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Zwischen Corona und Ukraine-Krieg: Alltag einer Mutter zwischen den Krisen

Young mother, holding her little sick boy, lying together on the couch
Dem Kind ein sorgenloses Leben zu vermitteln, während draußen Krieg tobt, ist nicht immer einfach. (Symbolbild). Bild: iStockphoto / tatyana_tomsickova
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Zwischen Corona und Ukraine-Krieg: Alltag einer Mutter zwischen den Krisen

29.03.2022, 16:4530.03.2022, 11:28
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Noch nie war es so schwer, ein "normales" Leben zu führen. Wie auch immer man normal für sich definieren mag. Normalität ist für Familien sowieso eher ein abstraktes Wort, das jeden Tag neu verhandelt wird. Weil die mühsam aufgebaute und akribisch durchdachte Routine jede Woche, manchmal jeden Tag, umgeworfen werden muss.

Sei es, weil ein Arbeitstermin länger dauert und das Kind trotzdem von irgendjemand von der Kita geholt werden muss. Sei es, weil ein neuer Entwicklungssprung plötzlich nur noch zwei Stunden Schlaf erlaubt oder das Kind irgendwo runterfällt und mit Platzwunde ins Krankenhaus muss. In den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich diese Situation, die schon per se teils Züge von Wahnsinn trägt, ins Absurde gesteigert.

"Es ist 2022 und wie sieht die neue Normalität aus? Jetzt gibt es Krieg mitten in Europa, nur ein paar Stunden von Berlin entfernt."

2020 krachte Corona mit voller Wucht ins Familienleben und mit der Pandemie kam ein nicht enden wollender Strudel aus Verordnungen und Verboten, Homeoffice mit Kind und Betreuungsnotstand. Denn zusätzlich zu Corona kamen auch andere Viren, ohne anzuklopfen durch die Hals-Nasen-Pforte, feierten ein wildes Fest in unseren geschwächten Immunsystemen oder erlebten, wie das grippeähnliche RS-Virus oder das post-virale Entzündungssyndrom PIMS, eine neue Renaissance.

Es ist das Jahr 2022 und wie sieht die neue Normalität aus? Jetzt gibt es Krieg mitten in Europa, nur ein paar Stunden von Berlin entfernt. Ein friedliches Land, die Ukraine, wurde angegriffen von einem russischen Diktator, den manche in seiner Verblendung und seinem Größenwahn sogar mit Adolf Hitler vergleichen. Nicht gerade beruhigend.

Ein Kriegsführer, von dem keiner sicher weiß, aber doch jeder hofft, er wäre noch vernünftig genug, die Sinnlosigkeit eines Atomkriegs zu sehen. Dann aber öffne ich morgens die Augen und lese, dass ein Atomkraftwerk brennt. Ein kurzes Erstarren, das Gehirn im Leerlauf. Aber es muss weitergehen.

Ich mache die Augen kurz zu und danach den Kindern Frühstück. Ich bringe sie in die Kita, bekomme einen Abschiedskuss und bin glücklich. Dann schließe ich die Tür zur Kita, ziehe meine FFP2-Maske aus und habe ein schlechtes Gewissen, wegen der hohen Corona-Zahlen dort. Ich mache die Augen zu, atme aus und gehe an die Arbeit.

Ich hole die Kinder von der Kita ab, gehe auf den Spielplatz, sehe sie aufs Gerüst klettern und denke, mein Herz birst vor Liebe und Stolz. Glücklicher als jetzt geht nicht.

Ich blicke aufs Handy und sehe sterbende Kinder, weil Putin ukrainische Kinder- und Geburtskliniken bombardiert.

Ich kneife die Augen zusammen, atme ein, atme aus und gehe dem Kind die Rutsche hochhelfen und über seine süßen Wortschöpfungen lachen. Im Kopf rede ich mir gut zu: "Alles wird gut, alles wird gut."

"In dieser Normalität ist der Dämmerzustand die bessere Option."

