stehe ich immer, weil ich keine Beziehungsperson verleugnen will. Aber bei anderen Coming-outs bin ich schon ein bisschen vorsichtig. Dadurch, dass meine Beziehungspersonen ja verschiedene Geschlechter haben, ist es gleichzeitig auch immer ein queeres Outing. Und das einzige Outing, das ich immer sehr bewusst entscheiden muss, ist das nicht-binäre.

Was verstehen deine Großeltern von diesen Labels?

Ich habe das Privileg, dass meine Großeltern meine größten Fans sind, den Podcast hören und mit auf Tour sind. Meinen Großeltern ist diese Offenheit nicht in den Schoß gefallen. Aber sie haben den Wunsch, mich zu verstehen und mich zu unterstützen. Deswegen lernen sie ganz viel. Es stört mich ein bisschen, dass gesagt wird, ältere Leute verstehen diese Themen nicht. Wenn ich mir meine Kommentare angucke unter den Videos, sind es vor allem junge Menschen, die sehr konservative Ansichten haben.

Welche Vorurteile gegen poly Personen nerven dich am meisten?

Das größte Vorurteil ist, dass meine Liebe nicht echt ist, weil ich mich nicht entscheiden kann. Und es wird gesagt, dass einem die Person nicht reicht. Außerdem erfahre ich sehr viel slutshaming, weil Menschen davon ausgehen, dass polyamore Menschen ganz viel Sex haben. Polyamorie wird mit einem Freifahrtschein zum Fremdgehen und Herumvögeln gleichgesetzt und daran ist einfach alles falsch.

"Es ist übrigens ein großes Vorurteil, dass es in poly Beziehungen keine Eifersucht gibt. Das ist Quatsch."

Es ist echt spannend: Wenn sich ein monogames Pärchen trennt, finden es alle schade. Wenn sich ein polyamores Couple trennt, dann ist das System schuld, die Polyamorie. Bei einem monogamen Pärchen würde niemand sagen: "Vielleicht ist die Monogamie einfach nichts für euch gewesen."

Was sind deine größten Erkenntnisse aus dem Leben in poly Beziehungen?

Eines meiner biggest learnings ist, dass Eifersucht okay ist und man sie nicht verschweigen sollte. Und dass Polyamorie schwer ist und Monogamie auch. Dass es nicht am System liegt, sondern an den Menschen, die involviert sind. Es ist schwierig, laut auszusprechen: "Ich bin unsicher und eifersüchtig." Das sagen zu können, ohne von der anderen Person zu erwarten, dass sie dein Gefühl verändert wird – das ist nicht einfach und trotzdem notwendig. Es ist übrigens ein großes Vorurteil, dass es in poly Beziehungen keine Eifersucht gibt. Das ist Quatsch.

Du empfindest also Eifersucht, möchtest aber einen gesunden Umgang damit finden?

Ja, ich habe die Entscheidung getroffen, durch die Eifersucht durchzuarbeiten. Ich gehe anders damit um. Ich handle nicht aus der Eifersucht, sondern äußere sie.

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In einer poly Beziehung hält man vielleicht mehr Eifersucht aus, aber in einer monogamen Beziehung muss man das Gefühl aushalten, dass man dem Interesse an anderen Leuten nie nachgehen kann.

Voll! Das ist etwas, das finde ich derbe kritisch an der Monogamie. Ich möchte nicht, dass mein Mensch, mit dem ich zusammen bin, denkt, er muss mit mir sein. Ich möchte, dass er mit mir sein will. Die Vorstellung, dass neben mir eine Person einschläft, die jeden Tag an jemanden denkt und es mir verschweigt, finde ich schlimm. Ich merke immer wieder, dass Menschen aufgrund von eigener Scham nicht ehrlich sein können. Wir haben ja gelernt, uns für diese Gefühle schämen zu müssen und eine starke Ablehnung dafür zu erfahren. Wenn ich immer angemotzt worden bin, dafür, dass ich ein Gefühl äußere, dann muss ich mich erstmal wieder trauen, meine Gefühle auszusprechen. Nur so kann ich die Erfahrung machen, dass ich und meine Gefühle angenommen werden. Der Prozess ist anstrengend, aber er lohnt sich.

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