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Jobs mit Zukunft

Urologie: Ärztin über Vorurteile, Scham bei Patienten und Blasenentzündung

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Die Urologie wird als Fachrichtung auch für Frauen im Arztberuf immer beliebter. (Symbolbild).Bild: imago images / Giorgio Fochesato
Jobs mit Zukunft

"Das stimmt gar nicht": Urologin räumt mit Vorurteilen über ihren Job auf

In unserer Serie "Jobs mit Zukunft" werfen wir einen Blick auf Berufe, die für junge Menschen besonders spannend sind. Weil sie neu, zukunftssicher oder einfach anders sind. Oder weil sie die Welt auf irgendeine Weise besser machen.
31.07.2024, 07:1604.09.2024, 16:17
Lukas Armbrust
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Inkontinenz, Prostatakrebsvorsorge oder Erektionsstörungen – der Gang zum Urologen kann gerade für Männer mit viel Scham behaftet sein. Wenn einem dann im Sprechzimmer kein Arzt, sondern eine Ärztin gegenübersitzt, tun sich einige schwer, offen über ihre Beschwerden zu sprechen.

Laut der Bundesärztekammer waren 2023 rund ein Fünftel der 6600 in Deutschland tätigen Urolog:innen weiblich. Eine davon ist Katharina Tiedge. Sie arbeitet zusammen mit ihrem Ehemann in einem medizinischen Versorgungszentrum für Urologie in der Nähe von Bielefeld.

Mit watson spricht sie darüber, warum Urolog:in kein reiner "Männerarzt" ist, wie sie mit peinlich berührten Patient:innen umgeht und welcher Spruch ihr hilft, unangenehme Situationen aufzulockern.

Katharina Tiedge, Urologin
Katharina Tiedge arbeitet seit mehreren Jahren als Urologin.Bild: Privat / Privat

watson: Urologin zu werden – davon träumen wohl nur die wenigsten jungen Frauen nach der Schule. Wann hast du dich dafür entschieden?

Katharina Tiedge: Das war erst relativ spät im Medizinstudium. Bei der Inneren Medizin wäre ich für meinen Geschmack mit zu viel Stationsarbeit beschäftigt gewesen, als Chirurgin ständig im OP zu stehen, hat mich aber auch nicht gereizt. Ich fand die Mischung aus beidem spannend und als ich dann in einem Praktikum gesehen habe, wie einem Patienten mit einem Laser die Nierensteine entfernt wurden, war ich sehr angetan.

Wie hast du das Medizinstudium insgesamt erlebt?

Die ersten Semester haben mich sehr gestresst, denn da ging es viel um naturwissenschaftliche Grundlagen wie Biologie oder Chemie und davon war ich nie großer Fan. Aber nach dem ersten Staatsexamen gab es sehr viele interessante Fächer, die konkreten Bezug zum medizinischen Alltag hatten und das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich denke, man muss für das Medizinstudium nicht hochintelligent sein, aber definitiv fleißig, weil das Lernpensum einfach super hoch ist.

"Viele Patienten glauben immer noch, dass der Urologe ein reiner Männer-arzt wäre, aber das stimmt überhaupt nicht."

Mit welchen Beschwerden kommen Patient:innen zu dir?

Zu uns kommen sowohl Männer als auch Frauen. Insofern sind Urolog:innen auch nicht das Gegenstück zu Gynäkolog:innen. Es gibt zwar einen Teilbereich in der Urologie, der betrifft nur Männer, also wenn es zum Beispiel um männliche Geschlechtsorgane wie Prostata oder Hoden geht. Aber als Urologin behandle ich im Grunde alles, was mit den ableitenden Harnwegen zu tun hat, also Niere, Harnleiter, -röhre und -blase. Das kann eine einfache Blasenentzündung oder ein komplexer Blasentumor sein. Und davon sind ja auch Frauen betroffen.

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In einer Urologie-Praxis geht es häufig um schambehaftete Probleme. Wie schwer fällt es Patient:innen sich dir gegenüber zu öffnen?

Was ältere Menschen betrifft, habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass die gerne für immer und ewig bei ein und demselben Arzt bleiben wollen, vor allem wenn es um so sensible Themen wie Inkontinenz oder Erektionsstörungen geht. Da spielt Scham bestimmt eine Rolle. Wenn man lange jemanden hatte, dem man sich anvertraut hat und dann kommt jemand Neues, fällt es manchen schwer, sich zu öffnen.

Und wie reagieren männliche Patienten, wenn statt einem Urologen plötzlich eine Urologin vor ihnen sitzt?

