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"Mom at Work": Mutter mit Vollzeit-Job erzählt, wofür sie Corona dankbar ist

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Das Homeoffice ist oft entspannter für Eltern.Bild: Shutterstock / Comicstocks
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Vollzeitarbeit mit Kind: Wofür ich der Corona-Pandemie dankbar bin

Ehrlich, direkt und subjektiv: Unsere Redakteurin Julia schreibt in ihrer neuen Kolumne "Mom at Work" einmal pro Monat über die Freuden und Leiden einer in Vollzeit arbeitenden Mutter.
09.01.2023, 08:4116.01.2023, 11:15
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Corona hat mein Leben besser gemacht. Ganz ehrlich. Es kostet Überwindung, mir das einzugestehen, denn ich hasse Corona für all das Leid, das es mit sich gebracht hat. Gelitten haben fast alle Menschen in irgendeiner Form unter der Pandemie, besonders aber auch Familien, die zwei Jahre lang fast durchgehend einer unfassbaren Doppelbelastung ausgesetzt waren.

Es gab viele Mütter, die ihren Job kündigen mussten, weil die Kitas und Schulen geschlossen waren oder die Betreuungspersonen krank. Und Mütter, die weiterarbeiteten und parallel zu Hause versuchten, sich um ihre Kinder zu kümmern – Hausaufgaben machen, kochen, putzen und sich dabei vierteilen – und die oft dabei ausbrannten.

Herrlich böse und treffend beschrieben übrigens auch in Mareike Fallwickls Buch "Die Wut, die bleibt", das damit beginnt, dass eine überforderte Mutter vom Balkon springt. Ich würde wagen zu behaupten: Diesen Gedanken hatte nicht wenige Eltern während der Pandemie.

Hilfe bei Depressionen: Solltest du selbst von Suizidgedanken betroffen sein, suche bitte sofort Hilfe. Zum Beispiel bei der Telefonseelsorge, die 24 Stunden am Tag kostenfrei erreichbar ist: 0800 1110111.

Ja, seit Corona bin ich desillusioniert. Früher war ich immer stolz, in einem sozialen Land zu leben. Doch dann wurde ich Mutter und erlebte, in welchem Land ich wirklich lebe. Deutschland brüstet sich international mit seinem Sozialsystem und einer "sozialen" Marktwirtschaft. Nun ja. ​

In Wirklichkeit ist Deutschland ein reiches Land, das zulässt, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt. Laut Kinderarmutsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts beläuft sich diese Zahl auf ganze 2,55 Millionen Kinder. Es ist ein Land, das zu wenig und zu schlechte Betreuungseinrichtungen hat und das es Müttern oft fast unmöglich macht, Vollzeit zu arbeiten.

Ein Land, das Mütter und Väter in der Erwerbsarbeit nicht ausreichend schützt, obwohl sie im Job oft diskriminiert werden. Elternschaft ist bisher nicht als Diskriminierungsmerkmal im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgelistet, obwohl gerade Mütter oft nach der Elternzeit nicht in ihre alte Position zurückkehren können, nicht befördert oder eingestellt oder gar aus dem Job gedrängt werden.

41 Prozent der Eltern geben in einer Befragung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes an, am Arbeitsplatz aufgrund der Elternschaft oder Kinderbetreuung Diskriminierung erlebt zu haben. Wer wundert sich da, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig ist? Deutschland ist kein Land, in dem man Kinder bekommen möchte.

Homeoffice erleichtert viele Dinge

Klingt das zu hart? Es kann sein. Ich bin frustriert, weil während der Corona-Pandemie sichtbar wurde, was für einen geringen Stellenwert Familien und Kinder für die Politik haben. Als Eltern haben wir die Verantwortung, neben dem Geldverdienen mit einer Erwerbsarbeit auch noch eine zukünftige Generation zu erziehen. Am besten eine, die umweltbewusst lebt, sozial ist und nicht in Frust über Chancenungleichheit und schlechte Zukunftschancen groß wird.

Aber trotzdem, so viele Wunden die Corona-Pandemie auch aufgerissen hat, so viele Missstände aufgedeckt wurden: Wäre Corona nicht über uns hereingebrochen, könnte ich heute keine Vollzeitstelle stemmen. Deshalb bin ich auf eine absurde Art auch etwas dankbar für Corona: Die Pandemie hat in Deutschland die Arbeitswelt verändert. Das Virus hat etwas mit sich gebracht, das wie ein Geschenk für mich als arbeitende Mutter ist: das Homeoffice.

