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Pornodarstellerin fordert: Für Porno sollte man genauso zahlen wie für Netflix

Lina Bembe ist Pornodarstellerin, Regisseurin und Expertin für sexuelle Aufklärung und Befreiung.
Lina Bembe ist Pornodarstellerin, Regisseurin und Expertin für sexuelle Aufklärung und Befreiung.bild: karyn hunt
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Pornodarstellerin fordert: Für Pornos sollte man bezahlen wie für Netflix

27.08.2023, 12:4728.08.2023, 16:35
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Pornos zu schauen hat für die wenigsten etwas mit stundenlanger Entspannung und Genießen zu tun. Stattdessen steht der schnelle Kick im Vordergrund. Und nach fünf Minuten ist der Spaß vorbei. Dafür muss man doch kein Geld bezahlen – oder vielleicht doch?

Lina Bembe hat eine klare Meinung zu diesem Thema. Denn sie ist selbst Pornodarstellerin, Regisseurin und Expertin für sexuelle Befreiung. Seit einiger Zeit arbeitet sie bei "Cheex", einer Online-Plattform für sexuelle Unterhaltung und Aufklärung, und ist dort sowohl vor als auch hinter der Kamera an Projekten beteiligt.

Im Interview mit watson spricht Lina über ihre Aufgaben als "Chief Porn Officer", ihre ersten Erfahrungen in der Pornobranche, und sie erklärt, warum wir für Pornos genauso selbstverständlich bezahlen sollten wie für Netflix und Spotify.

Lina Bembe lebt heute in Berlin.
Lina Bembe lebt heute in Berlin. bild: lamia karic

watson: Was ist die Idee hinter Cheex?

Lina Bembe: Cheex möchte konventionelle Darstellungen von Intimität verändern und zeigen, wie sexuelle Praktiken für unterschiedliche Identitäten, Lebensumstände und Körperformen aussehen. Sie ist eine Plattform für sexuelle Aufklärung und Unterhaltung, die Menschen auf ihrer Reise zur sexuellen Befreiung begleitet. Wir befassen uns mit der Art und Weise, wie Sex und Sexualität enttabuisiert werden können, insbesondere, indem wir offen und explizit darüber sprechen.

In der Cheex-Kampagne "Positions on Pleasure" werden inklusive Sex-Positionen gezeigt.
In der Cheex-Kampagne "Positions on Pleasure" werden inklusive Sex-Positionen gezeigt.bild: cheex

Wie?

Was wir anbieten, sind in der Regel pornografische Filme, die wir kuratieren und die von uns sorgfältig ausgewählt werden. Es gibt außerdem die Cheex Originals – Filme oder Audios, die wir selbst produzieren. In unserer Pleasure Academy geht es um Workshops und Tutorials, um die pädagogische Seite von Sex und Intimität abzudecken. Sie richtet sich an Leute, die neugierig auf ihre eigene Sexualität sind und darauf, wie sie ihr eigenes Sexleben aufpeppen können.

"Man lernt über Sex nur an einem ganz bestimmten Punkt im Leben – wenn man ein Teenager ist. Ich glaube aber nicht, dass das ausreicht."

Was steckt hinter der Pleasure Academy?

Sexualerziehung ist immer noch ein Nischen-Thema. Man lernt über Sex nur an einem ganz bestimmten Punkt im Leben – wenn man ein Teenager ist und die Hormone einsetzen. Ich glaube aber nicht, dass das ausreicht, denn die Menschen entwickeln sich mit ihrer Sexualität ein Leben lang weiter. Und die Pleasure Academy bietet Erwachsenen die Möglichkeit, sich mit Fragen und Themen auseinanderzusetzen, die in ihrem erwachsenen Sexualleben auftauchen. Es gibt zum Beispiel Anleitungen zum Squirting, Workshops über Rollenspiele oder Sexstellungen.

Lina Bembe will anderen Menschen dabei helfen, ihre Sexualität kennenzulernen.
Lina Bembe will anderen Menschen dabei helfen, ihre Sexualität kennenzulernen.bild: danae cuesta

Was ist deine Aufgabe bei Cheex?

Ich habe acht Jahre Erfahrung als Pornodarstellerin und drehe auch selbst Filme. Bei Cheex bin ich Pornoexpertin und Intimitätskoordinatorin, ich betreue also die Darsteller:innen.

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Was ist für dich wichtig, wenn du Regie führst?

Es so sicher wie möglich zu machen. Das geht nur mit einer guten Vorbereitung und Transparenz. Es muss viel vorbereitet werden, damit sich die Darsteller:innen am Set wohlfühlen. Denn Sex vor der Kamera kann eine sehr verletzliche Sache sein.

Hilft dir die Tatsache, dass du selbst Pornodarstellerin bist, als Regisseurin sensibler zu sein?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die besten Regisseur:innen diejenigen sind, die auch als Darsteller:innen arbeiten. Nur dann weiß man, wie es wirklich ist, vor der Kamera Sex zu haben. Das gilt auch für meine Arbeit als Intimitätskoordinatorin.

Wie bist du in diese Branche gekommen?

