Es ist eine Frage, die uns alle umtreibt. Also nicht die, warum Mieten ständig steigen; nicht die, warum die Wohnungssuche vielerorts lächerlich nervenschindend ist; auch nicht die, warum Lebensmittel unser Einkommen Monat für Monat stärker aufzehren, uns so kaum noch was für Spaß übrig bleibt. Nein, die Rede ist von der Frage, warum zum Teufel wir eigentlich noch kein Haus besitzen.
Jetzt ließe sich als Antwort leicht auf die drei anderen Fragen verweisen. Das wird aber der Komplexität des Themas nicht gerecht, wie Youtuberin Alicia Joe in einem neuen Video behauptet. Sie findet eine ganz eigene Antwort, versucht sie sogar geldpolitisch herzuleiten. Wow! Blöd nur, dass sie argumentativ auf einem völlig anderen Planeten unterwegs ist.
Fangen wir bei der leidigen Leitzinsthematik an. Ein gestiegener Leitzins macht Kredite teurer, wie Alicia Joe hier noch richtig erklärt. Die Bereitschaft, mit einer Bank einen Kreditvertrag abzuschließen, jahrzehntelang einen Schuldenberg abzutragen, wird bei einem steigenden Leitzins insofern gedrosselt. Dass die EZB diesen jetzt auf 2,75 Prozent senkt, dürfte also die Rädchen im Kopf neu ausrichten. Leider ist Alicias Argumentation schlicht daneben.
Zinsen werden auch über die Kreditwürdigkeit, sprich das Ausfallrisiko, festgelegt. Wer ein gutes, gesichertes Einkommen hat, wird mit einem niedrigeren Zins belohnt als eine Person in einem prekären Arbeitsverhältnis.
Doch Banken geben das Geld laut Alicia ohnehin nicht irgendwelchen "Hallodris". Mal abgesehen davon, dass "Hallodris" als Bezeichnung für Menschen mit wenig Einkommen so einige charakterliche Defizite offenlegt, können Banken natürlich Kredite an diese vergeben. Wegen eines hohen Ausfallrisikos dann aber auch zu schlechten Bedingungen. Außerdem müssen die Banken die Konsequenzen (Zahlungsausfall) tragen, wie die Finanzkrise 2008 schon zeigte.
Darüber hinaus werden über die Zinsen operative Kosten, etwa Gehälter der Angestellten, und eben auch Profite der Banken finanziert. Läuft es für die Bank schlecht, dann auch für die Kreditnehmer:innen.
Ja, der Leitzins kann Kreditkosten steigern, viele andere Faktoren aber auch. Insofern ist die Hausfinanzierung in vielen Fällen deutlich teurer als noch vor 50 Jahren, als Oma und Opa sich noch ein Eigenheim gekauft haben. Gerade mit Blick auf die Lohn- und die Hauspreis-Entwicklung der vergangenen Jahre, kurz: schaffe, schaffe Vollverschuldung.
Alicia selbst hebt natürlich hervor, dass nicht allein der Leitzins Grund für unsere Hauslosigkeit ist. Es ist unser Konsumverhalten. Ein klassisches Beispiel fürs Selbstschuld-Narrativ liberaler Blitzbirnen. Ständige Verfügbarkeit treibt uns zu mehr Einkäufen, auch bei Lebensmitteln.
Alicia wählt dazu Milch aus dem Tetrapak als Beispiel. Früher wurde weniger Milch getrunken, weil weniger verfügbar war, heute eben mehr. Auf dem Planeten Alicia ist die Milch ein Gradmesser für einen gehobeneren Lebensstandard. Dass weniger Wohnraum heute deutlich mehr kostet als früher, ist ein Fakt, der eben auf diesem Planeten nicht ergründet wurde. Ja, der Lebensstandard ist gestiegen. Kann bei zunehmendem Wirtschaftswachstum durchaus vorkommen. Jedoch gilt das längst nicht für alle Bereiche.
Übrigens: Wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratscher 2023 erklärte, haben 40 Prozent der Deutschen kein Vermögen, darüber hinaus ist ein Fünftel von ihnen von Armut bedroht. Ein Euphemismus für eigentlich arm. Denn die Schwelle zwischen "Arm" und von "Armut bedroht" liegt bei 1250 Euro Netto im Monat. Wie viel eine Person mit dem Einkommen vom "gehobenen Lebensstandard" hat, bleibt ein Rätsel.
Fairerweise sei darauf hingewiesen, dass Alicia zumindest in wenigen Sekunden erläutert, wie stark die Hauspreise explodiert sind. In den vergangenen Jahrzehnten sind sie im Schnitt um 150 Prozent gestiegen. Mit der Info macht sie aber nichts. Stattdessen geht sie von gestiegenen Anforderungen aus. Der Wunsch nach mehr Platz treibe die Kosten.
Letztlich faselt Alicia in ihrem Clip eine Menge Stuss, weiß nicht so recht, wie das Kreditsystem funktioniert, versucht sogar zu erklären, dass der ausbleibende Häuserkauf auch mit einem rückläufigen Heiratswillen zusammenhängt. Ihre Argumentationslinie folgt den Spuren liberal-konservativer Wegbereiter für Vollverblödung. Aber am Ende handelt es sich bei ihrem Video ohnehin um Werbung für das N26-Premiumkonto Metal.
Kurzer Werbeblock: N26 Metal kostet 16,90 Euro im Monat.
Den Teil hatte Alicia in ihrer Werbeunterbrechung vergessen. Dachte, ich reiche das mal nach.