Nicht nur die eigenen Enkel, sondern auch noch deren Enkel sehen: Das ewige Leben, ein uralter Menschheitstraum. Bild: iStockphoto / Artem Peretiatko
Interview
09.10.2022, 09:4609.10.2022, 10:05
Wer will das nicht, ein langes und vor allem gesundes Leben? Angenommen, wir könnten unsere Lebensspanne tatsächlich in sehr naher Zukunft um viele Jahre verlängern: So utopisch wie sich das anhört, soll es nicht mehr sein. In den vergangenen Jahren haben sich die Fortschritte in Wissenschaft und Technik in der Erforschung des menschlichen Alterns in ihrer Geschwindigkeit vervielfacht.
Altern ist vielleicht bald Vergangenheit, aber sind wir überhaupt bereit dafür? Der Futurist José Cordeiro und sein Co-Autor David Wood glauben: Ja.
Die Autoren José Cordeiro und David Wood sagen: Das "ewige Leben" ist greifbar nahe. Damit sind sie nicht allein.bild: José Cordeiro / David Wood
Der Technologieexperte vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat zusammen mit dem Mathematiker und Transhumanist Wood von der Universität Cambridge ein Buch über den aktuellen Stand der Forschung zur Verlängerung des Lebens geschrieben. Ihr Fazit:
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Der Sieg über den Tod' erklärt, wie wir in eine bessere Welt für alle vorstoßen können, wie wir die 'Langlebigkeitsdividende' für ein längeres, gesünderes, reicheres, sichereres und besseres Leben für alle Menschen auf unserem Planeten nutzen können."
watson hat mit den Autoren über ihre Zukunftsvision, die Herausforderungen und etwaigen Konsequenzen des ewigen Lebens gesprochen.
"Der Tod wird im Jahr 2045 optional sein."
Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google zitiert von José Cordeiro
watson: Ist die Menschheit in Ihren Augen wirklich bereit für eine Art Ewigkeit?
Wood: Wir werden unsere Weltanschauungen überarbeiten müssen. Anstatt uns ein mögliches Paradies in einem Leben nach dem Tod vorzustellen, sollten wir lernen, uns auf ein mögliches Paradies in diesem Leben zu konzentrieren.
Cordeiro: War die Menschheit bereit, als sich die Lebenserwartung vor über einem Jahrhundert von durchschnittlich 20 auf 40 Jahre verdoppelte? Wird die Menschheit bereit sein, wenn wir die Lebenserwartung noch einmal von 80 auf 160 Jahre verdoppeln? Wir passen uns an, wir haben uns angepasst, wir werden uns anpassen. Wir befinden uns mitten in einer technologischen Revolution, die schon bald zu einer radikalen Lebensverlängerung und einer unbegrenzten Lebenserwartung für alle Interessierten führen wird. Nach Ansicht von Futuristen wie Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google und Mitbegründer der Singularity University, wird der Tod im Jahr 2045 optional sein.
"Was in unserer Reichweite liegt, ist die Überwindung der größten Todesursache, nämlich der biologischen Alterung."
David Wood, Autor "Sieg über den Tod"
Wird es auch Probleme bei der gesellschaftlichen Akzeptanz lebensverlängernder Therapien geben?
Wood: Es wird eine Zeit der Turbulenzen geben, bevor es zu einer weit verbreiteten Akzeptanz kommt. Jeder Mensch neigt dazu, über die Möglichkeit lebensverlängernder Therapien in zwei Richtungen zu denken. Einerseits haben wir einen tiefen Instinkt dafür, dass das Leben gut ist und dass man dem Altern und dem Tod widerstehen sollte. Andererseits wird uns von der Gesellschaft suggeriert, dass es irgendwie "reif" und "ehrenhaft" ist, Alterung und Tod zu akzeptieren. Die Menschen erlauben sich oft nicht, ihrem ersten Instinkt zu folgen.
Cordeiro: Große Technologieunternehmen wie Amazon, Apple, Facebook, Google, IBM oder Microsoft dringen in die Bereiche Biologie, Gesundheit und Medizin ein und sehen darin die größte Geschäftsmöglichkeit der Zukunft – Google hat Calico gegründet, Jeff Bezos und andere Milliardäre haben Altos Labs gegründet. Die Langlebigkeitsindustrie wird in den nächsten 20 Jahren der größte Wirtschaftszweig in der Geschichte der Menschheit sein.
Was wird uns in die Lage versetzen, den Tod zu besiegen?
David Wood: Was in unserer Reichweite liegt, ist die Überwindung der größten Todesursache, nämlich der biologischen Alterung. In den letzten Jahrzehnten haben Biologen bestätigt: Die Lebenserwartung einer Art kann durch genetische und epigenetische Veränderungen sowie durch andere Faktoren verändert werden. Denn das biologische Altern besteht aus einer Reihe von Schäden auf zellulärer und molekularer Ebene im Körper. Die Forschung macht Fortschritte bei der Suche nach Möglichkeiten, diese Schäden systematisch zu ersetzen, zu reparieren oder umzuprogrammieren.
