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Warten auf das Virus: Mutter hat Angst vor der Corona-Infektion ihres Kindes

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Jeden Tag der gleiche innere Interessenskonflikt: Das Kind in die Kita geben oder nicht? (Symbolbild) Bild: iStockphoto / fizkes
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Mutter hat Angst vor Infektion ihres Kindes: "Sie sind noch Kinder, aber sie müssen schon Kämpfer sein"

01.02.2022, 11:5501.02.2022, 15:20
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Wenn ich beim Frühstück schon als Erstes höre, dass derzeit über 650 Kitas (wer mir das nicht glaubt, liest bitte den Tagesspiegel) wegen Corona-Fällen allein in Berlin geschlossen sind, vergeht mir der Appetit. Mein Kind morgens in der Kita abzugeben, schaffe ich nur noch mit großen Gewissensbissen.

Es fühlt sich an, als würde ich es freiwillig einer großen Gefahr aussetzen.

Immer wieder schießt mir der Gedanke durch den Kopf, ob ich meine Kleine nicht doch aus der Kita nehmen soll, zumindest bis das Gröbste vorbei ist, die Neuinfektionen wieder niedriger sind. Aber wann wird das sein? Und wie soll ich das im Home Office jeden Tag packen, Arbeit und wuseliges Kleinkind neben dran?

Der Frühling ist noch weit entfernt und Einschränkungen, um die Neuinfektionen zu drücken, gibt es von der Politik kaum. Kein Lockdown, keine Home Office-Pflicht, keine Impfpflicht. Bayern, das anfangs die strengsten Regeln hatte, verzichtet künftig sogar ganz auf 2G im Einzelhandel. Nirgends gibt es wirklich effiziente Regeln zur Eindämmung der Pandemie, außer natürlich für die Kitas selber.

Diese sollen in Berlin ab 24. Januar ihre Kernzeiten einschränken und auf Eltern als Betreuungspersonen zurückgreifen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Vielleicht sollte ich also einfach gleich umsatteln und als quereinsteigende Erzieherin in der Kita meines Kindes arbeiten? Dann hätte sich das Problem erledigt, wie ich mit so einer Regelung noch effizient arbeiten soll. Dann wären wir auch gleichzeitig in Quarantäne, denn geboosterte Eltern von Kindern in Quarantäne haben diese Pflicht als Kontaktpersonen künftig – absurderweise – nicht mehr und bekommen daher auch keine volle Lohnfortzahlung.

Aber Spaß beiseite, in der Realität gibt es ohne Großeltern in unserer Nähe einfach keine Möglichkeit, meine Tochter aus der Kita zu nehmen und zu Hause zu betreuen, ohne dabei meine Arbeit zu vernachlässigen. Ich kann mein Kind also nicht schützen, ohne mein Einkommen zu verlieren. Was so ungeheuerlich klingt, nehmen die Eltern von Kindern mit Vorerkrankungen übrigens schon seit dem Beginn der Pandemie auf sich, weil es keine ausreichenden Sicherheitskonzepte in Schulen und Kitas gibt.

"Die ständig aufploppenden, sich gegenseitig widersprechenden Studien und Expertenmeinungen zum Thema treiben mich noch in den Wahnsinn."

Dazu kommt, dass ich mein Kind eigentlich gar nicht aus der Kita nehmen WILL. Nicht nur, weil ich arbeiten muss, sondern weil sie ihre tägliche Kita-Routine sehr mag und sie ihr auch guttut in ihrer Entwicklung. Und überhaupt, das Virus trifft Kleinkinder doch nicht so schlimm. Oder doch?

Sollte ich mein unter 2-jähriges Kind Off-Label impfen lassen oder nicht? Wäre das eine vernünftige Risikoabwägung? Zwischen den möglichen Nebenwirkungen eines bisher für ihre Altersgruppe nicht zugelassenen Impfstoffes und den Risiken einer Erkrankung – oder total übertrieben? Ich weiß es einfach nicht mehr.

Die ständig aufploppenden, sich gegenseitig widersprechenden Studien und Expertenmeinungen zum Thema treiben mich noch in den Wahnsinn. Normalerweise höre ich auf die Impfempfehlungen der Stiko, die für Kinder unter fünf Jahren noch aussteht. Aber dann gibt es diese Studie hier aus Großbritannien und da eine aus Amerika, die dann doch sagen, dass eine Coronainfektion von Kindern alles andere als harmlos ist.

Aber ganz sicher ist man sich nicht. Und die einen Experten und Expertinnen sagen dies, die anderen das. Und was ist überhaupt mit Long Covid? Diese Folgen können Genesene selbst dann noch entwickeln, wenn sie einen milden Krankheitsverlauf hatten. Und ganz sicher ist man sich über die Long Covid-Folgen von Omikron ja auch nicht.

