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Zum Pride Month: Kann man Kleinkindern Queerness durch Bücher erklären?

Adoralbe little toddler girl with rainbow painted with colorful window color during pandemic coronavirus quarantine. Child painting rainbows around the world with the words Let's all be well
Regenbogen sind schön, würde meine Tochter sagen. Solange ihre Lieblingsfarbe Pink dabei ist. Bild: iStockphoto / romrodinka
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Zum Pride Month: Wie ich dabei versagte, meinen Kindern Queerness zu erklären

14.06.2023, 16:20
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Es gibt diesen Spruch, der besagt: Ich wusste genau, wie man Kinder richtig erzieht – bis ich welche hatte. Da ist etwas dran. Auch ich musste feststellen: Je höher die Hochmut VOR den Kindern, desto tiefer der Fall danach.

So hatte ich eine recht klare Vorstellung davon, wie ich meinen Zwillingen – ein Junge und ein Mädchen – von Anfang an beibringen würde, dass Geschlechternormen sie nicht bremsen müssen und dass es ihnen frei stünde, in wen sie sich später verliebten.

"Bin stärker", erklärte er
seiner dummen Mama,
"bin ja ein Junge."

Ich stellte mir das recht einfach vor: Genderneutrale Kleidung ließe sich zwischen den Gleichaltrigen hin und her switchen, queere Lebensformen sollten ganz selbstverständlich mit erwähnt werden, wenn es um Liebe und Identität ginge.

So hatte ich es in Blog-Einträgen und Debatten zwischen Aktivist:innen, Expert:innen und Pädagog:innen gelernt. Schließlich sind die sich einig, dass es wichtig sei, Kindern "vielfältig gelebte Familienformen sowie unterschiedliche Identitätsentwürfe" nahezubringen (Uni Hildesheim). Aufklärung heißt also das Zauberwort.

Womit ich aber nicht gerechnet hatte, war, dass meine Kinder etwa ab zwei Jahren auf klare Rollenverteilungen bestanden. Doller noch, ihr biologisches Geschlecht und die damit verbundene Erwartungen waren ihnen – vielleicht auch aufgrund ihrer Zwillingsposition – das allerwichtigste Erkennungsmerkmal überhaupt. Identitätsstiftend eben.

"Will zum Ballett!", beschloss meine Tochter, als sie im Krippenalter war. Mein Sohn half mit Freude, die schweren Tüten zu tragen und nahm sie seiner Schwester aus der Hand, die das gerne zuließ. "Bin stärker", erklärte er seiner dummen Mama, "bin ja ein Junge." Das Thema zog sich tausendfach durch unseren Alltag.

Cute little boy share ice cream with his sister
In einem waren sich die Twins einig: Wie wichtig stereotype Genderrollen sind. (Symbolbild) Bild: iStockphoto / CokaPoka

Ich winkte mit grünen T-Shirts, doch meine Kinder wünschten sich vom Osterhasen Pyjama mit Feuerwehr-Motiv (Sohn) und Einhörnern (Tochter). Ich animierte meinen Sohn zum Tanzen und meine Tochter zum Ritterspielen und wurde dafür mit Augenrollen bestraft. Kurzum: Meine Kinder spuckten auf die Theorie von fluiden Genderrollen.

Die Zwei waren dabei genauso stur wie ihre Altersgenossen in der Kita. Sie suchten nicht nach Diversität, sondern der "Norm". Eine Erzieherin erklärte mir, dass es sich hier um einen normalen Entwicklungsprozess handelt. Schließlich muss erst die ganze Welt erlernt werden und kleine Kinder sind froh, wenn sie ein Muster entschlüsselt haben.

"Ich erkannte, dass meine Kinder queere Lebenswelten ungefähr so real fanden wie feuerspeiende Drachen, die in den Bergen wohnen."

Zum Beispiel: Rote Ampel heißt "stehen bleiben". Auch wenn die Straße leer ist und die Ampel offensichtlich kaputt. Kleinkinder sind diesbezüglich schlimmer als jedes Ordnungsamt. Aber eben auch: Familie bedeutet, ein Papa und eine Mama (Vornamen verdienen wir nicht) heiraten und bekommen dann Kinder.

Kein noch so engagiertes Regenbogen-Lied konnte sie vom Gegenteil überzeugen. Meine Einwände, dass "nicht alle Menschen heiraten" und "nicht alle Menschen Kinder bekommen" verpufften genauso wie die Wirkung des Buchs über homosexuelle Eltern, das bei der Kinderärztin auslag.

"Eigentlich machen nur Mamas und Papas Babys", belehrte mich meine Tochter dazu ziemlich trocken, "Zwei Vaginas können kein Baby machen." Wurde ein Junge in rosa Kleid abgebildet, legte mein Sohn los: "Der hat Mädchenklamotten an. Jungs tragen aber Hosen. Das ist nur, weil das ein Buch ist."

