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Interview

Sex im Seniorenheim: Sexworkerin erzählt von traurigen Momenten mit Bewohnern

Prostitution auf der Straße. Sexarbeiterin hat Kontakt mit einem möglichen Kunden.
Rund 90.000 Sexarbeiter:innen arbeiten in Deutschland.Bild: E+ / MATJAZ SLANIC
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Sexarbeiterin über Arbeit in Seniorenheimen: "Ich finde fast jeden Besuch traurig"

29.10.2022, 13:1706.03.2023, 16:33
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Um kaum eine Branche ranken sich so viele Gerüchte und Vorstellungen wie um die Prostitution. Die meisten Menschen kommen im echten Leben nicht mit Sexarbeiter:innen in Berührung und kennen Darstellungen nur aus Krimis wie dem "Tatort". Und während viele eine Meinung zur Legalität von Sexarbeit haben, sprechen die wenigsten direkt mit den Menschen, die es betrifft.

watson hat mit der langjährigen Sexarbeiterin und Sexualassistentin Stephanie Klee gesprochen und Einblicke in ihren ungewöhnlichen Berufsalltag erhalten.

watson: Wie lang arbeitest du schon als Sexworkerin?

Stephanie Klee: Als Sexarbeiterin bin ich seit mehr als 40 Jahren unterwegs und kenne alle Arbeitsbereiche. Umso älter ich werde, desto mehr arbeite ich als Sexualassistentin, das ist ein Teilbereich der Sexarbeit. Das heißt: Ich biete sexuelle Dienstleistungen Männern und wenigen Frauen in Seniorenheimen an.

Wie bist du dazu gekommen?

Ich bin mit meinen Kunden alt geworden. Eines Tages kam der erste Kunde und sagte: "Es macht mir so viel Mühe, ins Bordell zu kommen. Kannst du mich nicht zu Hause besuchen?" Und wenn der Kunde dann irgendwann ins Altenheim umzieht, besuche ich ihn dort.

Was sind traurige Momente in deinem Job?

Ich finde fast jeden Besuch in einem Seniorenheim traurig, weil ich sehe, was das für enorme Einschränkungen mit sich bringt. Man kann nicht aufstehen wie man will, man kann sich nicht eben Nudeln kochen, man kann nicht eben mal ins Kino fahren. Es macht mich natürlich auch traurig zu sehen, wenn ein Kunde, den ich längere Zeit besucht habe, irgendwann mal stirbt.

"Ich verliere meine Kunden in der Regel, indem sie sterben."

Ist das schon öfter passiert?

Ja klar, wenn sie alt und krank sind. Ich verliere meine Kunden in der Regel, indem sie sterben. Es ist traurig, jemanden zu besuchen und zu sehen, wie er immer weiter abbaut. Irgendwann kommen keine Einladungen mehr, sondern ein Anruf von der Einrichtung: "Herr Sowieso ist gestorben, in zwei Wochen ist die Beerdigung."

Gibt es Situationen, in denen du dich ekelst?

Meine Erfahrung in Bordellen hat mich abgehärtet. Es gibt aber Situationen, die ich doof finde. Ich war zum Beispiel kürzlich bei einem älteren Herren, der die Urinflasche halb gefüllt am Bett hängen hatte. Das hat natürlich gerochen und ich dachte: "Och nee, ich will einen sauberen Arbeitsplatz." Ich habe die Flasche dann genommen, sie ins WC geschüttet, einmal durchgelüftet und dann war es auch gut.

"Männer wollen Verkehr, sie wollen einen Orgasmus."

Welche Dienstleistung wird am meisten angefragt?

Männer wollen Verkehr, sie wollen einen Orgasmus. Und das zweitwichtigste ist Körperkontakt. Kuscheln, die Nähe spüren, gestreichelt werden. Sie wollen bestätigt bekommen: Ja, man mag sie.

Was machst du, wenn du mal keine Lust auf Sex hast?

Es geht nicht um meine Lust. Ich bin in erster Linie darauf fokussiert, dass ich meinen Kunden etwas Gutes tun will. Aber wenn ich dann auch Lust habe, genieße ich natürlich doppelt und dreifach. Ich bin aber keine, die sagt: Ich will nicht.

Was machst du, wenn der Sex dir nicht gefällt?

Ich sage ganz klar: Das gefällt mir nicht, das machst du bitte softer. Wir sind doch sprechende Menschen. Und wenn mich ein Mann ein paar Mal zu grob an der Brust anfasst, dann sage ich: "An meinem Po kannst du besser anpacken." Man muss etwas anbieten und das wird dann auch angenommen.

Hast du schonmal einen Orgasmus vorgespielt?

Klar. Sowohl privat als auch im Geschäft.

Wieso? Wünschen sich die Kunden das?

Wenn man miteinander aktiv ist und ich habe das Gefühl, der Kunde könnte gleich zum Orgasmus kommen, dann spiele ich ihm ebenfalls einen Orgasmus vor. Die perfekte Inszenierung.

Hattest du mit Kunden auch schon einen echten Orgasmus?