Die Wirtschaft ist wichtiger als unsere Kinder

Worin man sich offenbar aber ganz sicher ist: Dass eine Durchseuchung der Kinder vertretbar ist. Es gibt bisher wenig oder keine politischen Maßnahmen, um die Kinder und Jugendlichen vor Corona zu schützen, ohne sie zu Hause einzusperren und von ihren Freunden und Freundinnen zu isolieren – nach über zwei Jahren Pandemie. Es gibt immer noch keine Filteranlagen – ich glaube, unsere Kita hat keine einzige – oder genügend Schnelltests, um täglich zu testen.

Der Bundesregierung war und ist das Überleben der Wirtschaft gefühlt einfach wichtiger als die Gesundheit unserer Kinder.

Es ist ein Leben in permanentem Ausnahmezustand. In der Kita meiner Tochter mit über 100 Kindern war vergangene Woche nur noch ihre Gruppe da – der Rest wegen Coronafällen in Quarantäne. Sie jeden Morgen in die leere und unheimlich stille Kita zu bringen, ist wie ein Endzeitszenario, dem ich nichts entgegensetzen kann: Die Uhr tickt, es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es uns trifft. Und ich kann nichts tun, außer hoffen, dass es nicht allzu schlimm wird.

"Meine Tochter hat so viel in ihrem Leben schon verpasst und das, obwohl sie erst 20 Monate alt ist."

Am Wochenende ist sie zum ersten Mal in ihrem Leben zu einem Kindergeburtstag eingeladen. Aus Sicherheitsgründen mit nur drei Kindern. Ich atme jeden Tag auf, an dem keines der drei Kinder mit Corona infiziert ist. Ich fiebere diesem Tag so entgegen, wie ich Angst davor habe: vier Kinder plus Eltern in einer Wohnung, ist das nicht komplett unvernünftig?

Aber meine Tochter hat so viel in ihrem Leben schon verpasst und das, obwohl sie erst 20 Monate alt ist. Kein entspanntes Einkaufsbummeln, keine Krabbelgruppe, kein Kinderschwimmen oder -turnen. Keine Geburtstagsparty zum ersten Lebensjahr. Es würde mir das Herz brechen, wenn sie diesen Kindergeburtstag nun auch nicht erleben könnte.

Der Frust steigt nicht nur bei mir ins Unermessliche: Auch die Wut vieler Eltern und Erzieher und Erzieherinnen nimmt zu, aber auch die der Schüler und Schülerinnen. Sie nehmen die Sache also, wieder einmal, selber in die Hand. Sie sind noch Kinder, aber sie müssen schon Kämpfer sein.

Wie mag es sich als Kind oder Jugendlicher wohl anfühlen, wenn eines der ersten Dinge, die sie über die deutsche Gesellschaft lernen, ist, dass sie und ihr Leben keine Rolle spielen?

Unsere Kinder sitzen mit Jacken mitten im Winter, frierend, auf ihren Stühlen im Klassenzimmer oder lernen sogar freiwillig lieber draußen in der Kälte, wie die vorerkrankte 13-jährige Schülerin Yasmin im westfälischen Hagen, oder fordern zum Streik auf wie der 17-jährige Berliner Schülervertreter Anjo Genow. Sie sind nicht allein. Wir werden auch diesmal wieder, wie beim Klima, mit ihnen auf die Straße gehen. Und wir Eltern sind viele.

Was wäre, wenn alle Eltern in den Streik treten würden? Wie viele Familien gibt es in Deutschland? Laut Bundeszentrale für politische Bildung, waren es 2019 11,6 Millionen. Egal welches Familienmodell, ein Kind hat meist zwei Elternteile, das wären also knapp 23 Millionen Erwachsene. Dazu kommen laut Statista 13,75 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Grob gerechnet sind das also fast 37 Millionen Betroffene, deren Interessen die Politik ignoriert. Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung und ein Viertel der deutschen Wähler und Wählerinnen. Vielleicht kapiert die Politik das endlich mal. Vergangene Woche gab es eine Demonstration in Berlin von #Leisewirdsichtbar für alle, die ein Ende der Durchseuchung fordern. Ich war dabei. Und es wird nicht das letzte Mal sein.

Streik bei VW: Langjähriger Mitarbeiter deckt Abfindungen auf

Beim kriselnden Autobauer Volkswagen ist derzeit viel los. Mindestens drei Werke in Deutschland könnten geschlossen und Jobs abgebaut werden, die Rede ist von betriebsbedingten Kündigungen. Wer bleibt, muss mit Gehaltseinbußen rechnen. Konzernchef Oliver Blume bezeichnete das bei einer Betriebsratsversammlung als "dringende Maßnahmen, um die Zukunft von Volkswagen zu sichern".

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