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Narzissmus: Max Pollux über Diagnose, sein Buch, Sucht und True Crime

Er war Täter. Heute versucht er, zu heilen – und zu helfen.
Er war Täter. Heute versucht er, zu heilen – und zu helfen.Bild: Penguin Random House GmbH / Julian Hartmuth
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Maximilian Pollux über Narzissmus: "Die Diagnose ist kein Urteil, aber ein Arbeitsauftrag"

Der Ex-Häftling, Podcast-Host und Buchautor Maximilian Pollux hat sich selbst diagnostiziert – mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Wie es dazu kam, erzählt er im Interview.
04.10.2025, 16:0604.10.2025, 16:06

Zehn Jahre lang saß Maximilian Pollux wegen Raubüberfällen und Drogenhandels in Haft. Heute ist er Anti-Gewalt-Trainer, Podcaster und Autor des Buches "Gefährliches Ego". Mit seinem Verein SichtWaisen e. V. hilft er Jugendlichen, nicht die gleiche Laufbahn einzuschlagen wie er.

Warum Selbstdiagnosen problematisch sind

Dieser Text beschäftigt sich mit Symptomen psychischer Krankheiten. Er kann hilfreich sein, da im Alltag oft nicht offen genug darüber gesprochen wird: um das Thema zu enttabuisieren und Menschen dazu zu ermutigen, sich professionelle Hilfe zu suchen.Aber dieser Artikel soll nicht zu einer Selbstdiagnose verleiten. Er ersetzt keine professionelle Diagnose und Behandlung. Nur ausgebildete Ärzt:innen oder Therapeut:innen haben auch Kenntnis über weitere Umstände, die das Abgrenzen von Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik ermöglichen.

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Watson hat mit ihm über Trigger, Tiktok-Narzisst:innen und die Kunst gesprochen, nicht mehr das größte Arschloch im Raum zu sein.

watson: Warum sollte jemand ausgerechnet das Buch eines Narzissten lesen?

Maximilian Pollux: Es gibt kaum Bücher, die Narzissmus von innen beschreiben, also aus der Perspektive eines Betroffenen. Wenn du betroffen bist, jemanden kennst oder dich für das Thema interessierst, bekommst du Einblicke, die dir helfen, damit umzugehen. Wer kann Narzissmus besser erklären als jemand, der selbst damit lebt?

Der Begriff Narzissmus wird gerade inflationär benutzt. Wie geht's dir damit?

Das ist nichts Neues. Auch Begriffe wie "Trigger" wurden total verwässert. Für Leute mit PTBS hat ein Trigger eine ganz andere Bedeutung als: "Die Frisur meiner Kollegin triggert mich voll." Und beim Thema Narzissmus ist es ähnlich: Meistens beschreiben Leute damit ihren Ex oder eine nervige Freundin, ohne echte Diagnose. Was beschrieben wird, ist auch nicht einfach nur Narzissmus, sondern ein besonders gefährliches Subgenre, nämlich der maligne Narzisst. Die machen in Wirklichkeit aber nur einen ganz kleinen Teil des Spektrums aus.

"Viele, die ständig in Mikrofone sprechen oder Content produzieren, haben eine gewisse Portion Narzissmus."

Aber ist es nicht trotzdem gut, dass das Thema gerade so viel Aufmerksamkeit bekommt?

Teils, teils. Klar, Aufklärung ist immer gut. Und mein Buch kann, glaube ich, wirklich Leid verhindern, vielleicht sogar Leben retten. Aber was online oft passiert, ist Täterfokussierung. So nach dem Motto: "Der Narzisst ist ein Monster, da konnte ich nichts tun." Das ist gefährlich. Prävention funktioniert nur über Eigenverantwortung, nicht über Schuldzuweisung.

Gibt es heute mehr Narzisst:innen als früher?

Ich glaube nicht, dass es heute mehr Narzisst:innen gibt. Was sich verändert hat, ist unsere Wahrnehmung. Dinge, die wir heute als narzisstisch oder toxisch erkennen, waren früher leider normal. Der patriarchale Chef, der alle dominiert, der Vater, der daheim das Sagen hat, das war halt "der Mann im Haus". Heute würden wir solche Leute mit ganz anderen Augen sehen.

Aber durch Social Media wirkt es schon so, als ob es mehr Narzisst:innen gibt, oder?

Social Media fühlt sich narzisstisch an. Alle wollen gesehen werden, alle wollen Likes. Aber vielleicht ist es eher so, dass die Plattformen narzisstische Menschen einfach besonders stark anziehen. Ob Social Media neue Narzisst:innen erzeugt oder einfach nur vorhandene sichtbar macht, ist noch nicht klar. Aber ich garantiere dir: Viele, die ständig in Mikrofone sprechen oder Content produzieren, haben eine gewisse Portion Narzissmus.

"Narzissmus ist wie Körpergröße. Jeder hat eine."

Sind dann alle Content-Creator Narzissten?

Ich glaube, es ist sehr schwer, dauerhaft in diesem Job zu sein, ohne starke narzisstische Tendenzen zu haben. Und das bedeutet nicht, dass man ein schlechter Mensch ist, sondern dass da ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Anerkennung ist. Die große Aufgabe wäre dann: Irgendwann nicht mehr davon abhängig zu sein.

Also können wir uns doch gar nicht vor Narzisst:innen schützen, oder?