"Genderneutrale Spielzeugläden und Themenabende in der Kita – das alles erinnerte mich bald an die 'stets bemüht'-Floskel in Zeugnissen."

Ich erkannte, dass meine Kinder queere Lebenswelten ungefähr so real fanden wie feuerspeiende Drachen, die in den Bergen wohnen. Könnte schon sein, dass es das gibt – aber gesehen hat man das noch nicht!

Der theoretische Ansatz war ein einziger, peinlicher Krampf, der nirgendwohin führte. Genderneutrale Spielzeugläden und Themenabende in der Kita – das alles erinnerte mich bald an die "stets bemüht"-Floskel in Zeugnissen. Zu kompliziert, zu verkopft, zu bevormundend. Kann man Kindern vorwerfen, sich zu konform zu entfalten? Oder ihren Eltern? Schluss damit.

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Ich ließ das Thema also ruhen, gönnte den beiden ihre Schwerter, Meerjungfrauen und Ansichten aus der Steinzeit und ließ die kritischen Sprüche meiner woken (und noch kinderlosen) Freund:innen über mich ergehen. Bis mir an einem Sonntagabend ein schweres Sportgerät auf den Fuß knallte und mein Partner mich ins Krankenhaus fahren musste.

Unsere inzwischen Vierjährigen schoben wir unseren Lieblingsnachbarn zum Not-Babysitting durch die Tür, die uns auch gleich zum späteren Abendessen einluden. Matthias und Andi sind verheiratet und bei meinen Zweien überaus beliebt.

Und dort, an diesem Esstisch, hielt meine Tochter plötzlich zwischen zwei Bissen inne: "Andi? Warum hast du Matthias geheiratet, obwohl er ein Mann ist?" "Weil wir verliebt sind", sagte Andi. Denkpause. "Manchmal verliebt sich auch ein Mann in einen Mann und eine Frau in eine Frau", resümierte mein Kind. Ich hörte förmlich, wie es "Klick" machte.

"Wir können uns den Mund fusselig reden über Diversität, aber wenn Kinder vor die Tür treten und nichts davon in der Welt sehen, ergibt das für sie überhaupt keinen Sinn."

Und dann mit strengem Blick auf seine nackte Hand: "Aber wenn ihr verheiratet seit, dann musst du auch einen Ring tragen! Matthias trägt seinen!" "Den habe ich beim Kochen abgenommen. Soll ich den wieder anziehen?" "Musst du!", forderte meine Tochter entrüstet. "Sonst seid ihr gar kein Ehepaar." Da war es wieder, das Ordnungsamt.

Meine Kinder brauchten keine Bücher. Sie brauchten das lebende Beispiel. So simpel war das.

Wir können uns den Mund fusselig reden über Diversität, gleichgeschlechtliche Liebe und Gendernormen, aber wenn Kinder vor die Tür treten und nichts davon in der Welt sehen, ergibt das für sie überhaupt keinen Sinn.

Der Pride Month ist deshalb nicht nur für die Community wichtig, sondern für die gesamte Gesellschaft. Je häufiger queeres Leben sich zeigt, umso selbstverständlicher wird es. Von dieser Selbstverständlichkeit können zukünftige Generationen profitieren. Das ist "Nahebringen" im wörtlichsten aller Sinne.

Das ganze Thema wäre vermutlich in ein, zwei Sätzen erledigt gewesen, hätten wir öfter mal eine Dragqueen im Supermarkt getroffen, lesbische Mütter auf dem Spielplatz oder eine Transfrau als Kinderärztin gehabt. Diversität muss stinknormaler Alltag sein und nicht ein hitziger Debattenpunkt in frühkindlicher Pädagogik.

Das bedeutet auch, dass es queeren Menschen möglich sein muss, sich überall und ohne Angst zu entfalten. Gerade deshalb gehen diesen Monat ja wieder zahlreiche Leute auf die Straße und das ist richtig so.

"Weil sie sich lieben." Queerness zu erklären ist nicht so simpel wie gedacht.
"Weil sie sich lieben." Queerness zu erklären ist nicht so simpel wie gedacht. Bild: The Image Bank RF / Jupiterimages

Die Erkenntnis, dass es zahlreiche Lebens- und Liebesarten gibt, war meinen Kindern jedenfalls erst bei Andi und Matthias eingesickert. "Ich heirate später Hugo", verkündete mein Sohn später begeistert im Bett, "denn dann können wir immer Piraten spielen." "Soso", sagte ich.

"Ich liebe meinen Bruder", ergänzte meine Tochter, schon schlaftrunken. "Wenn ich erwachsen bin, dann kriegen wir ganz viele Babys. Gute Nacht, Mama." – Ich glaube, das nächste Aufklärungsthema steht schon vor der Tür. Vielleicht muss ich uns doch noch ein neues Buch kaufen ...

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