Längst löst die Gamescom bei den meisten Spieler:innen keine Schnappatmung mehr aus. Eher schwerfälliges Seufzen. Die weltweit größte Videospielmesse, das Nonplusultra der Pixel-Unterhaltung, hat in den vergangenen Jahren deutlich an Schwungmasse verloren.
Das war mal anders. Jedes Jahr neue Besucherrekorde, Aussteller:innen boten auf hübsch dekorierten Präsentationsflächen exklusive Einblicke in kommende Blockbuster, Controller rotierten in Dauerschleife – für Videospiel-Aficionados war die Gamescom Pflicht. Ein Termin, den sie doppelt unterstrichen in ihren Kalendern festhielten. Heute ist der Eintrag eher Marke "Müll rausbringen".
Während der Corona-Pandemie musste das Event digital stattfinden. Und seit des Neustarts in Präsenz 2022 läuft es nur noch schleppend. Markige Werbeansagen sollen dem Motor in diesem Jahr den nötigen Sprit geben: 1400 Aussteller:innen und 230.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Doch Fläche allein verkauft keine Tickets. Der Bedeutungsverlust wird trotzdem weitergehen. Und die Gründe dafür sind vielfältig.
Es gab mal eine Zeit, da boten Aussteller:innen auf der Gamescom noch Enthüllungen für Spiele, hatten exklusive Demos im Gepäck. Besucher:innen kamen ohne Vorahnung, gingen anschließend mit dem wohligen Gefühl des Bescheidwissens. Nintendo, Microsoft, Ubisoft, THQ, Sony und wie sie alle heißen, zeigten, was die Videospielzukunft bereithält.
Heute hat die Gamescom Probleme, weiterhin große Namen zu kriegen. Sind dann welche dabei, verzichten sie auf exklusive Überraschungen. Klar, in diesem Jahr ist zum Beispiel Microsoft vor Ort, mit einer Vielzahl an Spielen im Gepäck. Doch die Brocken, zum Beispiel "Indiana Jones und der große Kreis", gibt es nur als Präsentation.
Ähnlich ist es bei Ubisoft, das Besucher:innen zwar "Star Wars: Outlaws" anspielen lässt, doch das bereits kontrovers diskutierte "Assassins Creed Shadows" wird ebenfalls nur gezeigt. Ein Trailer auf einer Großleinwand rechtfertigt nur kaum einen Besuch. Vor allem, wenn dieser ohnehin auf Youtube verfügbar ist.
Die Anspielstationen sind zwar nett, eigentlich auch Herzstück der Messe, doch zu dem Material gibt's meist im Vorfeld ausreichend Videos im Netz. Besucher:innen können also einfach nachspielen, was sie von ihrem Handy-Bildschirm kennen. Pre-Downloads für einen kleinen Obolus simulieren zudem Exklusivität. Es ist tragisch: Die Gamescom führt seit Jahren den unauflösbaren Kampf, ein digitales Medium analog zu präsentieren.
Vielleicht ist das Line-up in diesem Jahr nicht so ausgehungert wie im vergangenen (trotz Hunderter Aussteller), inhaltlich dünn bleibt es weiterhin, auch wenn ein paar Ausnahmen wenigstens etwas Fleisch ansetzen, etwa Capcom mit "Monster Hunter Wilds".
Schuld daran sind aber nicht die Veranstalter:innen allein. Viele namhafte Unternehmen kehren der Gamescom den Rücken, weil Online-Präsentationen schlicht günstiger sind. In diesem Jahr sind Nintendo, Sony und CD Project abgesprungen. Vereinzelt gab es von den Studios Enthüllungen via Livestream, für lau.
EA ist dafür zwar zurückgekommen, aber nur, um den nächsten Fifa-Klonkrieger zu vermarkten. Dabei helfen sollen sprachlich maximal aufgeplusterte Detailverbesserungen, die ohnehin niemand bemerkt: "Endlich sorgt Fifa IQ für neue Taktikmöglichkeiten", na Gott sei Dank.
Fremdverschulden nimmt der Gamescom die Strahlkraft, Selbstverschulden tut sein Übriges. Statt deutlich stärker auf kleinere Studios zuzugehen, sich andere Konzepte zu überlegen, will die Messe mal wieder mit Streamer:innen wie Trymacs und Papaplatte locken.
Zwar ist das Risiko negativer Publicity hoch, man denke an 2022, als "Montanablack" breitbeinig übers Messegelände gockelte, es sogar Prügeleien gab – doch Fans zieht das an. Andere stößt das aber auch ab. Auf "Tripadvisor" gibt es mehr als genug Kritik gegen den Streamer:innen-Fokus.
Bisher scheitert die Gamescom daran, an alte Erfolge anzuknüpfen, sich darüber hinaus neu zu erfinden. Selbst neue Ideen sind mitunter sogar unfreiwillig komisch. So werben die Veranstalter:innen mit einer Brettspiel-Area, ein Rückwärtspurzelbaum ins Analoge scheint wie eine Kapitulation vor dem Digitalen.
Dabei gibt es in Deutschland mehr als genug Konsolen- und Computer-Spieler:innen. 2023 gab es mit 13,5 Millionen PC-Zocker:innen erstmals seit 2019 im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs. 600.000 Menschen mehr konnte der Sektor für sich gewinnen. An den Konsolen sitzen über 18 Millionen. Interessent:innen gibt es mehr als genug.
Und Veranstaltungen wie die Gamescom hat die Videospielkultur dringend nötig. Über Jahre hinweg verlor das Zocken als Vor-Ort-Gemeinschaftsbeschäftigung an Bedeutung. Spielhallen (Gaming, nicht Casinos) verschwanden, LAN-Partys in Internetcafés sind tot, selbst Partyspiele bieten häufig nur noch Online-Multiplayer. Jeder in seinem Kämmerlein.
Marktwirtschaftlich mag es eine logische Konsequenz sein, dass jeder Einzelne sich ein Spiel kauft und für sich allein zockt. Gemeinschaft und Gewinnstreben beißen sich eben. Nahezu alle Bereiche, allen voran Kultur, leiden aber darunter.
Es ist schade, wenn der direkte Austausch, das sich "Treffen und Zocken" immer kürzer kommt. Online findet das zwar auch statt, ist aber dermaßen toxisch aufgeladen, dass es für die stets verstrahlten Hasstiraden eine Endlagerlösung bräuchte – weit weg von der Menschheit und ihren Headsets.
Es gibt eine Lücke und die Gamescom könnte sie schließen. Denn ja, nach wie vor liegt die Zukunft der Videospiele in Konsolen und Computern. Große Grafikinnovationen, spannende Gamedesign-Ideen finden noch immer fast ausschließlich dort statt.
Eine Veranstaltung, bei der Gleichgesinnte diese ausgiebig feiern, sich austauschen, schlicht das Kulturgut gemeinsam genießen können, braucht es entsprechend dringend. Denn manchmal kann einem digitalen Gut etwas Analoges nicht schaden.
Doch um zu überzeugen, muss sich die Gamescom nicht nur wieder mehr große Namen sichern, sondern diese auch dazu bringen, ihre Titel dort das erste Mal zu zeigen. Schwierige Angelegenheit.