Narzissmus ist wie Körpergröße. Jeder hat eine. Aber sobald jemand über zwei Meter "narzisstisch" ist, wird's problematisch: Dann stößt du dir den Kopf, passt in keinen Sitz mehr und fängst an, anderen auf die Füße zu treten. Das ist der Punkt, an dem Narzissmus wirklich wehtut.

Wie bekommt man das überhaupt diagnostiziert – gerade wenn Narzisst:innen sich ja oft selbst gut verkaufen?

Die Diagnose ist komplex. Es gibt viele Tests, auch mit mehreren tausend Fragen. Aber die große Herausforderung: Der Patient muss wahrheitsgemäß antworten. Und das machen viele nicht, vor allem, wenn sie kein Problembewusstsein haben. Die allermeisten Narzissten gehen gar nicht erst zur Therapie.

Das Buch "Gefährliches Ego" ist seit dem 10. September im Handel.
Das Buch "Gefährliches Ego" ist seit dem 10. September im Handel.Bild: Penguin Random House GmbH / Julian Hartmuth

Dein Buch handelt von Narzissmus, aber auch von dir selbst. Wie kommt man denn auf die Idee?

Eigentlich sollte das Buch nur von anderen Tätern handeln, aber mitten während der Recherche meinte meine Frau zu mir: "Schreib doch einfach über dich!" Und das war ein Moment, in dem ich gemerkt hab: Okay, es ist Zeit, ehrlich hinzuschauen. Zeit, die Narzissmus-Schablone, die ich über die anderen Täter in diesem Buch gelegt habe, auch auf mich selbst anzuwenden.

Und das Ergebnis war?

Ich habe die Diagnosekriterien für narzisstische Persönlichkeitsstörung durchgearbeitet und bei neun von neun gepunktet. Das war heftig. Aber es hat mir auch geholfen, mich zu verstehen. Die Diagnose ist weder eine Entschuldigung noch ein Urteil, aber ein Arbeitsauftrag für mich.

Und wie geht deine Frau mit deinen narzisstischen Anteilen um?

Ich hab mich gefragt: Warum ist sie nach zehn Jahren noch da? Ganz einfach, sie übernimmt meine Realität nicht. Sie hat klare Grenzen, ein klar definiertes Selbst. Und sie sagt nie "ja", nur um Streit zu vermeiden. Sie ist auch nicht empfänglich für das typische Lovebombing eines Narzissten. Genau deshalb stecke ich bis heute in dieser Phase fest.

Wie hat dein Umfeld reagiert, als du gesagt hast: Ich bin narzisstisch?

Total gemischt. Viele haben gesagt: "Du? Niemals. Du bist doch empathisch!" Andere wiederum: "Ja, wusste ich." Es gibt ja dieses verzerrte Bild vom Narzissten: der ultrabrillante, manipulative Mann im Anzug, der Menschen zerstört. Ich wollte mit dem Buch auch zeigen: Narzissmus ist viel näher an uns allen dran, als wir denken. Und er ist nicht immer gleich zerstörerisch, aber immer gleich leer.

Was meinst du mit "leer"?

Narzissmus ist ja letztlich ein Schutz. Ein Schutzpanzer über einem verletzten, verunsicherten Kern. Wenn du das Gefühl hast, du bist nur dann was wert, wenn dich andere gut finden, dann brauchst du ständig Bestätigung von außen. Narzissten können sich dieses Bedürfnis nicht selbst erfüllen, ohne externes Feedback sind sie leer.

Hat deine Drogenvergangenheit mit Narzissmus zu tun?

Aufputschdrogen wie Meth oder Kokain schalten die Empathie aus und wenn du eh schon narzisstisch tickst, wird's toxisch. Du schläfst kaum, fühlst weniger. Diese Substanzen sind Ego-Verstärker. Und ich hab sie dafür benutzt. Heute weiß ich: Das war keine Freiheit, das war Selbstzerstörung.

"Der Knast hat mich nicht verändert. Meine Frau hat das. Nicht mit Härte, sondern mit Liebe."

Warum startet dein Buch mit dem Fall von Anders Breivik?

Weil er ein Extrembeispiel ist. Alle nennen ihn Monster und machen damit zu. Aber Breivik war mal ein Kind. Ein Kind mit zerstörter Psyche, mit einem zerbrochenen Selbst. Hätte man früh genug therapeutisch auf ihn eingewirkt, hätte man seine Tat wohl verhindern können. Täterhistorien zu verstehen, ohne deswegen mit den Tätern einverstanden zu sein, ist wichtig.

Hattest du keine Sorge, bei so einer True-Crime-Erzählung, den Opfern gegenüber respektlos zu sein?

Deshalb verzichte ich zum Beispiel in den Kapitelbezeichnungen ganz bewusst auf Namen der Täter – ich will nicht dazu beitragen, sie berühmter zu machen und damit ihr Ego zu füttern.

Hat dich der Knast verändert?

Der Knast hat mich nicht verändert. Meine Frau hat das. Nicht mit Härte, sondern mit Liebe. Im Gefängnis habe ich gelernt, mich vom Menschsein zu entfernen. Bei ihr habe ich gelernt, mir und anderen nahe zu sein. Zugehörigkeit entsteht nicht durch Druck und Angst – sondern durch Ehrlichkeit.

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