Also, ich hatte erst gestern einen jungen Mann in der Praxis, der einfach gar nicht mit der Sprache rausrücken wollte, weil er offensichtlich ein Problem damit hatte, dass kein männlicher Arzt da war. Solche Fälle gibt es gar nicht so selten. Dann ist es für mich natürlich schwer, eine gute Anamnese zu verfassen, also die Beschwerden des Patienten zu erfragen, um dann eine passende Behandlung vorzuschlagen.

Wenn das Sprechen über Beschwerden schon schwierig ist, dann sind die Hemmnisse bei Untersuchungen bestimmt nicht geringer.

Ja, mir fällt vor allem bei jüngeren Patienten auf, dass sie vor mir als Frau noch etwas Scham haben, wenn ich zum Beispiel die Hoden untersuche. Manche legen sich dann auf die Liege und ziehen nur die Jeans herunter. Dann muss ich sie immer bitten auch die Unterhose runterzuziehen, weil ansonsten natürlich kein Ultraschall oder eine Tastuntersuchung möglich ist.

Dabei ist es für dich wahrscheinlich eine Routineuntersuchung.

Diese Vorsorgeuntersuchung für die Prostata machen wir jeden Tag zigmal. Aber das ist eine Untersuchung, die vielen Männern noch unangenehm ist.

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Ein Arzt betrachtet ein Querschnittsbild einer Prostata (Symbolbild).Bild: dpa / Uwe Anspach

Weil dafür die Ärztin oder der Arzt die Prostata mit den Fingern im Rektum abtasten muss.

Diese Hemmnisse führen natürlich dazu, dass viele einfach nicht zur Vorsorge kommen. Aber wenn die Patienten einmal da waren und die Untersuchung mitgemacht hat, dann stellen sie auch fest, dass das alles nicht so schlimm ist. Es tut ja auch nicht weh und dauert maximal fünf bis zehn Sekunden.

Wie viel Verständnis hast du für solche Unsicherheiten?

Ich verstehe das total, wenn man zum Urologen geht, einen Mann erwartet und dann sitzt eine Ärztin vor einem. Gerade sehr junge Patienten, die vielleicht das erste Mal da sind, sind dann sowieso schon verunsichert und haben vielleicht zusätzlich noch Angst, dass etwas Ernstes bei der Untersuchung rauskommt.

Und wie sind die Reaktionen von weiblichen Patientinnen?

In der Praxis, in der ich jetzt arbeite, gab es vorher nur zwei männliche Urologen und aktuell gibt es hier in der gleichen Stadt auch keine andere Urologin. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass ich da bin. Viele Frauen vereinbaren einen Termin bei mir und sagen auch gleich wie glücklich sie sind, dass es endlich eine Urologin in ihrer Nähe gibt.

Woran liegt das?

Ich habe das Gefühl, die Frauen glauben, dass eine Ärztin ihre Probleme besser verstehen kann als ein Urologe, zum Beispiel was Inkontinenz nach der Geburt angeht. Das ist eigentlich wie bei den Männern, die sich vielleicht von einem Urologen besser verstanden fühlen. Deswegen sehe ich aktuell schon mehr Frauen in meiner Sprechstunde als beispielsweise bei meinem Mann.

Dabei zählt am Ende vor allem, dass die Patient:innen gut versorgt sind.

Klar, wenn man mit einer Kolik in die Klinik kommt und richtig schlimme Schmerzen hat, dann ist es egal, wer da steht. Hauptsache man kriegt erst mal Schmerzmittel und dann die richtige Behandlung. Aber mich freut es natürlich, wenn mir die Patienten auch sonst Vertrauen entgegenbringen. Es gibt immer wieder Männer, die mir sagen, dass sie lange das Vorurteil hatten, dass der Bereich nur etwas für Männer wäre, aber ich hätte sie nun positiv überrascht.

Wenn sich eine junge Person, für den Beruf interessiert, was sollte er oder sie mitbringen?

Ich finde, dass man als Arzt, egal welches Fachgebiet man hat, immer empathisch sein muss. Und meiner Meinung nach sollte man auch offen und kommunikativ sein, wenn mit verunsicherten Patienten zu tun hat. Da hilft es auch, wenn man einen lockeren Spruch auf Lager hat oder mit ein wenig Humor an die Sache rangeht. Dafür sind Urologen sowieso bekannt, dass sie von allen Medizinern die lockersten und lustigsten sind.

Dann zum Schluss die Frage: Welchen Spruch sollten angehende Urolog:innen auf Lager haben?

Wenn jemand nur leicht angespannt ist und beispielsweise für die Untersuchung die Unterhose nicht komplett herunterzieht, dann ist der urologische Klassiker: "Durch die Hose keine Diagnose."

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