Oh ja.

Wie ist es mit Frauen als Kundinnen?

Besonders körperlich behinderte junge Frauen haben oft wenig Gelegenheit, außerhalb der Sexarbeit sexuelle Erfahrungen zu machen. Sie nutzen dann die Brücke über eine Sexualassistentin oder einen Sexualassistenten, um diese Erfahrungen zu sammeln: Wie berühre ich selbst oder wie werde ich gern berührt? Wo sind meine erogenen Zonen? Wie gehe ich mit einem Dildo um?

Was würdest du auf keinen Fall machen?

Ich mache nichts ohne Kondom. Auch nichts mit Viagra und Drogen. Und keinen Analverkehr.

Kosten manche Dienstleistungen extra?

Das ist eine Diskussion, die du im Bordell führst. Wenn da ein Kunde kommt und sagt, er möchte den normalen Service, dann bedeutet das für mich französisches Vorspiel und Verkehr. Will er dann aber gefesselt oder mit Dildo behandelt werden, wenn er Natursekt will: Das sind alles Extras, die dann auch extra bezahlt werden.

Was ist das Verrückteste, das sich jemand gewünscht hat?

Für mich ist nichts mehr ungewöhnlich.

Natursekt, also Lustgewinn durch orale Aufnahme von Urin, findest du nicht ungewöhnlich?

Das ist eben eine Vorliebe. So wie manche Männer in Stöckelschuhen herumlaufen oder in einen Käfig gesperrt werden wollen – es sind bestimmte Bedürfnisse.

Was denkst du über Kunden, die ihre Partner:innen betrügen?

Das ist ihre Sache. Ich erfahre meistens nicht, was sie ihren Partner:innen erzählen oder nicht erzählen. Da kann ich nur spekulieren und denke, sie erzählen es wahrscheinlich nicht.

Was haben frühere Partner von deiner Tätigkeit gehalten?

Ich habe tatsächlich nur Partner gehabt, die wussten, dass ich anschaffen gehe und die das eher unterstützt als abgelehnt haben. Klar sind immer viele Fragen gekommen und klar, jeder Partner wollte auch die Nummer eins sein. Aber als Sexarbeiterin zu arbeiten, heißt ja nicht, dass meine Kunden meine Partner sind. Das sind meine Sexualpartner und das ist mein Job. Und mein privater Partner ist privater Partner.

Fräulein Angelina, Stephanie Klee und Madame Kali bieten als Sexarbeiterinnen auch "Sexberatung to go" an.
Fräulein Angelina, Stephanie Klee und Madame Kali bieten als Sexarbeiterinnen auch "Sexberatung to go" an. bild: watson

Hast du schon Gefühle für Kunden entwickelt?

Ja.

"Ein Kunde hat mich nackt aus der Wohnung geschmissen."

Und ist da mehr draus geworden?

Auch ja. Es gibt ganz viele Kolleginnen, die mit Kunden Beziehungen eingegangen sind. Die Kunden sind in der Regel toleranter als Männer, die keinen Kontakt zu Sexarbeiterinnen haben.

Gab es schon Situationen, die gefährlich für dich waren?

Ein Kunde war bei einem Termin angetrunken und wir haben uns gezofft. Dann hat er mich nackt und ohne meine Sachen aus der Wohnung geschmissen. Ich konnte nicht einmal die Polizei rufen, denn mein Handy war noch drinnen. Diesen Kunden habe ich dann verklagt und ich habe vor Gericht Recht bekommen. Das Urteil war ein wichtiger Schritt hin zum Prostitutionsgesetz.

Inwiefern?

Ich war die einzige Hure, die einen Kunden verklagt und Recht bekommen hatte. Das war für die Politiker:innen damals ein Grund, etwas an der rechtlichen Bestimmung zu ändern. Die Sittenwidrigkeit der Prostitution wurde dann mit dem Prostitutionsgesetz 2002 abgeschafft.

Was hältst du von einem Prostitutionsverbot in Deutschland?

Ich glaube nicht, dass es verboten wird, weil wir genug kluge Politiker:innen haben, die wissen, dass es besser ist, Prostitution unter bestimmten Rahmenbedingungen zu erlauben. Auch wenn sie damit nicht in die Öffentlichkeit treten. Es macht auch was mit der Situation in den Bordellen, dass immer mehr Kunden nachfragen: Arbeitest du freiwillig? Das setzt die Sexarbeiterinnen enorm unter Druck.

Ist es nicht gut, dass sich die Kunden darüber Gedanken machen?

Wer es nicht freiwillig macht, kann ja gar nicht ehrlich darauf antworten, weil der Kunde dann weggeht. Ich finde es schon fast pervers, wie die Kunden dargestellt werden: als würden sie alle Sexarbeiterinnen schlecht behandeln. Das sind die gleichen Männer, denen wir in unserem Umfeld begegnen: unsere Väter, unsere Brüder, unsere Männer, unsere Kollegen. Die Diskussion ist sehr moralisch geprägt und die Kunden werden dämonisiert.

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