Gleich vorweg: Es gibt keine Tipps, mit denen das Familienleben plötzlich wahnsinnig leicht und nur noch Glücks-erfüllt wird. Ich habe aber in fünf Jahren Erfahrungen gemacht, wodurch die Tage und Gefühle manchmal etwas erträglicher wurden und ich verhindern konnte, nicht komplett durchzudrehen.
Ich habe lange gebraucht, bis ich verstanden habe, dass nicht ich als Mutter oder das Verhalten meines Kindes das Problem ist, sondern meine ursprüngliche Vorstellung, wie das Leben als Familie auszusehen hat. Geprägt von Werbung, Filmen, Instagram-Posts und ganz besonders von Müttern, die nie über das Negative sprechen, war ich bereits nach wenigen Wochen von der Realität des Mutterseins so geschockt, dass ich alles anzweifelte – ganz besonders die Entscheidung, ein Kind bekommen zu haben.
Vergiss Café-Besuche mit im Kinderwagen schlafenden Babys, vergiss kreative Bastelnachmittage zu Beginn der Jahreszeiten, vergiss eine harmonische Weihnachtszeit mit angeblich leuchtenden Kinderaugen, vergiss friedliche und genussvolle Mahlzeiten als Familie, das große Geschwisterglück und das Empfinden durchgängiger Liebe für dein Kind.
Stell dich darauf ein, dass jede Außer-Haus-Aktivität zu einem anstrengenden Großkampf wird. Ein Weihnachtsmarktbesuch mit der Familie, wie er klischeehaft in unseren Köpfen existiert, ist mit Schreien, Hinterherrennen, Herumtragen, Müdigkeit und Überreizung verbunden und danach wirst du frustriert sagen: Das war das erste und letzte Mal dieses Jahr.
Das Leben wird von nun an von den Bedürfnissen deiner Kinder bestimmt. Weil sie diese so krass einfordern, dass du sofort aufgibst. Wenn sie jahrelang nur mit Körperkontakt einschlafen können, dann vergiss vorerst deine Hobbys, lustige Abende mit Freunden und Zeit als Paar. Das Kind ist krank? Vergiss deine Pläne.
Stell dich auf das Schlimmste ein, auf körperliche und psychische Erschöpfung, auf 24/7-Funktionieren müssen, auf Einsamkeit, auf Selbstaufgabe und die größte Belastungsprobe deiner Beziehung.
Wenn du akzeptiert hast, dass dein eigenes Leben ab sofort pausiert, ist das Wichtigste, sich Gleichgesinnte zu suchen. Mütter oder Väter, die nicht vordergründig vom Elternsein schwärmen und mit der Geburt ihres Kindes endlich einen Sinn in ihrem Leben gefunden zu haben scheinen, sondern Eltern, die ehrlich sind. Die sich bei dir auskotzen, die mit dir leiden und die ihr altes Leben genauso vermissen wie du. Eine solch harte Phase gemeinsam durchzustehen, hilft, sich nicht allein zu fühlen und zu glauben, man selbst sei unfähig.
Besucht Babykurse oder nutzt Gelegenheiten jeglicher Art in der Hoffnung, eine einzige Person zu treffen, die wie ihr tickt. Ich habe eine solche Mutter gefunden und verabrede mich seitdem einmal pro Woche mit ihr und den Kindern. Dann erzählen wir uns gegenseitig, was scheiße läuft und fühlen uns hinterher besser, wenn es uns beiden ähnlich geht.
Ich habe eine WhatsApp-Gruppe mit zwei Freundinnen und wir schreiben uns regelmäßig, wen welche Kinderkrankheiten befallen haben, suchen Rat, wie KiTa-Schließzeiten überlebt werden können, regen uns gemeinsam über die Unmöglichkeit der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Care-Arbeit auf und teilen Erfahrungswerte, was in bestimmten Entwicklungsphasen wirklich hilft. Oder lassen die andere einfach nur wissen, dass der Wahnsinn ganz normal ist und wir das auch schon durchgemacht haben.
Es muss übrigens nicht immer die Freundin fürs Leben sein. Manchmal helfen solche Verbündete durch bestimmte Phasen des Mutterseins und es ist ok, wenn sich die Wege danach wieder trennen.
Seit ich Kinder habe, glaube ich an die therapeutische Wirkung von Musik. Wenn wirklich gar nichts mehr geht und ich kurz vorm Kapitulieren bin, hilft eine Autofahrt ohne Kind. Weil ich meine Musik dann so laut aufdrehen kann, dass jede Zelle meines Körpers vibriert. Schon nach kurzer Zeit gelingt es den Songs, meine Stimmung zu beeinflussen. Stück für Stück holen sie mich aus der Tiefe empor und mit jedem laut mitgesungenen Refrain kehren Energie und ein positives Gefühl zurück. "Komm fahr mit mir, im 4x4, Spargelfelder ziehn vorüber, wenn ich geh, komm ich nicht wieder" heißt es auf dem neuen Kraftklub-Album und ich fühle es so sehr. Doch dann ist die siebenminütige Rückfahrt vom Drogeriemarkt wieder vorbei und ich steuere das Auto auf den Parkplatz vor unserem Haus statt auf die Autobahn-Auffahrt. Eine Mini-Auszeit für meine Seele, die mich schon oft gerettet hat.
