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Winterdepression: Tipps gegen das Stimmungstief in der dunklen Jahreszeit

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Eine gedrückte Stimmung in den Herbst- und Wintermonaten kennen viele. Doch man kann etwas dagegen tun. Bild: iStockphoto / Finn Hafemann
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Nicht ins Bett zurückziehen: Experte gibt Tipps gegen Winterdepressionen

13.10.2022, 08:0613.10.2022, 08:07
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Es geht schon wieder los: Morgens kommt man schwerer aus dem Bett, selbst, wenn es draußen eigentlich schon hell ist. Und abends wird auch gern mal der Sportkurs abgesagt, wenn man es sich schon mit einem Tee auf dem Sofa gemütlich gemacht hat. Ist das eine "normale" Herbstmüdigkeit – oder schon erste Anzeichen für eine Winterdepression?

Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Professor am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, erklärt, was man im Alltag gegen Winterdepressionen tun kann. (Spoiler: Lange im Bett liegen und mehr Schlaf ist eher kontraproduktiv.)

"Bei Winterdepressionen ist man antriebsarm, schlapp und schläfrig."

Watson: Was sind Winterdepressionen?

Ulrich Hegerl: Bei der Winterdepression gibt es Symptome einer typischen Depression wie gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Schuldgefühle. Aber einige Krankheitszeichen sind verändert. Bei der typischen Depression haben die Menschen keinen Appetit und verlieren Gewicht. In der Winterdepression ist eher das Gegenteil der Fall: Man hat oft Heißhungerattacken. Bei typischen Depressionen sind Menschen müde, aber nicht schläfrig, das heißt, sie schlafen nicht gut ein und nicht gut durch. Bei der Winterdepression liegen die Leute eher zu lange im Bett und schlafen. Typisch für die Winterdepression ist, dass sie nur in den Herbst- und Wintermonaten auftritt.

Ist der Begriff der Winterdepression dann irreführend, da es keine Depression im ursprünglichen Sinne ist?

Darüber wird diskutiert. Bei Winterdepressionen ist man antriebsarm, schlapp und schläfrig. Bei typischen Depressionen trifft das Gegenteil zu: Menschen können nicht schlafen, sind dauerhaft angespannt wie vor einer Prüfung und sind antriebsgehemmt, alles erfolgt wie gegen einen bleiernen Widerstand. Es ist nicht wahrscheinlich, dass es die gleiche Erkrankung ist.

Treten typische Depressionen denn vermehrt in den Wintermonaten auf?

Es gibt eine leichte Tendenz, aber sie kommen das ganze Jahr über ähnlich häufig vor. Die meisten Depressionen im Herbst und Winter sind keine Winterdepressionen, sondern normale Depressionen, die eben zu dieser Jahreszeit stattfinden.

Wie viele Menschen sind von den Depressionen betroffen?

Rund fünf Prozent der Erwachsenen leiden jedes Jahr an einer depressiven Erkrankung.

"Generell leben Menschen mit einer diagnostizierten Depression im Schnitt zehn Jahre weniger."

Wie merkt man also, ob man wirklich eine Depression hat?

Von einer Depression spricht man, wenn mindestens fünf Krankheitszeichen über eine Dauer von mindestens zwei Wochen vorliegen. Von diesen muss mindestens eine zu den beiden Kernsymptomen, gedrückte Stimmung und tiefsitzende Freudlosigkeit, gehören. Weitere Anzeichen wären Appetitstörungen, Schlafstörungen, Suizidalität, Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsstörungen. Wenn fünf Krankheitszeichen vorliegen, dann handelt es sich zumindest um eine leichte Depression. Wobei auch schon eine leichte Depression bereits eine schwere Erkrankung ist, die mit hohem Leiden und einer verringerten Lebenserwartung einhergeht.

Wieso das?

Auch eine leichte Depression ist Stress für den ganzen Körper. Die Herzrate und die Stresshormone sind erhöht und vieles andere im Körper ist aus dem Gleichgewicht. Auch führt Depression zu einem Rückzug ins Bett, zu ungesunder Ernährung, wenig Bewegung und anderem ungesunden Verhalten. Dies alles erhöht beispielsweise das Herzinfarktrisiko und beeinflusst auch den Verlauf bestehender Erkrankungen wie Diabetes mellitus negativ. Auch ist das Suizidrisiko deutlich erhöht. Generell leben Menschen mit einer diagnostizierten Depression im Schnitt zehn Jahre weniger. Um dies zu vermeiden, ist eine konsequente Behandlung so wichtig.

