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Liebe, offene Ehe, Paar-Therapie: Deepa Paul erzählt, wie es klappt

Wie funktioniert eine offene Ehe? Darüber hat Deepa Paul ein Buch geschrieben.
Wie funktioniert eine offene Ehe? Darüber hat Deepa Paul ein Buch geschrieben.bild: Deepa Paul
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Leben in einer offenen Ehe: von Begehren, Eifersucht und Vertrauen

Deepa Paul ist seit 17 Jahren verheiratet, seit neun Jahren lebt sie in einer offenen Ehe. Im Interview mit watson erzählt sie, wie das funktioniert – mit Ehemann, Freund, Kind und radikaler Ehrlichkeit.
09.06.2025, 08:5009.06.2025, 08:50
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Deepa ist auf den Philippinen aufgewachsen und mit einem sehr christlich-konservativen Bild von Ehe und Liebe groß geworden. Als sie mit ihrem Mann nach Amsterdam zieht, wird ein neues Leben möglich und Deepa merkt: Sie hat Lust auf mehr als ein monogames Eheleben.

Also taucht sie ein – in Dating-Apps, Kinky-Partys und Paar-Therapien mit ihrem Ehemann.

Watson: Deepa, glaubst du, du wärst noch verheiratet, wenn ihr die Ehe nicht vor neun Jahren geöffnet hättet?

Deepa: Ja – allein schon, weil es auf den Philippinen keine Scheidung gibt. Aber unsere Ehe wäre heute sicher eine andere. Mein Mann hatte damals Sorge, dass wir irgendwann bereuen würden, es nicht ausprobiert zu haben. Deshalb wollten wir es lieber versuchen – und wenn es nicht klappt, die Ehe wieder schließen.

Was war die größte Herausforderung beim Öffnen eurer Ehe?

Das offene Gespräch. Für mich war es ein Prozess – erst habe ich viel allein nachgedacht, bin meinen Fantasien in Tagträumen nachgegangen, dann wurde klar: Ich muss mit ihm reden. Es waren viele Gespräche über Jahre hinweg. Dabei musste ich lernen, meine Bedürfnisse auszusprechen, ohne seine zu übergehen. Und er musste lernen, dass seine Gefühle genauso zählen.

"Es geht auch darum, das traditionelle Männlichkeitsbild zu hinterfragen: Bin ich weniger Mann, wenn ich nicht 'die Kontrolle über meine Frau' habe?"

Sprecht ihr heute noch über diese Themen?

Nein. Unsere Vereinbarungen stehen seit Jahren und wurden nie gebrochen. Inzwischen streiten wir eher über Alltägliches – wie das "richtige" Einräumen vom Geschirrspüler. Die Beziehung läuft wie ein gut geölter Motor.

Du hast ein höheres Tempo beim Öffnen der Beziehung vorgelegt als dein Mann. Wie seid ihr damit umgegangen?

Männer werden nicht dazu ermutigt, über Gefühle zu sprechen. Mein Mann wusste lange nicht, was er wollte. Ich habe ihm Zeit gegeben, das herauszufinden. Wir haben an unserer Kommunikation gearbeitet und akzeptiert, dass ich öfter daten möchte als er – weil ich extrovertierter bin und er sich zu Hause wohler fühlt. Es war wichtig, diesen Unterschied anzuerkennen, ohne Druck.

Zu Beginn der offenen Ehe hatte dein Mann mit Scham und dem Wunsch zu kämpfen, ein "guter Ehemann" zu sein. Wie ist das heute?

Er ist sehr reflektiert und offen für persönliches Wachstum. Am Anfang war seine Identität stark auf die Rolle als Ehemann und Vater fixiert. Durch die offene Ehe hat er gelernt, sich auch als eigenständige Person zu sehen, eigene Freundschaften zu pflegen und Dates zu haben. Dadurch hat er auch mich besser verstanden. Heute ist er viel entspannter, offener, interessierter – und emotional ausdrucksstärker. Es war ein langer Weg, aber er hat wirklich viel über sich selbst gelernt.

"Wie es mir gefällt" erschien am 3. Juni.
"Wie es mir gefällt" erschien am 3. Juni. Bild: hanserblau

Auf Männern lasten auch viele gesellschaftliche Erwartungen.

Total. Es geht auch darum, das traditionelle Männlichkeitsbild zu hinterfragen: Bin ich weniger Mann, wenn ich nicht "die Kontrolle über meine Frau" habe? Diese Vorstellung ist tief verankert. Gleichzeitig habe auch ich mich gefragt, ob ich eine "schlechte Frau" bin, wenn ich Sex genieße oder Zeit außerhalb der Familie verbringe. Aber ich habe gelernt, dass ich trotzdem eine gute Partnerin und Mutter sein kann. Und er hat auf seine Weise ebenfalls eine neue Definition für sich gefunden. Es ist schön, dass wir diese Reise gemeinsam machen.

Wie hat dein Mann reagiert, als du ihm gesagt hast, dass du ein Buch über eure offene Ehe schreiben willst – inklusive sehr intimer Details?

