Festangestellt vs. frei: Ist es normal, dass man haben will, was man nicht hat?
als ich selbstständig war, sehnte ich mich nach der Sicherheit einer Fixanstellung. Jetzt wo ich angestellt bin, möchte ich jeden Morgen mit meinem Bäcker nach Beirut durchbrennen. Ist das normal, dass man immer haben will, was man gerade nicht hat?
Ich bin jedenfalls gerade sehr unglücklich mit meinem Bürojob. Aber ich habe Angst, dass ich beim Wechsel in die Selbstständigkeit nicht genug Aufträge bekommen werde.
Ich hoffe, ihr könnt mir weiterhelfen!
Alles Liebe,
Amira
Liebe Amira,
absolut!
Das ist ein Trick vom Gehirn, damit man möglichst schnell, nachdem eine Entscheidung
zugunsten der anderen getroffen wurde, wieder unglücklich wird. Sieh es einfach
positiv: Immerhin wird dir nie langweilig. Immerhin hast du genügend Stoff zum
Grübeln, der dich zwischen Frühstück und Schichtende davon abhält, für eine
Minute entspannt zu sein.
Nein, jetzt mal im Ernst. Ich stecke momentan auf der anderen Seite deines Dilemmas fest. Seit knapp einem Jahr bin ich auf mich alleine gestellt, was dann super ist, wenn ich mir einen Geldpolster angefuttert habe, der mich im Sommer zuerst runter nach Italien und später hoch gegen Norden bringt, ohne dazwischen um sieben Wochen Urlaub ansuchen zu müssen.
Einnahmen: Zero. Bewusst gewählt zwar, das schon. Aber die Existenzangst steckt mir als Bildungsaufsteigerin trotz aller rationaler Beschwichtigungsversuche im Knochenmark. Es gibt Momente, da denke ich, ich werde nie wieder einen Auftrag an Land ziehen. Und dann sende ich eine E-Mail an die richtige Person und habe – schwupps – Projekte bis tief in den Winter hinein.
Die Selbstständigkeit ist ein Wetterextrem, während die Festanstellung eher einer wohltemperierten Wohlfühloase gleicht, in der man regelmäßig vor Routine und Langeweile einschläft.
Meine Frage an dich: Bist du ein Mensch, der auch mal ein bisschen Hitze verträgt? Hältst du es aus, immer und immer wieder auf dich alleine zurückgeworfen zu werden? Ist dir deine Integrität wichtiger als das Corporate-Gefüge einer Firma, für die du arbeitest? Und:
Vielleicht als kleiner Überblick dreier Dinge, die ich mir seit meiner Selbstständigkeit abschminken kann:
- Rückhalt durch Chefetagen.
- Altersgerechte Hotelzimmer.
- Alles, was neu ist. Sei es Möbel, Klamotten oder Lippenstifte.
Dann, als Gegenpol, drei Dinge, die ich absolut nicht vermisse:
- Fehlenden Rückhalt durch Chefetagen.
- Fremdbestimmte To-Do-Listen und Arbeitsabläufe.
- Brainstorming in spärlich bestuhlten Meetingräumen.
So sehr ich auch geschwitzt habe, im Dreierhostel in Rom: Es war immer noch besser, mit meinen zwei Freunden in der Hitze auszuschlafen, als zum Meeting zu marschieren. Es ist okay, nicht einzukaufen – und ohnehin besser für die Umwelt. Dann arbeite ich eben erst ab 11 Uhr meine eigene To-Do-Liste ab, ohne dabei den neuesten Trend auszuführen. Aber, Achtung.
Kurz: Ich glaube, es ist im Endeffekt ziemlich egal, ob wir in einer Festanstellung oder freiberuflich arbeiten. Wichtiger ist, wie man seine eigenen Grenzen zieht. Ob man nett zu sich ist. Pünktlich nach Hause geht.
Es bringt nichts, sich selbstständig zu machen, nur, um dann noch mehr und noch ärger zu arbeiten, wenn man wegen der 40+-Stunden-Woche gekündigt hat.
Oh, und bevor ich es vergesse:
Es gibt in unserer Gesellschaft mit befristeten Arbeitsverträgen ohnehin keine Sicherheit, in der man sich langfristig suhlen könnte. Also warum solltest du dich länger als nötig nach deinem anerzogenen Sicherheitsbedürfnis richten? Eben.
Ich glaube, du bist bereit für die Veränderung, wenn du danach als deine eigene Chefin ein paar Dinge anders machst.
Liebe Grüße,
Bianca
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