"Die langen Bettzeiten im Winter können ein Faktor sein, der zur Bedrücktheit, Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit führt."

Was sind die Auslöser einer saisonalen Depression?

Das hat man noch nicht im Detail verstanden. Man geht aber davon aus, dass das Licht eine wichtige Rolle spielt. Der Körper besitzt Lichtsensoren, die nichts mit dem Sehen zu tun haben. Es gibt auch Theorien, dass der Biorhythmus durcheinanderkommt. Die langen Bettzeiten, die sich manche im Winter angewöhnen, können ebenfalls ein Faktor sein, der zur Bedrücktheit, Freudlosigkeit und Antriebslosigkeit führt. Das kennt man ja selbst: Wenn man 12 Stunden geschlafen hat, ist man manchmal eher bedrückt. Hat man hingegen die ganze Nacht Party gemacht, ist man am nächsten Tag oft sogar aufgedreht.

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Sport und Bewegung an der frischen Luft helfen, die Stimmung aufzuhellen. Bild: iStockphoto / BartekSzewczyk

Was können Betroffene tun, wenn sie merken, dass sie in eine Winterdepression rutschen?

Ich würde immer dazu raten, sich den Zusammenhang zwischen Bettzeit und Stimmung genau anzuschauen. Zu beobachten, ob man bei mehr Schlaf eher bedrückter ist. In der typischen Depression ist Schlafentzug sogar eine Behandlung. Dann erleben die Leute teilweise große Überraschungen: Dass am Morgen nach einer durchwachten Nacht das Frühstück wieder schmeckt, dass die Hoffnung zurückkommt, dass sie wieder lächeln können, obwohl das ein halbes Jahr nicht möglich war. Das sind eindrucksvolle Effekte, aber meist nur vorübergehend. Nach dem Schlaf in der darauffolgenden Nacht ist die Depression wieder zurück.

"Patienten mit Winterdepressionen sollten morgens bei Tageslicht draußen eine Runde drehen, und sei es auch nur eine halbe Stunde."

Wie beobachtet man denn am besten den Zusammenhang zwischen Bettzeit und Stimmung?

Ich würde dazu raten, eine Tabelle zu erstellen und über einige Monate hinweg jeden Morgen aufzuschreiben, wie viele Stunden man im Bett verbracht hat und dann von eins bis zehn bewerten, wie man sich am Morgen fühlt. Dann lernt man über sich selbst, wie Bettzeit und Stimmung miteinander zusammenhängen. Und vielleicht lernt man dabei eben auch, dass man zu denen gehört, bei denen eine längere Bettzeit nicht zu Erholung, sondern im Gegenteil zu eher gedrückter Stimmung und Erschöpfung führen. In dem Fall kann man gegensteuern und versuchen, nicht früher ins Bett zu gehen und nicht länger liegenzubleiben. Die meisten Menschen brauchen nicht mehr als sieben oder acht Stunden Bettzeit.

Wie kann man einer saisonalen Depression vorbeugen?

Man sollte dem Drang widerstehen, sich zurückzuziehen und ins Bett zu gehen. Oder sich sogar tagsüber hinzulegen. Auch weniger Sport ist keine gute Idee. Man sollte bei Tageslicht aus dem Haus gehen und sich bewegen. Da bekommt man auch genug Licht. Wenn es schlimmer ist, sollte man zum Arzt gehen.

Fühlst du dich verzweifelt?
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter:innen, mit denen du sprechen kannst. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.

Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.

Krisenchat: Bei Krisenchat kannst du dich per Whatsapp rund um die Uhr an ehrenamtliche Berater:innen wenden. Das Angebot richtet sich an Menschen bis 25 Jahre.

Helfen Tageslichtlampen?

Es gibt Studien, dass solche Lampen bei Winterdepressionen helfen. Aber diese Lampen bieten nicht viel mehr Licht, als ein heller Wintertag. Patienten mit Winterdepressionen sollten morgens bei Tageslicht draußen eine Runde drehen, und sei es auch nur eine halbe Stunde. Neben dem Licht haben sie dann noch frische Luft und Bewegung.

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