Das Arbeiten zu Hause ermöglicht es mir, mich um mein Kind zu kümmern und trotzdem 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Denn es erspart mir jeden Tag einen Arbeitsweg von 45 Minuten hin und dann noch mal zurück. Mit diesem relativ langen Fahrtweg würde ich es trotz voll ausgeschöpfter Betreuungszeit in der Kita nicht schaffen, mein Kind dort hinzubringen und abzuholen.

Derzeit funktioniert das alles nur, indem mein Partner und ich uns mit dem Hinbringen und Abholen aufteilen. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ein Vollzeitjob für Alleinerziehende ohne Unterstützung funktionieren soll. Ich schätze: gar nicht.

Wenn ich zur Arbeit fahre und vorher mein Kind abgebe, komme ich meist schweißgebadet, müde und fertig mit den Nerven im Büro an. Denn egal wie früh man aufsteht, mit einem kleinen Kind kommt man nie pünktlich aus dem Haus. Ich rolle jeden Morgen den sprichwörtlichen Fels auf einen Hügel. Sorry für den abgedroschenen Vergleich, aber der gute alte Sisyphos beschreibt dieses Lebensgefühl vergeblicher Mühe doch immer noch am besten.

Morgendliche Wahnsinn: Klapse oder Zirkus

Der morgendliche Wahnsinn hat es in sich: Wenn es eine Kamera in unserem Haus gäbe, würden wir entweder direkt in die Klapse eingewiesen oder für den Zirkus rekrutiert.

Meist jage ich mit irgendeinem Kleidungsstück in der Hand und der Zahnbürste im Mund hinter dem Kind her, damit es sich endlich anzieht, erfinde bescheuerte Lieder, damit es endlich selbst Zähne putzt und lasse Wutanfälle über mich ergehen, weil dieses oder jenes Spielzeug nicht in die Kita mit darf. Und kurz bevor wir loswollen, wird dann noch mal die Windel vollgemacht.

Bis das Kind fertig angezogen in der Kita ist, kann es schon einige Zeit dauern.
Bis das Kind fertig angezogen in der Kita ist, kann es schon einige Zeit dauern.Bild: iStockphoto / Nadezhda1906

Meine Mittagspause versuche ich im Büro so knapp wie möglich zu halten und hetze dann wieder nach Hause, um mein Kind wenigstens noch eine halbe Stunde zu sehen, bevor es ins Bett geht. So viel zu meinem Arbeitstag im Büro.

Im Homeoffice habe ich einen größeren Zeitpuffer, bin damit insgesamt entspannter und setze mich nicht mit bereits völlig entleerten Kraftreserven an den Schreibtisch. Wo andere im Büro eine Raucher- oder Kaffeepause machen, kann ich zu Hause nebenher die Spülmaschine ausräumen und habe damit abends etwas mehr Zeit für die – bitter nötige – Erholung. Und manchmal kann ich im Homeoffice sogar mein Kind selbst aus der Kita abholen und dieses wahnsinnig tolle Gefühl genießen, wenn es freudestrahlend auf mich zugelaufen kommt und in meinen Armen liegt.

Produktiver im Homeoffice

Natürlich ist auch das Homeoffice nicht immer ideal: trotz extra angeschafftem Bürostuhl, Tastatur und Maus habe ich keine großen Monitore zur Verfügung. Der Küchentisch ist zu klein und zu niedrig und der Hund bellt genau dann, wenn ich ein Interview habe. Neben der Einrichtung muss ich außerdem Internet, Strom und Heizung selber bezahlen. Das Homeoffice ist nun mal in Wahrheit eine kleine Küche und kein Büro.

Obwohl die Arbeitsbedingungen zu Hause nicht perfekt sind, schaffe ich im Homeoffice aber meist viel mehr Arbeit und kann wegen der Ruhe besser und effizienter schreiben. Es gibt weniger Ablenkung, dafür leider natürlich auch viel weniger lustige Gespräche und Mittagspausen mit Kolleg:innen. Darum würde ich auch weiterhin nicht gerne komplett von zu Hause arbeiten. Dass ich aber die Möglichkeit dazu habe, ich kann es nicht anderes sagen, rettet mein Nervenkostüm und meinen Job.

Corona hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert und davon profitieren gerade auch Familien sehr stark. Denn woran es uns neben Geld meist am ärgsten mangelt, ist Zeit. Dank Homeoffice kann ich weiterhin Vollzeit arbeiten und darf meiner Karriere nachgehen, die ich genau so für mein Seelenwohl brauche wie genügend Zeit für mein großartiges Kind.

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