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Interview

Protestforscher Tareq Sydiq über AfD-Demos, Asylpolitik und Fridays for Future

05.09.2024, Nordrhein-Westfalen, Essen: Ein Demonstrant h
In diesem Jahr trafen sich regelmäßig Tausende, um gegen die AfD zu protestieren.Bild: dpa / Christoph Reichwein
Interview

Protestforscher Tareq Sydiq: "Es gibt kein Erfolgrezept für Proteste"

29.09.2024, 15:0729.09.2024, 15:07
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Eigentlich ist es überraschend: Noch Anfang des Jahres gab es heftige Proteste gegen die rigorose Asylpolitik der AfD. Heute wird die Asylpolitik verschärft, die CDU will sogar europäisches Recht aussetzen. Der Ton wird krasser, doch es passiert nur wenig: keine großen Proteste, nur verhältnismäßig leise Beschwerden.

Proteste für sozialpolitische Maßnahmen – etwa das Klimageld – gibt es ebenfalls nicht. Stellt sich die Frage nach dem Warum. Tareq Sydiq forscht seit Jahren zu dem Thema, hat zudem gerade erst sein Buch "Die Neue Protestkultur" veröffentlicht. Im Gespräch mit watson erklärt er, was Proteste auslöst, wie sich Social Media auf das Protestverhalten auswirkt und warum er trotz dramatischer Entwicklungen optimistisch bleibt.

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watson: Tareq, ist Deutschland protestfaul?

Tareq Sydiq: Überhaupt nicht. Deutschland zählt zu den Ländern, in denen mit am häufigsten protestiert wird. Das gilt auch schon lange, bereits seit den 60ern.

Bei sozialpolitischen Maßnahmen sind wir zurückhaltend, zum Beispiel beim Rentenalter. Woran liegt das?

Proteste gegen sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen werden meistens von Gewerkschaften getragen, und da gibt es in Deutschland eine anhaltende juristische und politische Debatte darüber, wie politisch Streiks sein dürfen. In Frankreich kamen auch besondere Umstände dazu – wie die Unbeliebtheit Macrons – die die Proteste befeuert haben dürften.

Protestforscher Tareq Sydiq hat kürzlich sein Buch "Die neue Protestkultur" veröffentlicht.
Protestforscher Tareq Sydiq hat kürzlich sein Buch "Die neue Protestkultur" veröffentlicht.Bild: privat

Wie kann ich mich bei Protesten durchsetzen?

Das hängt immer von den konkreten Zielen ab. Es gibt kein Erfolgsrezept für Proteste. Protestierende brauchen oft Verbündete oder Fürsprecher:innen in Regierungen und Machtinstitutionen, die ihre Anliegen aufgreifen. Generell müssen wir hier auch unterscheiden, sprich: Was genau möchte ich? Ist es etwas Akutes, also eine Forderung, die schnell umgesetzt werden kann oder ist es etwas, das grundsätzlich Zeit braucht?

Was wäre ein Beispiel für so eine akute Forderung?

Angenommen, ein Wald vor meiner Haustür soll gerodet werden und ich bin dagegen. Nun könnte ich klagen, aber der Rechtsweg braucht seine Zeit. Bis der durch ist, kann der Wald bereits verschwunden sein. Auch Mehrheiten für eine Partei zu mobilisieren, die das stoppt, könnte zu lange dauern. Direkte Protestformen sind da deutlich effektiver, sprich: die Mobilisierung vieler, Blockaden, Aufklär-Kampagnen.

"Es ist klar, dass Proteste nicht die umstimmen, die ohnehin AfD wählen."

Und langfristige Ziele?

Da wäre etwa der Kampf gegen Rassismus oder auch für mehr Umweltschutz. Bei solchen langfristigen Zielen muss ich schauen, wie das von den Medien aufgegriffen wird, wo Entscheidungsträgerinnen beeinflusst werden können, dann noch, wie mein Protest Debatten auslösen kann. Als Letztes hätten wir noch Protestformen, die versuchen, konkret auf Wahlen einzuwirken. Ein Beispiel wären die Proteste gegen Rechtsextremismus, um zu verhindern, dass die AfD viele Prozentpunkte kriegt.