Es war ein langer Prozess – so wie eine Schwangerschaft: Am Anfang ist man noch nicht bereit, aber mit der Zeit wächst man hinein. Alles begann mit einem Essay, den ich zu Beginn der offenen Ehe geschrieben habe – eigentlich nur, um auf Dating-Apps nicht ständig dieselben Fragen beantworten zu müssen. Die Idee, das Ganze zu veröffentlichen, kam erst später. Wir haben da regelmäßig drüber gesprochen und ich habe ihn alles lesen lassen, bevor es veröffentlicht wurde. Er hat verstanden, dass Ehrlichkeit notwendig ist, damit das Buch wirklich kraftvoll sein kann.

"Heute erleben wir eher Neid als klassische Eifersucht. Also nicht: 'Ich verliere dich', sondern: 'Ich hätte das auch gerne.'"

Ihr habt gemeinsam eine Therapie gemacht. Was war das Wichtigste, das ihr dort gelernt habt?

Das Kommunikationstraining: zuhören ohne zu werten, Gefühle klar ausdrücken, Wünsche formulieren, ein Nein akzeptieren, Kompromisse finden. Diese Fähigkeiten sind entscheidend, denn gute Gespräche sind die Basis jeder Beziehung. Ohne sie bleiben Gedanken nur Gedanken – man muss sie auch aussprechen und gemeinsam bearbeiten können.

In deinem Buch beschreibst du, dass du durch die Erfahrungen mit verschiedenen Männern deinen Körper mehr lieben gelernt hast. Glaubst du, diese Selbstliebe hättest du auch in einer monogamen Ehe erreichen können?

Ich weiß es nicht. Viele hoffen, dass sie mit dem Lebenspartner sexuell völlig erfüllt sind – aber das ist nicht immer so. Auf den Philippinen wurde mir beigebracht, dass der Körper etwas Sündiges ist. Doch dann kam jemand, der meinen Körper bewunderte – das hat meine Sicht auf mich selbst komplett verändert. Vielleicht wäre das in einer rein monogamen Ehe nie passiert.

Inzwischen hast du nicht nur eine offene Ehe, sondern auch einen festen Freund. Wie kam es dazu?

Anfangs hatten mein Mann und ich klare Regeln: keine emotionalen Bindungen, keine Übernachtungen – das sollte es locker halten. Dann kam Corona. Während der Lockdowns brauchte ich soziale Nähe außerhalb meiner Familie und Robert war jemand, bei dem ich mich sicher fühlte. Irgendwann haben sich echte Gefühle entwickelt. Natürlich habe ich das meinem Mann gesagt. Da hatten wir schon vier, fünf Jahre Erfahrung mit der offenen Beziehung – also waren wir bereit für diesen nächsten Schritt. Es war ein langsamer, natürlicher Prozess, keine plötzliche Entscheidung.

Kennen sich dein Mann und dein Freund?

Ja, sie kennen und mögen sich. Die beiden führen eine Beziehung, die man "Garden Party Polyamory" nennt – sie müssen keine besten Freunde sein, aber sie kommen gut miteinander aus und unterstützen mich beide.

Du hast eine Tochter – wie viel weiß sie über eure offene Ehe?

Sie weiß, dass wir in einer offenen Ehe leben. Als ich anfing, bei meinem Freund zu übernachten, war sie etwa fünf oder sechs Jahre alt und kannte das Konzept von Übernachtungen bei Freunden. Ich sagte ihr also einfach, dass ich bei einem Freund übernachte. Als das Buch veröffentlicht wurde, war mir wichtig, dass sie es zuerst von mir erfährt – bevor sie es irgendwo liest oder von jemand anderem hört. Ich habe ihr auch gesagt, dass nicht jeder so lebt wie wir. Ihre Freunde wissen es teilweise auch, aber es liegt an ihr, wem sie was sagt.

Im Buch beschreibst du einige Regeln, die ihr am Anfang eurer offenen Ehe hattet. Welche sind heute noch wichtig?

Die wichtigste Regel ist: Safer Sex. Also Kondome mit anderen Partner:innen und regelmäßige Gesundheitschecks – das ist absolut nicht verhandelbar. Die zweite Regel ist: Wir sagen einander Bescheid, wenn wir ein Date haben. Details sind nicht notwendig – aber Transparenz ist wichtig. Diese beiden Regeln bestehen auch nach neun Jahren noch, während viele andere über die Zeit weggefallen sind. Wir sind gelassener geworden.

Und mit dieser Gelassenheit kommt wahrscheinlich auch weniger Eifersucht?

Ja, heute erleben wir eher Neid als klassische Eifersucht. Also nicht: "Ich verliere dich", sondern: "Ich hätte das auch gerne." Mein Mann beneidet manchmal die Abenteuer, die ich mit meinem Freund erlebe – spontane Reisen, zum Beispiel. Mein Freund wiederum beneidet unser gemeinsames Alltagsleben als Familie.

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