In Kliniken ist es schon lange Thema: überlastete Ärzt:innen und Pfleger:innen, zunehmende Bürokratie, eine alternde Gesellschaft, aber immer weniger Fachkräfte. Genau hier setzt ein noch recht neuer Beruf an, der an Bedeutung gewinnt: der des Physican Assistant, kurz PA.
Aber was macht dieser eigentlich? Was muss man als "PA" studiert oder gelernt haben? Für watson sprachen wir darüber mit Thomas Fleischmann und Madeline Gülzow.
Thomas ist Professor und leitet den Masterstudiengang Physician Assistant – Klinische Notfallmedizin an der SRH University. Zuvor war er 17 Jahre lang Chefarzt von Notaufnahmen. Madeline befindet sich am Ende ihres Masterstudiums und arbeitet zudem in Greifswald.
watson: Welche Lücke im Gesundheitssystem schließen Physician Assistants?
Thomas: PA's schließen die ärztliche Personallücke im Gesundheitswesen nicht, können sie aber abmildern. Laut Prof. Lauterbach (Karl Lauterbach, ehem. Bundes-Gesundheitsminister; d. Red.) werden in den nächsten zehn Jahren rund 50.000 Ärzt:innen fehlen. Physician Assistants können die fehlenden Ärzt:innen nicht ersetzen, aber diejenigen, die wir haben, erheblich entlasten, indem sie delegierbare Tätigkeiten abnehmen.
Welche sind das?
Das Vorbereiten von Anamnesen, das Durchführen von Untersuchungen und die Erstellung eines Diagnose- und Therapieplans. Diese Pläne werden von den Ärzt:innen dann freigegeben oder geändert, und die PA's führen sie aus. Auf diese Weise können sich die Ärzt:innen auf jene Aufgaben konzentrieren, die alleine in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen.
Madeline, wie kamst du auf die Idee, PA zu studieren?
Madeline: Ich bin zufällig auf den Beruf gestoßen. Damals habe ich als Fachpflegerin für Anästhesie und Intensivpflege gearbeitet und war Leiterin der Anästhesiepflege. Um mich in dieser Rolle weiterzuentwickeln, hatte ich überlegt, ein Pflegestudium zu beginnen. Zur selben Zeit hat ein Chefarzt in der Herzchirurgie angefangen, der einen Physician Assistant mitbrachte. Mein damaliger Arbeitgeber fand das Berufsbild spannend und hat mir dann angeboten, das PA-Studium zu machen.
Wie ist das Studium aufgebaut?
Madeline: Das PA-Studium gibt es an über 20 Hochschulen in Deutschland. Weil es noch kein offizielles Berufsgesetz gibt, unterscheiden sich die Inhalte je nach Hochschule etwas. Grundsätzlich werden medizinische Grundlagen vermittelt, aber auch Themen wie Recht, Qualitätsmanagement, Dokumentation oder Abrechnungssysteme. Ein großer Teil des Studiums ist praktisch: Hier lernt man, wie man Anamnesen durchführt, Sonografie anwendet oder das Legen von Zugängen.
Wie lange dauert das Studium?
Das Bachelorstudium dauert je nach Hochschule drei bis vier Jahre. Ich mache aktuell meinen Master an der SRH University, da ich hier ein auf die Klinische Notfallmedizin spezialisiertes Studium absolvieren kann. Das hat mich besonders gereizt. Außerdem eröffnet mir der Master die Möglichkeit, danach zu promovieren – mein nächstes berufliches Ziel.
Was ist der Vorteil des PA-Studiums?
Thomas: Im Studium werden alle medizinischen Fachgebiete behandelt, sodass PA's breit eingesetzt werden können. Zudem ist der Praxisanteil des Studiums hoch. Das ermöglicht Studierenden, ihr theoretisches Wissen anzuwenden. Gleichzeitig können die in den Praktika geknüpften Kontakte helfen, nach dem Studium schnell einen Job zu finden.
Madeline: Der Vorteil ist, dass Menschen mit einem Gesundheitsberuf die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln ohne ein komplettes Medizinstudium machen zu müssen. Für alle, die gern in der direkten Patient:innenversorgung arbeiten, ist das PA-Studium eine tolle Option.