Ein Blick auf die Landtagswahlen zeigt aber, dass die AfD-Proteste nicht die erhoffte Wirkung entfalten konnten.

Hier muss man unterscheiden: Erstmal ist klar, dass Proteste nicht diejenigen umstimmen können, die ohnehin die AfD wählen wollen. Mit den Protesten konnte man aber andere Dinge erreichen: Medien und Politik ordnen die Partei seitdem spürbar eindeutiger ein. Das lag aber nicht nur an den Protesten. Die Correctiv-Recherche trug dazu bei, dass zunehmend von einer rechtsextremen Partei gesprochen wird. Die Proteste haben dem ganzen noch eine deutlich stärkere Wirkmacht verliehen. Wie sie sich auf Bundesebene entlädt, wird sich noch zeigen.

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Deutschlandweit gab es Proteste gegen die AfD.Bild: dpa / Christoph Reichwein

Jetzt haben wir eine deutlich rechte Asylpolitik in Deutschland. Dennoch haben die Proteste gegen rechts an Intensität verloren. Warum?

Das hängt mit der spontanen Empörung zusammen, die für große Proteste entscheidend sein kann. Bei den Anti-AfD-Protesten gab es diese durch die Berichterstattung von Correctiv, aber auch darüber hinaus. Bei der Asylpolitik ist das anders. Klar, es gibt ja Proteste gegen die Bezahlkarte oder die Asylpolitik, nur sind das eben die klassischen Aktivist:innen, weniger engagierte Teilnehmer:innen bleiben weg. Was aber eine spontane Empörung auslöst, die mehr Mobilisierung mit sich bringt, lässt sich aber leider nicht vorausahnen.

Könnte die fehlende Empörung auch mit der Stimmung nach Solingen zusammenhängen?

Möglich ist es. Infolge dramatischer Vorfälle lässt sich eine restriktive Politik deutlich leichter verkaufen, zumindest eine gewisse Zeit lang. Aktivist:innen, die sich dem entgegenstellen, haben hingegen kaum medialen Rückenwind. Das macht es für sie schwerer, ihr Anliegen auf die Agenda zu setzen.

Wie verändert Social Media Proteste?

In erster Linie stellen soziale Medien eine andere Kommunikationsplattform zur Verfügung, die Protestformen haben sich dadurch nicht grundsätzlich verändert. Sie senken aber die Hürde für Kommunikation und Mobilisierung. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, Flugblätter zu verteilen. Gleichzeitig haben soziale Medien aber die klassischen Medien nicht ersetzt.

Heißt?

Ich kann vielleicht viele Menschen über Facebook und über Twitter andere erreichen. Doch um Mehrheiten außerhalb meiner Bubble zu bewegen, muss ich es auch in die Tagesschau schaffen.

Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, große Veränderungen mittels Protests herbeizuführen?

Ich denke schon. Es geht eher darum, wie das geschieht. Es hält sich die Vorstellung, Protest sei etwas ganz Direktes, also ich muss einmal Menschen zusammenbringen, dann passiert was. Das ist aber nur selten der Fall. Meistens muss ich über einen sehr langen Zeitraum Themen vorbereiten, die Grenzen des Sagbaren verschieben.

Was bedeutet das?

Wenn ich zum Beispiel eine Arbeitszeitverkürzung will, braucht es Überzeugungsarbeit, bevor Protest wirksam werden kann. Bis dieser Prozess in Form von Demonstrationen greifbar wird, kann es sehr lange dauern. Diese diskursive Arbeit können beispielsweise soziale Bewegungen leisten. Und dass das funktioniert, sehe ich schon.

Fridays for Future konnte jedoch nach Jahren kaum Reformen anstoßen. Stimmt dich das nicht pessimistisch?

Nein, Fridays for Future haben sehr viele junge Menschen politisiert, die sich jetzt zu ganz unterschiedlichen politischen Themen einbringen und engagieren. Dass sie derzeit nicht soviel Rückenwind haben, heißt ja nicht, dass es wirkungslos geworden ist. Und zur Demokratie gehört ja auch das Scheitern, wenn ich Menschen erstmal nicht überzeugen konnte. Gerade für so junge Menschen geht es da erst los, zu überlegen, wie man andere Taktiken nutzen oder Themen anders besetzen kann.

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