Liebe & Sex
In unserer Kolumne "Mein ganz persönlicher Mindfuck" beantworten wir eure Fragen. Alle.
04.08.2018, 18:0014.08.2018, 09:40
Liebe Bianca
als ich selbstständig war, sehnte ich mich nach der Sicherheit einer Fixanstellung. Jetzt wo ich angestellt bin, möchte ich jeden Morgen mit meinem Bäcker nach Beirut durchbrennen. Ist das normal, dass man immer haben will, was man gerade nicht hat?
Ich bin jedenfalls gerade sehr unglücklich mit meinem Bürojob. Aber ich habe Angst, dass ich beim Wechsel in die Selbstständigkeit nicht genug Aufträge bekommen werde.
Ich hoffe, ihr könnt mir weiterhelfen!
Alles Liebe,
Amira
Liebe Amira,
absolut!
Das ist ein Trick vom Gehirn, damit man möglichst schnell, nachdem eine Entscheidung
zugunsten der anderen getroffen wurde, wieder unglücklich wird. Sieh es einfach
positiv: Immerhin wird dir nie langweilig. Immerhin hast du genügend Stoff zum
Grübeln, der dich zwischen Frühstück und Schichtende davon abhält, für eine
Minute entspannt zu sein.
Nein,
jetzt mal im Ernst. Ich stecke momentan auf der anderen Seite deines Dilemmas
fest. Seit knapp einem Jahr bin ich auf mich alleine gestellt, was dann super
ist, wenn ich mir einen Geldpolster angefuttert habe, der mich im Sommer zuerst
runter nach Italien und später hoch gegen Norden bringt, ohne dazwischen um
sieben Wochen Urlaub ansuchen zu müssen.
Weniger super ist dann der Blick auf den Kontostand. So geschehen: gestern.
Einnahmen:
Zero. Bewusst gewählt zwar, das schon. Aber die Existenzangst steckt mir als
Bildungsaufsteigerin trotz aller rationaler Beschwichtigungsversuche im
Knochenmark. Es gibt Momente, da denke ich, ich werde nie wieder einen Auftrag
an Land ziehen. Und dann sende ich eine E-Mail an die richtige Person und habe
– schwupps – Projekte bis tief in den Winter hinein.
Die
Selbstständigkeit ist ein Wetterextrem, während die Festanstellung eher einer
wohltemperierten Wohlfühloase gleicht, in der man regelmäßig vor Routine und
Langeweile einschläft.
Meine Frage an dich: Bist du ein Mensch, der auch mal
ein bisschen Hitze verträgt? Hältst du es aus, immer und immer wieder auf dich
alleine zurückgeworfen zu werden? Ist dir deine Integrität wichtiger als das
Corporate-Gefüge einer Firma, für die du arbeitest? Und:
Was bist du bereit, dafür aufzugeben?
Vielleicht
als kleiner Überblick dreier Dinge, die ich mir seit meiner Selbstständigkeit
abschminken kann:
- Rückhalt durch Chefetagen.
- Altersgerechte Hotelzimmer.
- Alles, was neu ist. Sei es Möbel, Klamotten oder Lippenstifte.
Dann,
als Gegenpol, drei Dinge, die ich absolut nicht vermisse:
- Fehlenden Rückhalt durch Chefetagen.
- Fremdbestimmte To-Do-Listen und Arbeitsabläufe.
- Brainstorming in spärlich bestuhlten Meetingräumen.
So
sehr ich auch geschwitzt habe, im Dreierhostel in Rom: Es war immer noch
besser, mit meinen zwei Freunden in der Hitze auszuschlafen, als zum Meeting zu
marschieren. Es ist okay, nicht einzukaufen – und ohnehin besser für die
Umwelt. Dann arbeite ich eben erst ab 11 Uhr meine eigene To-Do-Liste ab, ohne
dabei den neuesten Trend auszuführen. Aber, Achtung.
Schon
Byung-Chul Han schrieb: Selbstausbeutung ist nicht umsonst der kleine nette Bruder der Fremdausbeutung. Sie ist dabei viel effizienter als die Fremdausbeutung, weil sie mit dem Gefühl der Freiheit einhergeht.
Kurz: Ich glaube, es ist im Endeffekt ziemlich egal, ob wir in einer Festanstellung
oder freiberuflich arbeiten. Wichtiger ist, wie man seine eigenen Grenzen
zieht. Ob man nett zu sich ist. Pünktlich nach Hause geht.
Es bringt nichts,
sich selbstständig zu machen, nur, um dann noch mehr und noch ärger zu
arbeiten, wenn man wegen der 40+-Stunden-Woche gekündigt hat.
Oh,
und bevor ich es vergesse:
Sich Sorgen zu machen, bedeutet zweimal zu leiden.
Es
gibt in unserer Gesellschaft mit befristeten Arbeitsverträgen ohnehin keine
Sicherheit, in der man sich langfristig suhlen könnte. Also warum solltest du
dich länger als nötig nach deinem anerzogenen Sicherheitsbedürfnis richten?
Eben.
Ich
glaube, du bist bereit für die Veränderung, wenn du danach als deine eigene
Chefin ein paar Dinge anders machst.
Liebe
Grüße,
Bianca
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Dann schick sie uns per Mail! mindfucked@watson.de
Bianca Xenia Jankovska...
...hat bisher in vier Städten in drei Ländern gewohnt, die Sicherheit einer Festanstellung gegen konstante Ungewissheit getauscht und dabei unter anderem gelernt, dass man nicht ewig gegen seine inneren Neigungen arbeiten kann, ohne unglücklich zu werden. Als freie Autorin und Bloggerin schreibt sie über Machtstrukturen und persönliche Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt und Privilegien, die manchmal selbst enge Freunde entzweien. Ihr erstes Buch
"Das Millennial Manifest" erscheint im Herbst 2018.
Mit ermüdender Regelmäßigkeit schießen vorwiegend Führungskräfte gegen die Gen Z. Sie sei zu faul, zu fordernd, zu schnippisch. Jetzt ist der viel beschworene jugendliche Sittenverfall ein alter Hut, einer, der säuerlich müffelt.