Ich war früher regelmäßige Besucherin des Pornofilmfestivals in Berlin. Und bei einer dieser Vorführungen sah ich ein paar Regisseur:innen, die über ihre Filme sprachen. Ich dachte damals: "Oh mein Gott, vielleicht könnte ich das auch machen." Dann habe ich mich mit einer der Regisseur:innen getroffen. Wir tranken einen Kaffee und sprachen in aller Ruhe darüber, was auf mich zukommen würde, welche Risiken mit dem Job verbunden sind. In meinem ersten Jahr bin ich es wirklich langsam angegangen, weil ich erstmal testen wollte, ob das wirklich das ist, was ich will. Und dann wusste ich, dass das mein Ding ist.

Wie war es, den ersten Porno zu drehen?

Es war sehr interessant, denn die Regisseurin drehte eine Szene an einem Tag und eine andere an einem anderen Tag. Sie lud mich am ersten Tag ans Set ein, um zu sehen, wie es läuft, und das hat mir total geholfen, meine Nervosität zu überwinden, weil ich wusste, wie es am nächsten Tag aussehen würde. Trotzdem war ich erst super nervös, aber als ich einmal angefangen hatte, lief es wirklich gut.

Lina Bembe hat ihre Nervosität vor der Kamera abgelegt.
Lina Bembe hat ihre Nervosität vor der Kamera abgelegt. bild: danae cuesta

Verdienen Menschen aller Geschlechter gleich viel Geld?

Ich würde sagen, dass auf der feministischen Seite der Branche die Löhne in den meisten Fällen gleich sind. Viele Unternehmen sind sich darin einig, dass Menschen aller Geschlechter gleich viel verdienen sollten.

Aber?

Die Höhe der Gage richtet sich meist nach der Anzahl der Stunden, die man am Set verbringt. Aber in einigen Fällen, zum Beispiel bei einem Gangbang, sind die Löhne unterschiedlich, weil es für die Person, die den Sex "empfängt", körperlich anstrengender ist. Es ergibt also Sinn, dass die empfangende Person, unabhängig vom Geschlecht, mehr Geld bekommt als die anderen.

"Die Werte, die vor der Kamera wichtig sind, müssen auch hinter der Kamera gelten."

Erzähl mir etwas über die feministische Seite der Branche.

Wenn wir über feministische Pornos sprechen, geht es nicht nur darum, feministische Werte in den Film einzubringen, sondern auch darum, ein anderes Setting zu entwickeln. Denn es bedeutet nichts, wenn man einen Film macht, der alle Kriterien für eine feministische Erzählung erfüllt, aber hinter der Kamera werden die Leute nicht so entlohnt, wie sie es sollten, und die Crew schlecht behandelt. Die Werte, die vor der Kamera wichtig sind, müssen auch hinter der Kamera gelten.

Findest du, dass die Pornoindustrie vielfältig ist?

Ja, ich denke, dass die Pornoindustrie in vielerlei Hinsicht weitaus vielfältiger ist als andere Branchen, wie zum Beispiel die Modelbranche oder die herkömmliche Filmindustrie. Wenn man sich nur typische Tube-Seiten (Anm. d. Red. Plattformen wie Youporn, Pornhub etc.) ansieht, sieht man natürlich mehr "Mainstream-Filme". Aber wenn man zum Beispiel in Twitter-Pornos eintaucht, sieht man eine größere Vielfalt, was Körper, Begehren, Sexualitäten und Identitäten angeht.

"Die Leute sagen: 'Pornos sind Müll, dafür zahle ich nicht', aber gleichzeitig holen sie sich auf deine Inhalte einen runter."

Warum lohnt es sich, 15 Euro im Monat für Cheex zu bezahlen, anstatt auf ein kostenloses Video zu klicken?

Ich denke, die Wurzel des Problems ist: Die Menschen nehmen Pornografie nicht ernst. Heutzutage ist es für viele selbstverständlich, für Spotify und Netflix zu bezahlen. Aber wenn es um Pornografie geht, ist das etwas anderes. Die Leute sagen: "Pornos sind Müll, dafür zahle ich nicht", aber gleichzeitig holen sie sich auf deine Inhalte einen runter. Viele Menschen sehen Sexarbeiter:innen nicht als Subjekte, die Respekt verdienen. Aber ich glaube, das ändert sich gerade.

Lina Bembe hat in Stuttgart einen Ted Talk gehalten. Video: YouTube/TEDx Talks

Warum ist das so?

Die Menschen werden sich langsam der Konsequenzen bewusst, die es hat, wenn man sich Inhalte ansieht, ohne dafür zu bezahlen. Beispielsweise gibt es viel Material, das nicht unter Konsens entstanden ist. Das sollten wir uns also auch nicht ansehen. Das ist eine Entscheidung, die die Menschen treffen können: Wenn sie für qualitativ hochwertige Filme bezahlen, bietet ihnen das Unterhaltung, Bildung und letztlich auch die Möglichkeit, für ihr eigenes sexuelles Wohlbefinden zu sorgen.

Sollte es also keine Tube-Seiten mehr geben?

Ich bin nicht gegen Tube-Sites. Ich denke, dass sie auch für viele Menschen von Vorteil sind, zum Beispiel können sich neue Darsteller:innen dort aufgrund des massiven Traffics bekannt machen. Die Seiten sollten allerdings ethisch verwaltet werden.

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