Gibt es auch Nachteile?
Thomas: Da es sich um ein relativ junges Berufsbild handelt, sind einige Gesundheitseinrichtungen noch nicht ausreichend über den Beruf informiert. Ein anderes Hindernis betrifft das Vergütungssystem für Praxen und Krankenhäuser, das die Integration dieses neuen Berufsbildes nur unzureichend vorsieht. Die Kosten von PA's werden häufig nicht ausreichend refinanziert.
Wie viel verdient man denn?
Madeline: Da es bisher keine einheitliche tarifliche Eingruppierung für PA's gibt, hängt das Gehalt stark von Berufserfahrung, Aufgabenbereich und Einsatzort ab. Die Deutsche Gesellschaft für Physician Assistants empfiehlt aktuell ein Einstiegsgehalt von rund 4100 Euro brutto für Bachelorabsolvent:innen.
Werden PA's in Kliniken gut empfangen?
Thomas: Selbst Einrichtungen, die anfangs Vorbehalte haben, erkennen schon kurz nach der Einstellung das Entlastungspotenzial. Unsere Studierenden sammeln während ihrer Praktika nicht nur neue Erfahrungen, sondern sorgen so auch für Aufklärung in Kliniken und Praxen.
Madeline, du arbeitest auch praktisch. Wie wurdest du im Team aufgenommen?
Madeline: Seit meinem Bachelorabschluss im März 2023 arbeite ich als PA in der Zentralen Notaufnahme der Universitätsmedizin Greifswald. Ich wurde von Anfang an gut ins ärztliche Team aufgenommen. Durch meine langjährige Berufserfahrung aus der Anästhesie und Intensivpflege fiel mir der Einstieg auch relativ leicht.
Gibt es keine Skepsis?
Madeline: Es kommt schon mal vor, dass mir Skepsis begegnet. Meistens liegt das daran, dass viele nicht genau wissen, was ein PA macht. Wenn Zuständigkeiten klar geregelt sind, hilft das. Manchmal höre ich auch, dass befürchtet wird, PA's würden ärztliche Stellen ersetzen oder die Ausbildung von Assistenzärzt:innen beeinträchtigen. In solchen Fällen erkläre ich, dass wir das Team nur entlasten, indem wir Routineaufgaben übernehmen.
Wo liegt denn der Unterschied zum Assistenzarzt?
Thomas: PA's haben kein Medizinstudium absolviert und sind daher keine approbierten Ärzt:innen. Sie tragen nicht die medizinische und rechtliche Gesamtverantwortung für die Patient:innenversorgung. PA's stellen keine Diagnosen und entscheiden auch nicht über Behandlungen. Die Aufgaben, die sie übernehmen, erfolgen immer in Rücksprache mit Ärzt:innen und nach klaren Vorgaben.
Welche Fähigkeiten sollte man als PA mitbringen?
Thomas: Das Studium richtet sich an Menschen mit großem Interesse an Medizin. Sie müssen bereit sein, viel zu lernen, komplexe medizinische Zusammenhänge verstehen, empathisch kommunizieren und in stressigen Situationen souverän bleiben. Wichtig ist auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich flexibel auf wechselnde Anforderungen einzustellen. Denjenigen, die eigentlich Medizin studieren wollen, rate ich allerdings vom PA-Studium ab. PA ist keine Alternative zum Arztberuf. Es handelt sich um ein ganz neues Berufsbild.
Madeline: Ich würde es allen empfehlen, die sich für Medizin interessieren und aktiv an der Versorgung von Patientinnen mitwirken wollen. Es ist auch eine tolle Möglichkeit für alle, die sich beruflich weiterentwickeln möchten. Aber ja, wer lieber Ärztin werden möchte, sollte versuchen, direkt ein Medizinstudium zu beginnen.
Glaubst du, das PA-Studium hat Zukunft?
Madeline: Auf jeden Fall. Wir haben eine alternde Gesellschaft, der Fachkräftemangel nimmt zu, und gleichzeitig werden die Anforderungen an die Versorgung immer komplexer. Ich glaube, wir brauchen künftig starke, interprofessionelle Teams – mit Ärzt:innen, PA's und Pflegefachpersonen, die sich in ihrer Arbeit gut ergänzen.