José Cordeiro: Das Altern ist der gemeinsame Feind der Menschheit, es verursacht mehr Todesfälle als alle anderen Ursachen zusammen. Die Zell- und die Organverjüngung wurden bereits wissenschaftlich nachgewiesen. Altern ist eine Krankheit, aber glücklicherweise eine heilbare. Das Altern ist ein medizinischer Zustand, der behandelbar und anscheinend auch umkehrbar ist.
"Das Motto lautet: Lebe lange genug, um ewig leben zu können."
Biomediziner David Wood
Wenn wir bald viel länger leben könnten, müssen wir nun unsere Körper mit besonderer Sorgfalt behandeln?
Cordeiro: In der Tat müssen wir uns um unseren Körper kümmern, jetzt mehr denn je, da wir das Altern bald rückgängig machen können. Dies ist die aufregendste Zeit, um am Leben zu sein und am Leben zu bleiben. In den nächsten zwei Jahrzehnten sollten wir in der Lage sein, die Alterung zu kontrollieren und umzukehren.
Das ewige Leben und der Weg dorthin: José Cordeiros und David Wood skizzieren ihn in ihrem Buch.bild: Finanzbuch verlag
Wood: Immer mehr Menschen erkennen, dass sie, wenn sie in den nächsten Jahrzehnten mehr auf ihre Gesundheit achten, immer noch gesund genug sein könnten, um leistungsstarke Verjüngungstherapien in Anspruch zu nehmen, sobald diese verfügbar sind. Das Motto lautet: Lebe lange genug, um ewig leben zu können.
"Langlebigkeitstherapien werden allen zur Verfügung stehen, wahrscheinlich als Teil der sozialen Sicherheit."
José Cordeiro
Wie teuer wird ein verlängertes Leben werden?
Cordeiro: Gegenwärtig fallen etwa 80 Prozent der medizinischen "Ausgaben" in den letzten 20 Prozent der Lebenszeit an, aber trotzdem sterben die Menschen. In Zukunft werden wir 80 Prozent der medizinischen "Investitionen" in den ersten 20 Prozent der menschlichen Lebensspanne einsetzen, sodass das Altern unter Kontrolle ist. Dank der "Langlebigkeitsdividende" könnten wir die Ausgaben für die medizinische Versorgung tatsächlich senken, da die Menschen gesund und jung bleiben und somit die Krankheiten des Alterns vermeiden. Langlebigkeitstherapien werden somit allen zur Verfügung stehen, wahrscheinlich als Teil der sozialen Sicherheit – so wie die Impfstoffe allen, die sie wollen, kostenlos zur Verfügung gestellt werden.
In höherem Alter fit und gesund: Ein gesunder Lebensstil und Langlebigkeitstherapien machen's bald möglich. Bild: iStockphoto / DuxX
Wäre die Welt dann nicht bald überbevölkert?
Wood: Es gibt viele Möglichkeiten, wie die Welt mit einer größeren Bevölkerung als heute fertig werden kann. Dazu gehört die Umstellung der landwirtschaftlichen Fleischproduktion. Dieselben biotechnologischen Innovationen, die eine wesentlich höhere Lebenserwartung ermöglichen, werden auch die Produktion von kultiviertem Fleisch ermöglichen, ohne dass dafür empfindungsfähige Tiere erforderlich sind. Im Vergleich zu den heutigen Anbaumethoden werden neue Methoden künftig viel weniger Ressourcen verbrauchen.
"Wir leben zwischen der letzten sterblichen Generation und der ersten unsterblichen Generation!"
José Cordeiro
Evolution bedeutet unter anderem, dass die Stärksten und die am besten Angepassten überleben. Setzt der medizinische Sieg über den Tod dieses Konzept außer Kraft?
Cordeiro: Wir bewegen uns von der alten biologischen Evolution zu einer neuen technologischen Evolution. Die Menschheit wird sich weiterentwickeln, aber nicht nur durch Versuch und Irrtum, sondern die Gestaltung unserer Zukunft. Der Beweis dafür, dass biologische Unsterblichkeit möglich ist, besteht darin, dass sie in der Natur bereits existiert. Es gibt unsterbliche Zellen, wie Keim- und Krebszellen, und auch unsterbliche Organismen, wie Hydras (Süsswasserpolypen) und Unsterbliche Quallen.
Die Unsterblichkeit ist ein bereits existierendes Konzept der Natur: Die Seewespe ist eine unsterbliche Qualle.Bild: iStockphoto / Duangkamon Panyapatiphan
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Angst vor dem Tod als eine der wichtigsten Triebfedern der menschlichen Zivilisation. Wäre diese dann nicht in Gefahr?
Wood: Die Angst vor dem Tod hat in der Tat viele Menschen dazu gebracht, erstaunliche Beiträge zur menschlichen Zivilisation zu leisten. Aber sie ist nicht der einzige Grund, warum die Menschen Fortschritte gemacht haben. Kleine Kinder tun viele wunderbare Dinge, ohne von der Angst vor dem Tod angetrieben zu werden.
Cordeiro: Wir sollten von der Angst vor dem Tod zur Freude am Leben übergehen. Wir leben zwischen der letzten sterblichen Generation und der ersten unsterblichen Generation!