Zu Weihnachten wünschte ich mir hochwertige Kopfhörer, um mich ab und zu auszuklinken. Selbst das teuerste Modell dürfte günstiger sein als eine Burn-Out-Klinik.
Alles, wofür ich mich einst begeisterte, fiel mit der Geburt meines ersten Kindes weg: Kulturereignisse, kulinarische Entdeckungen, Gespräche mit Freunden, Reisen sowie mein kreativer Job, der mir viel Spaß machte.
Nachdem ich Tag für Tag isoliert mit meinem High-Need-Baby zu Hause gesessen hatte, kapierte ich irgendwann, dass mein einziger Freund das Internet war, das mir viele kleine Freuden nach Hause brachte. Für den einen mögen es coole Klamotten sein, für den anderen Deko-Accessoires, für mich wurde es das Essen. Ich bestellte, nein, ich gönnte mir alles, was mich in Posts, Werbeanzeigen oder in Zeitschriften ansprach. Von Hand gebackene Granola-Mischungen, Müsli-Toppings, healthy Riegel, gefriergetrocknete Früchte in allen Variationen, Spreads, Chutneys, fancy alkoholfreie Weine, vegane Pralinen, Nussmischungen oder Lebkuchen-Neuschöpfungen einer kleinen Manufaktur.
Wenn ihr es euch finanziell leisten könnt, dann gönnt euch, genießt und nehmt mit, was geht. Als Mutter sind die spaßigen Momente rar gesät. Wenn dann der Postbote eine Portion Glück, bestehend aus Zimt, Dattelsirup, Kokosnussmilch, Haselnüssen und Meersalz in Riegelform gepresst, bringt, habe ich das so was von verdient!
Für den einen mag es Tee sein, für den anderen ein frisch gepresster Saft, für mich ist es Kaffee. Und genau dieser hat mich durch die härtesten Zeiten gebracht. An vielen Tagen war eine simple Tasse Kaffee mein Halt, mein Trost, mein Tages-Highlight. Wenn um mich herum der Entwicklungsschub tobte, Müdigkeit die schlimmsten Charakterzüge meines Babys hervorbrachte, Kinderkrankheiten uns ans Haus fesselten und ich um elf Uhr bereits nicht mehr wusste, wie oft ich seit dem Aufstehen gestillt hatte, dann war der einzige Lichtblick der Gedanke, in die Küche zu gehen, die Kaffeedose zu öffnen, den Kaffeegeruch zu inhalieren, den Filter zu befüllen und den Start-Knopf zu betätigen. Das Gurgeln des Wasserbehälters löste ein kurzes Gefühl der Vorfreude aus. Bis es endlich so weit war, den ersten Schluck eines guten Kaffees mit Milch zu genießen und für Sekunden eine Mini-Auszeit zu verspüren.
Nach 56 schonungslosen Mutter-Kolumnen verabschiede ich mich mit diesem Text. Ich habe aus Selbstschutz bisher nicht einen Kommentar zu meinen Texten gelesen. Mir wurde jedoch berichtet, viele hätten geschrieben, ihnen würden meine Kinder leidtun. Das finde ich eine echte Frechheit. ICH sollte euch leidtun! Denn all die ungeahnten Qualen, die ich als Mutter erleide, existieren nur deshalb, weil ich eben alles – in meinen vorhandenen Möglichkeiten und häufig darüber hinaus – für diese Kinder tue. Gewünscht hätte ich mir mal Folgendes: "Sie machen das so gut Sie eben können, halten Sie durch, es wird besser, ich verspreche es."
Für mich war das Schreiben wie eine Therapie. Und durch meine Texte hat sich einiges bewegt. Meine Eltern waren damals so schockiert, dass sie das Kind ab sofort regelmäßig betreuen wollten, mein Mann und ich hatten erneut einige Diskussionen bezüglich gleichberechtigter Elternschaft und seit einiger Zeit haben wir endlich ein Au-Pair.
Da es scheinbar auch positiven Zuspruch zu meinen ehrlichen und realistischen Offenbarungen gab, hoffe ich, dass ich die eine oder andere verzweifelte Mutter (oder Vater) erwischt habe, die sich somit gesehen fühlt.
Ich beende diese Kolumne mit einem Aufruf an alle, denen es gerade fehlt, mehr als nur Mutter zu sein: Seid ehrlich, beschwert euch, kotzt euch aus wann immer ihr könnt, bleibt laut – und verbündet euch! So helft ihr nicht nur euch, sondern auch allen, die noch nicht ahnen, was auf sie zukommt.