Abends liege ich nach der Arbeit und dem Spielplatz total erledigt im Bett und schlafe beim Gute-Nacht-Geschichtenerzählen selbst ein. Eingekuschelt mit dem Kind im warmen Bett: das perfekte Paradies.

Sorgen oder Nöte existieren hier nicht.

Beim Aufwachen blicke ich aufs Handy, checke die Uhrzeit und sehe zwei neue rote Warnmeldungen in der Corona-App, die vom Weg ins Büro stammen. Das Kind ist noch zu klein für eine Impfung.

Ich schließe die Augen, atme ein, atme aus. Und lasse die Augen dann einfach zu.

In dieser Normalität ist der Dämmerzustand die bessere Option.

Die einzige Rettung, um mein Leben und das meiner Kinder derzeit zu stemmen, ist Verdrängung. Aktive und mühsame und ignorante Verdrängung. Denn eigentlich interessiert mich dieser Krieg in der Ukraine genauso brennend, wie er mich schockiert. Schließlich will ich auf dem Laufenden bleiben, was in Europa passiert. Beim Blick in die News-App aber realisiere ich wieder einmal, wie schlimm, wie nah und wie gefährlich die Lage wirklich ist. Die Angst ums eigene Kind und seine Zukunft blubbert im Bauch wie der letzte Magen-Darm-Virus, den der Nachwuchs aus der Kita angeschleppt hat.

Ich tippe wieder einmal eine Spende an die Menschen in der Ukraine ins Handy. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie diese furchtbare Situation aushalten – egal ob als Geflüchtete oder mitten im Krieg.

Dann schalte ich das Handy aus.

Weil ich nicht die Kraft habe, mich aktiv mit diesem Krieg auseinanderzusetzen, seine volle Dimension zu erfassen und in dieser Realität zu leben. Weil die Angst sonst zu überwältigend und groß und verwirrend ist, um mein Leben zu leben.

"Also mache ich einfach weiter – jeden Tag aufs Neue: Stehe auf, tröste, lache, habe Angst, arbeite, gehe ins Bett und hoffe, irgendwann einzuschlafen."

Also mache ich einfach weiter – jeden Tag aufs Neue: Stehe auf, tröste, lache, habe Angst, arbeite, gehe ins Bett und hoffe, irgendwann einzuschlafen. Im Hinterkopf summt das kleine Mantra: "Einfach nur bis in den Sommer schaffen." Mit lustiger Melodie in Dauerschleife.

Irgendwie muss es weitergehen, denn die Kinder sind ja auch noch da.
Irgendwie muss es weitergehen, denn die Kinder sind ja auch noch da.Bild: dpa-tmn / Christin Klose

Ist das schon Wahnsinn oder noch Selbstfürsorge?

Wie schön wird der Sommer 2022, wenn Corona zu einem fernen Schatten verblasst, statt als Liveticker auf der ersten Seite zu prangen. Im Sommer, wenn dieser furchtbare Krieg endlich vorbei sein wird. Vorbei sein muss. Für irgendeine Illusion muss man schließlich leben, ohne Hoffnung stirbt der Mensch.

Im Sommer wird das Leben ein Besseres sein, weil es das immer ist. Ist doch klar, oder? Ist doch immer so. Und die Normalität eine, die vielleicht manchmal schwer ist, die man aber bewältigen kann.

Bis es so weit ist, singt mich die Stimme in meinem Kopf in den Schlaf.

Endlich.

WHO schlägt wegen Ausbreitung von Vogelgrippe-Virus Alarm

Die Begriffe Vogelgrippe und Geflügelpest sind in Deutschland schon lange nicht mehr neu. Über Wildvögel aus dem südostasiatischen Raum gelangte das Virus laut Friedrich-Loeffler-Institut bereits 2004 auf den europäischen Kontinent, meist im Winter wurden Ausbreitungen regelmäßig etwa aus deutschen Zoos oder Geflügelfarmen gemeldet.

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